Die erste Yacht von Architektin und Designerin Patricia Urquiola
Es schüttet wie aus Eimern an diesem frühherbstlichen Morgen an der Côte d’Azur. Im Vieux Port von Cannes haben die Crews die sündhaft teuren Outdoormöbel auf den Außendecks abgedeckt, die Türen zu den Salons sind geschlossen. Aber hinter einer herrscht dafür reger Betrieb.
Heute wird schließlich eine doppelte Weltpremiere zelebriert: Die italienische Werft Sanlorenzo zeigt erstmals ihre knapp 30 Meter lange SD96. Und Patricia Urquiola, weltweit gefeierte Architektin und Designerin, führt potenzielle Kunden sowie Journalisten durch das erste von ihr gestaltete Yacht-Interior. „Noch 15 Minuten, bitte“, sagt sie freundlich im Vorbeigehen. Zeit genug also, sich vorab allein einen kurzen Eindruck davon zu verschaffen, was die Marketingstrategen der ligurischen Werft im Vorfeld groß als prestigeträchtige Partnerschaft und Interior-Revolution angekündigt haben.
Yacht-Interior mit Präsenz: Mutig statt versteckt
Wer schon einige Luxusyachten von innen gesehen hat, ist tatsächlich überrascht davon, was man aus einer doch recht starren Struktur designtechnisch alles he
rausholen kann. Extrem auffällig ist auf den ersten Blick die starke Präsenz des Treppenhauses. Es steht frei und prominent platziert am Kopfende des Salons. Was andere Yachtdesigner gern in der Lobby verstecken, dient bei der Spanierin Patricia Urquiola als selbstbewusstes Statement, das – mit Travertinpaneelen und einem Metallgitter dekoriert – an ein Hummernetz erinnern soll.
Auch die Verkleidungen in den Ecken des Salons haben erkennbar maritime Reminiszenzen: Die runden, hellen Eichenstäbe, hinter denen sich die Schränke verbergen, erinnern an ausgewaschenes Treibholz. Dieses Element wiederholt sich an Bord der SD96 immer wieder, unter anderem in der Eigner- und den Gästekabinen.
Ungewöhnlich: Keine Änderungen möglich
An Steuerbord, also auf der rechten Seite des Salons, ersann Urquiola eine weitere Lösung, die im Yachting ihresgleichen sucht: Der Esstisch für bis zu zehn Gäste lässt sich bei Bedarf zusammenklappen und verschwindet komplett in einer lederbespannten Sitzbank.
Geändert werden kann an der Einrichtung übrigens fast nichts, was so manchem Yachteigner befremdlich vorkommen wird. Denn bei Budgets im hohen einstelligen oder gar im zweistelligen Millionenbereich ist es normalerweise selbstverständlich, das Interior dem persönlichen Geschmack anzupassen. Hier nicht.
Wer eine SD96 mit Urquiola-Design erwerben möchte, muss sie nahezu genau so kaufen, wie sie von der Spanierin ersonnen wurde. Lediglich die frei stehenden Möbel können getauscht werden. „Ich wollte“, erklärt die Designerin später bei der Führung, „auf die Yacht gehen und mich selbst sehen.“
Eingefädelt wurde die ungewöhnliche Zusammenarbeit der Wahlmailänderin mit Sanlorenzo von Piero Lissoni – gleichfalls Designberühmtheit, Urquiolas ehemaliger Büropartner und inzwischen Art Director bei Sanlorenzo. Massimo Perotti, Vorstandsvorsitzender der börsennotierten Werft und deren Mehrheitseigner, dazu: „Ich wollte unbedingt einen femininen Touch in der Einrichtung. Und mit ihrer Fähigkeit, Schönheit mit Komfort zu kombinieren, schien mir Patricia Urquiola die ideale Wahl."
Erinnerungen an eine Kindheit am Meer
Das maritime Ambiente ist indes kein Neuland für die 59-Jährige. Aufgewachsen in Asturien, erinnert sie sich noch an die stets bewegte See des Atlantiks. „Mein Vater und seine Freunde fuhren oft zum Fischen hinaus. Wellen waren allgegenwärtig, ich sehe sie immer noch vor mir.“ Ein Motiv, das auf dem Wandglas über dem Eignerbett zu sehen ist. „Alle Formen und Farben an Bord sind vom Meer inspiriert. Mein Ziel waren elegante Räume voller natürlicher Farben.“
Ein bisschen erinnert das Konzept durchaus an das ebenfalls von Urquiola gestaltete und im wahrsten Sinne ausgezeichnete Hotel Il Sereno am Comer See. Darauf angesprochen, stimmt sie zu: „Das Il Sereno ist sehr genau in sich abgestimmt. Dort gibt es kein Möbelstück und kein dekoratives Element zu viel und keines zu wenig. Hier auf der Yacht haben wir ebenfalls eine schöne Balance gefunden. Das Interior ist allerdings haptischer als im Hotel.“
Sanlorenzo: Patricia Urquiola innen, Zuccon außen
Für die Gestaltung des Exteriors engagierte Sanlorenzo übrigens das Büro Zuccon International aus Rom und für die optimale Rumpfkonstruktion den französischen Konstrukteur Philippe Briand. Unter der Federführung von Bernardo Zuccon wahrte das Designstudio gekonnt die traditionellen Sanlorenzo-Linien – harmonisch, leicht sportlich, mit eher schmalen Fensterbändern – und vergrößerte die Freiflächen im Vergleich zum Vorgängermodell SD92 signifikant.
Den Antrieb der SD96 besorgen zwei je 1015 Kilowatt starke Dieselmotoren von MTU. Sie bringen die 28,93 Meter lange, 7,60 Meter breite und 125 Tonnen schwere Konstruktion auf bis zu 19 Knoten Geschwindigkeit. Bei reduzierter Fahrweise von elf Knoten reichen die 15.700 Liter Kraftstoff in den Tanks für rund 1800 Seemeilen.
Zuschlag Nummer eins für die erste von Patricia Urquiola mitgestaltete Yacht bekam übrigens ein deutscher Eigner. Für rund neun Millionen Euro.