Diese schwedische Werft macht Riva Konkurrenz

Hightech, Handarbeit und italienisches Design: Auf Gotland, wo einst die gefürchteten Langboote der Wikinger entstanden, baut J Craft heute Runabouts für Kunden mit höchsten Ansprüchen.
Text Julia Zaltzman
In jedes Boot investiert das Team von J Craft 9000 Arbeitsstunden.

Der Geist der Wikinger ist auf Gotland noch gegenwärtig. Die Ruinen der Werften, in denen ihre gefürchteten Langboote gebaut wurden, stehen in der Inselkapitale Visby bis heute, genauso wie die Reste der mittelalterlichen Stadtmauer. Unter dem Kopfsteinpflaster der Gassen liegen Generationen von Seeleuten begraben. Früher war Visby ein Knotenpunkt für den Ostseehandel; gefischt wird hier in den Gewässern vor dem schwedischen Festland bis heute. „Die Menschen auf Gotland haben schon immer vom Meer gelebt“, sagt Johan Hallén, der hier aufgewachsen ist. Für ihn selbst gilt das natürlich auch: Mit 15 Jahren hat er sein erstes Boot renoviert, später diente er in der schwedischen Marine – erst als Minentaucher und dann als Ausbildungsoffizier mit Spezialisierung auf Schlachtschiff-Management. Heute ist Hallén technischer Leiter und dienstältester Mitarbeiter der Boutique-Werft J Craft, deren Boote vor allem an der französischen Riviera gefragt sind.

Schwedische Alternative zur Riva Aquarama

Die Mahagonistreben für das Deck der J Craft Torpedo werden mit 20 Lackschichten versiegelt und poliert.

Gegründet wurde die Werft 1999 von Björn Jansson. Dessen Vision: J Craft sollte eine moderne Interpretation der klassischen Riva Aquarama aus den 1960er-Jahren entwickeln. Mit einem Deck aus feinstem Mahagoni würde das Boot höchsten ästhetischen Ansprüchen gerecht werden, dank des robusten Rumpfes aus Glasfaser aber auch in rauen Gewässern bestehen. Ein Jahr nach Werftgründung wurde die erste J Craft Cabrio Cruiser ausgeliefert. Das zwölf Meter lange Boot ging an König Carl XVI. Gustaf von Schweden. Nur 28 weitere Boote haben die Werft seitdem verlassen. Darunter sind die Bourik, die als Tender der 156-Meter-Superyacht Dilbar dient, und die Tonic Express, Tender der 40-Meter-Yacht Pink Gin. Die meisten Käufer nutzen ihre Boote aber als Wochenendkreuzer. Bei der Herstellung setzt J Craft auf High-End-Qualität und Handarbeit: In jedes Projekt investieren die zwölf Mitarbeiter der Werft rund 9000 Arbeitsstunden. Hunderte Bretter aus westafrikanischem Mahagoni werden verbaut, 20 Lackschichten aufgetragen.

Dass hier ein exklusives Produkt entsteht, ist dem Werftgebäude selbst kaum anzusehen: Von der Straße aus betrachtet ähnelt es eher einer Autowerkstatt. Doch drinnen hängt der Geruch von frisch gesägtem Holz und Lack in der Luft. Das Team baut gerade ein Boot vom aktuellen Modell Torpedo, am Rumpf liegen noch die Kabel frei, der Ausbau steht noch aus. Zehn Meter weiter wird gerade das Mahagonideck mit Sandpapier, 800er Körnung, per Hand feinstgeschliffen. Ein bereits fertiggestelltes Boot, die Zens, die weiter hinten in der Halle überwintert hat, bezeugt in Gänze die Kunstfertigkeit des Teams, das es zusammen auf unglaubliche 223 Jahre Erfahrung im Bootsbau bringt.

J Craft kooperiert mit Ingenieuren von Volvo

Analoge Instrumente: Das Cockpit der Torpedo ist vom Automobildesign der 50er- und 60er-Jahre inspiriert.

