Wie Kreuzfahrtschiffe zu Museen werden

Dass Kunstwerke in Ausstellungen oder Privatsammlungen hängen, ist der Gang der Kunst. Aber dass sie als Attraktion auf Kreuzfahrtschiffen über die Weltmeere gefahren werden, ist der neue Coup der Branche. Ein Überblick.
Text Percy C. Schoeler
Pablo Picassos Lithografie Le Taureau noir schmückt das Restaurants Prime 7 der Seven Seas Splendor.

Irgendwo hier muss es doch sein! Dass Passagiere speziell in den ersten Tagen einer Kreuzfahrt hier und da etwas orientierungslos durch die Gänge irren, ist nicht weiter ungewöhnlich. Meist wird dabei ein bestimmtes Restaurant gesucht oder eine Bar, seltener auch einmal das Fitnessstudio. Doch die Familie, die am Eingang des Steakrestaurants Prime 7 auf der Seven Seas Splendor steht, sucht etwas gänzlich anderes. Sie sucht ein Bild. Nicht irgendeines allerdings. Sie sucht „den Picasso“. Und dieser, so sind sie sich sicher, der müsse hier irgendwo hängen.

Kunstwerke als neuer Trend auf Luxusschiffen

Die Skulpturen Weltanschauungsmodell III des Künstlers Ottmar Hörl findet man in den Gängen der Europa 2 von Hapag-Lloyd Cruises.

Die Seven Seas Splendor ist der zweitjüngste Neubau in der Flotte von Regent Seven Seas Cruises. „Luxury Perfected“, unter dieses Motto hat die zur großen NCL-Holding gehörende US-amerikanische Reederei ihr 224 Meter langes und 31 Meter breites Schiff gestellt. Das Luxussegment gehört zu den am stärksten umkämpften am Kreuzfahrtmarkt. Wie überall, so müssen auch hier Reedereien ihre Gäste mit immer neuen Superlativen beglücken. Doch wo man im Massenmarkt mit der größten, längsten oder spektakulärsten Wasserrutsche, einer Kartbahn, der fast schon obligatorischen Kletterwand oder gar einer Achterbahn auf hoher See punkten kann, zählen im Luxusmarkt andere Dinge. Platz zum Beispiel. Davon bieten gerade die drei Schwesterschiffe Seven Seas Explorer, Splendor und Grandeur jede Menge. Bei einer Tonnage von über 55.000 Tonnen umsorgen 567 Mitarbeiter die rund 730 Passagiere. Zum Vergleich: Auf regulären Schiffen dieser Größe zählt man das Doppelte an Gästen.

Die Seven Seas Splendor kann aber noch auf einem ganz anderen Gebiet punkten: in Sachen Kunst nämlich. Über 300 Werke von Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts findet man über die verschiedenen Bereiche des Schiffes verteilt. Der Wert dieser über einen Zeitraum von zwei Jahren kuratierten Sammlung bei Indienststellung: mehr als fünf Millionen Euro. Roberto Matta, Eduardo Arranz-Bravo, Roberto Diago, Joan Miró, Robert Rauschenberg und eben Pablo Picasso sind nur einige der Künstler, deren Werke man beim Schlendern durch die öffentlichen Räume des Schiffes entdecken kann. Die derzeit vielleicht spektakulärste Kunstsammlung auf den Weltmeeren ist jedoch nicht die einzige ihrer Art.

Das Kuratieren beginnt bereits vor dem Bau

Für die Scenic-Eclipse-Yachten entwarf der britische Graffitikünstler Carl Hush mehrere Kunstwerke. Zu sehen sind seine Geishas im Restaurant Koko’s.

So findet man zum Beispiel auf der bereits 2013 in Dienst gestellten Europa 2 von Hapag-Lloyd Cruises mehr als 890 Originalgemälde, Installationen, Fotografien und Skulpturen, darunter solche von Damien Hirst, Gerhard Richter oder Ottmar Hörl. Dessen Weltanschauungsmodell IV wiederum diente als Vorlage zweier rund 2,70 Meter hoher Skulpturen, die auf dem Sonnendeck der AIDA-sol zu sehen sind. An Bord der Explora I können Gäste aktuell eine Ausstellung der Pop-Art-Ikonen Andy Warhol und Roy Lichtenstein bewundern. Seien es die berühmten Geishas des britischen Künstlers Carl Hush an Bord der Scenic Eclipse, die das Treppenhaus der Mein Schiff 4 zierenden Fotografien des genialen Slim Aarons oder ausgesuchte Werke Edvard Munchs an Bord der Schiffe der Viking-Ocean-Flotte, Kunst ist ein immer größer werdendes Thema in der Kreuzfahrtbranche.

Doch wie kommt sie eigentlich an Bord, die Kunst? Das Kuratieren beginnt bereits sehr früh, erklärt Sarah Hall Smith. Die heutige Art-Direktorin der Norwegian Cruise Line Holdings arbeitete fast 27 Jahre lang bei der auf Art Consulting spezialisierten Soho Myriad und stellte dabei auch jene Kunstwerke zusammen, die man heute auf der Seven Seas Splendor bewundern kann. Bereits bei den ersten Entwürfen der Räume werden die jeweiligen Architekten eingebunden. Und da ein Schiff nun einmal über sehr viele äußerst unterschiedliche Bereiche verfügt, erfolgt das Kuratieren idealerweise nach ebendiesen Bereichen. Die Art der Kunstwerke muss dabei einerseits der Vision entsprechen, die der Architekt vom jeweiligen Raum hat, auf der anderen Seite aber muss den Gästen auch eine möglichst breite Palette an Kunststilen geboten werden, mit denen diese sich auseinandersetzen können.

