17 Tage kein Land in Sicht
Auf dem offenen Ozean ist alles anders. Da draußen, fernab von Skylines, E-Mails und Handyempfang, verabschiedet sich das Gefühl für Zeit. Um uns herum nur Wasser. Manchmal mehr Wolken, etwas weniger Seegang, bisschen mehr Regen, eine Bö – das Auge findet keine geografischen Anhaltspunkte, daher sieht es fern der Küste von England ähnlich aus wie fern der Küste einer karibischen Insel. Ob wir sieben oder 27 Tage unterwegs sind, macht für uns keinen Unterschied. Der Verlust des Zeitgefühls verstärkt sich durch den Schlafmangel. Wir halten abwechselnd Wache, wir leben in Schichten von je drei Stunden. Alle zwei Tage angeln wir einen Fisch. Für uns könnte es ewig so weitergehen. Die einzige Aufgabe: das Boot vorwärtsbringen. Niemand beschwert sich, wir lächeln uns an und übergeben die Schicht: „Wind von achtern, 19 Knoten, keine Regenwolken, kein Schiff. Weck mich, wenn du reffen willst. Gute Nacht!“
An Bord ist alles aufs Minimum reduziert
„Allein zwischen Himmel und Meer“. Das Buch von Boris Herrmann begleitet uns auf unserer Reise, und der Respekt vor der mentalen Stärke des Profiseglers wächst mit jedem Tag. Seine Reise ging bei der Vendée Globe, der Regatta für Einhandsegler, einmal um die Welt, und das nonstop in 80 Tagen. Für die 2000 Seemeilen unserer Atlantiküberquerung hätte Boris bei durchschnittlich 16,7 Knoten fünf Tage gebraucht. Bei der Bootsgeschwindigkeit ist die Geräuschkulisse aber alles andere als entspannt. In seinem Carbonrennboot trägt Herrmann geräuschunterdrückende Kopfhörer. Renntrimarane überqueren den Ozean heute in dreieinhalb Tagen. Für uns unvorstellbar. Trotzdem fragen wir uns: Wären wir auch gern schneller unterwegs?
Das Schönste am Hochseesegeln sind die Abgeschiedenheit und das simple Leben an Bord – maximal aufs Minimum reduziert. Zwischen den Kapverden und der Karibik sind wir 1852 Kilometer von der nächsten Landmasse entfernt. Wir sind also viereinhalbmal weiter weg von festem Boden als die Astronauten in der Internationalen Raumstation. Dieses Gefühl genießen zu können setzt gute Segelbedingungen voraus. Wenn man in schweres Wetter kommt, wird es beängstigend, und man wünscht sich nichts sehnlicher als einen sicheren Hafen. Möchte man also die Zeit genießen oder mit weniger Risiko schnell ankommen? Speed bringt enorme Vorteile: Denn man kann mehr Strecke in weniger Zeit hinlegen. Und weniger Zeit bedeutet weniger Risiko. Außerdem: Die Welt wird kleiner, und unsere Reiseträume würden realistischer werden. Wir wären wahrscheinlich längst in Australien angekommen, unser Drei-Jahres-Ziel.
Entschleunigung als ultimativer Luxus
Gerade sind wir auf Saint-Barth und sehen am Horizont die 86 Meter lange Segelyacht Aquijo. Wir sahen sie Anfang 2022 schon vor Mustique, als sie mit 16 Knoten an uns vorbeiglitt – und das unter Segeln. Inzwischen war sie im Frühling ins Mittelmeer gefahren und segelte im Herbst wieder zurück in die Tropen. Alles machbar mit 16 Besatzungsmitgliedern und einer aufwendigen Technik – da leidet niemand unter Schlafmangel. Unter den Megayachten ist diese Art von Schiffen noch die umweltfreundlichste Option. Ein Trend, der sich auch im Yachtbau zeigt – so ließ sich Jeff Bezos gerade die zweitgrößte Segelyacht der Welt, die 127 Meter lange Koru, fertigen. Und obwohl sich Jeff Bezos eine Yacht für 500 Millionen leistet und wir uns auch manchmal nach mehr Komfort und Geschwindigkeit auf unseren knapp 15 Metern sehnen, ist der wahre Luxus doch, die schönsten Momente im Seglerleben so lange wie möglich genießen zu können.
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