In einem anderen Teil des Gebäudes stapeln sich lange Bretter aus Mahagoni, Teakholz und Fichte neben Verbundwerkstoffen für mehrere weitere Rümpfe. Hier ist auch die Glasfaserabteilung untergebracht. Seit 2008 setzt J Craft auf Vakuuminfusion, eine hochpräzise Methode, mit der wiederverwertbares Harz in die Glasfaser für den Rumpf eingebracht werden kann. „Dieses Verfahren beschleunigt den Prozess und ermöglicht schnelle Adaptionen“, erklärt Hallén. Daneben kommen weiterhin traditionelle Techniken zum Einsatz. Etwa bei den Mahagonistreben, aus denen das Vordeck besteht: Sie werden mithilfe von Dampf in ihre gebogene Form gebracht – ein Verfahren, das schon die Wikinger kannten. Auf altes Handwerk vertraut J Craft heute also noch genauso wie bei der Unternehmensgründung vor 25 Jahren. 

Ergänzend setzt Hedgefonds-Manager Radenko Milakovic, der die Werft im Jahr 2008 gekauft hat, nun verstärkt auf aktuelle Design- und Ingenieurskunst. Milakovic begeisterte sich für J Craft, nachdem er eines der hier gebauten Boote im Mittelmeer gechartert hatte. „Ich will den Geist der Werft bewahren – und gleichzeitig bedeutende technische Fortschritte einbringen“, sagt er heute. Milakovic stellte die Produktion vom Cabrio Cruiser auf das Modell Torpedo um. 2009 wurde die erste Torpedo, genannt La Decadence, ausgeliefert. Bei ihrer Entwicklung hatte J Craft mit Ingenieuren von Volvo kooperiert. Im Vergleich zum Vorgängermodell fällt der neu gestaltete Rumpf auf: Er sorgt für verbesserten Seegang. Den Antrieb liefern zwei Motoren vom Typ Volvo Penta IPS 650-RS. Sie beschleunigen das Boot auf eine Höchstgeschwindigkeit von 47 Knoten – 20 Prozent schneller als der Cabrio Cruiser. 

Personalisierung mit Stoffen von Hermès

Gleichzeitig wurde der Kraftstoffverbrauch um 30 Prozent gesenkt. Die Reichweite der Torpedo liegt nun bei rund 280 Seemeilen (bei einer Geschwindigkeit von 30 Knoten). Ihr Cockpit ist klar vom Automobildesign der 50er- und 60er-Jahre inspiriert. Die Armaturen sind durchweg analog, auch ein – ursprünglich für den Ferrari 250 GTO entwickeltes – Nardi-Lenkrad wurde integriert. Die J Craft Torpedo, so Milakovic, „erinnert an eine 57er Corvette, hat dabei aber die Ausdauer, lange Strecken zu bewältigen, etwa von Miami zu den Bahamas und zurück“. In der Standardausführung kostet die 42ft Torpedo rund 1,6 Millionen Euro. Das Interieur der Kabinen und des Schlafraums ist mit dem gleichen Mahagoni wie das Cockpit verkleidet. Weiter personalisieren lässt es sich mit Stoffen von Hermès oder Loro Piana. Auf Anfrage liefert die Werft auch diverse Extras, etwa passendes Reisegepäck, einen Humidor, einen Teppanyaki-Grill, ein 2000-Watt-Soundsystem oder ein Sterling-Silber-Picknickset.

Eine Probefahrt mit der ausgewinterten Zens demonstriert schließlich die Qualitäten des Modells Torpedo: Baumeister und Steuermann Zoltan Antunovic lenkt sie erst auf die offene Ostsee, souverän durch mehr als zwei Meter hohe Wellen, dreht dann im ruhigeren Wasser hinter der Hafenmauer elegante Pirouetten. Bleibt noch die Frage, wer wohl der ideale Eigner für die Torpedo wäre. Ein verwegener Kreativer wie der italienische Regisseur Federico Fellini, der die Ästhetik der 60er-Jahre entscheidend mitgeprägt hat? Oder ein tollkühner Entdecker wie der Wikinger Leif Erikson, der vor mehr als 1000 Jahren als erster Europäer den amerikanischen Kontinent betrat? Gut gefallen würde das Boot heute sicherlich beiden.