Kunst an Bord muss gut versichert sein

In der „Galleria d'Arte” an Bord der Explora I sind aktuell Werke von Andy Warhol ausgestellt.

Auf diese Weise füllt sich, oftmals noch bevor der erste Stahlschnitt der zukünftigen „Galerie auf hoher See“ in der Werft erfolgt, zunächst virtuell, Raum für Raum, Suite für Suite, Restaurant für Restaurant. Bereiche, in denen die Gäste die meiste Zeit verbringen, erhalten dabei die wirkungsvolleren Werke. Für das teuerste Gemälde an Bord der Splendor, Roberto Mattas Ouvrez c’est nous aus dem Jahr 1957, das bereits vor zehn Jahren bei Bonhams für 84.100 britische Pfund versteigert wurde, kam somit auch nur ein Platz im großen Atrium infrage. Nicht jedes Kunstwerk allerdings ist gleichermaßen für den Einsatzzweck auf einem Kreuzfahrtschiff geeignet. Denn im Gegensatz zu einer Kunstsammlung an Land hat man es an Bord naturgemäß mit einer Umgebung zu tun, die ständig in Bewegung ist. Eine entsprechend gute Sicherung versteht sich da zwar ohnehin von selbst, doch es gibt noch weit mehr zu bedenken.

So können beispielsweise besonders feine Glasskulpturen oder Rahmen unter Umständen anfällig sein für Risse, welche durch die permanenten Bewegungen und Vibrationen entstehen können. Jene Vibrationen sind mitunter auch geeignet, Kunstwerke in Schwingungen zu versetzen, die somit unliebsame Geräusche produzieren. Ein weiterer Punkt, auf den bei der Auswahl penibel geachtet werden muss. Knapp 400 Kreuzfahrtschiffe bereisen derzeit die Weltmeere. Ein nicht unerheblicher Teil von ihnen führt jede Menge Kunst mit sich. Da stellt sich unweigerlich auch die Frage, wie diese eigentlich versichert ist. Nun wäre es auf einem Schiff, das in den öffentlichen Räumen grundsätzlich komplett videoüberwacht ist, generell eine schlechte Idee, ein Bild einfach mal so mit in die Kabine und dann später, verpackt im flauschigen Bademantel, mit nach Hause zu nehmen. Was aber, wenn etwas passiert, sich bei der Cocktailparty beispielsweise die frisch gerührte Bloody Mary über das teure Canvas ergießt? In dem Fall würde man dies wohl seiner eigenen, privaten Haftpflichtversicherung erklären müssen.

Themenreisen und eigene Kunstgalerien

Täglich präsentiert sich ein neues Kunstwerk von Edvard Munch auf der Videowand der Viking-Ocean-Schiffe.

Zollrechtlich gehört die Kunst an Bord übrigens zum Inventar des jeweiligen Schiffes und muss daher nicht in jedem Hafen extra deklariert werden. Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass die ausgestellten Werke als Eigentum der Reederei nicht käuflich zu erwerben sind. Sollte ein Gast jedoch tatsächlich einmal sein Interesse bekunden, so wird er an den jeweiligen Künstler beziehungsweise die Galerie weitergeleitet, von der das entsprechende Stück erworben wurde. Kunstwerke direkt erstehen kann man hingegen auf den Schiffen der Cunard-Flotte. Über 200 Künstler finden sich im Portfolio der Kunstgalerien an Bord von Queen Anne, Queen Mary 2 und Co. Zusammengearbeitet wird dabei mit den Experten der Galerie Clarendon Fine Art. Die Mein-Schiff-Flotte wiederum verlässt sich auf die Expertise der Queens Kunstgalerien. 

Eigene Themenreisen zum Thema Kunst bietet Hapag-Lloyd Cruises unter dem Motto art2sea an. Eher ungewöhnliche Wege geht man hingegen auf der Hochseeflotte von Viking. Durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Munch-Museum in Oslo besitzt man die digitalen Rechte an der gesamten Kollektion des berühmten norwegischen Künstlers. Bei täglich erfolgenden „Munch Moments“ werden die Werke dann im Rahmen eines digitalen Events auf die Bildschirme des Atriums gebracht. Die Kunstwerke an Bord der Seven Seas Splendor hingegen sind durch und durch greifbar. Auf Deck 14, dort, wo die exklusivsten Unterkünfte an Bord verortet sind, trifft man auf weitere Gemälde Roberto Mattas, in der über 412 Quadratmeter messenden Regent Suite, für die Gäste rund 12.000 Euro pro Tag bereit sind zu zahlen, kann man den Anblick auf Picassos Notre Dame de vie genießen.

Der zweite Picasso, Le Taureau noir, aber ist für alle Gäste zugänglich. Und mit dem Prime 7 lag jene kunstinteressierte Familie tatsächlich goldrichtig. Neben Eduardo Arranz-Bravos Bull aus 2019 und dem auf 75 Exemplare limitierten Print des von Joan Miró 1969 gestalteten The Bullfighter Move schmückt die Lithografie den Eingangsbereich des Steakhauses. Stolz ob der soeben gemachten Entdeckung begibt man sich dann auch direkt weiter zum nächsten Kunstwerk, das es auf dieser schwimmenden Kunstgalerie zu entdecken gibt.