Neue Führung bei Relais & Châteaux: "Wir brauchen in Deutschland einen Tourismusminister"
Was dürfen wir von der neuen weiblichen Führungsspitze erwarten?
Natalie Fischer-Nagel: Unsere Mitglieder sind alle Unternehmerpersönlichkeiten, die eine klare Vorstellung vom Outcome ihrer Mitgliedschaft bei Relais & Châteaux haben. Diese Unternehmer wählen nur eine Person zum Delegierten, von der sie hundertprozentig annehmen dürfen, dass diese Person die Werte der Marke nach vorne treibt. Das geht mit Durchsetzungskraft, mit hohem Engagement und mit der Fähigkeit zur Moderation unterschiedlicher Sichtweisen einher. Wer das also nicht bietet, ganz egal ob Mann oder Frau, ist für diese Position nicht geeignet und damit nicht wählbar. Die Tatsache, dass nach Susanne Gräfin von Moltke mit mir wieder eine Frau gewählt wurde, sagt alles über das Mindset unserer Mitglieder. Es ist kein Unterschied, ob ein Mann solch eine Vereinigung anführt und moderiert, oder - eben wie jetzt - eine Frau. Es geht um das Ergebnis und da darf ich feststellen: wir stehen gemeinsam recht gut da.
Keine Knackpunkte? Wir sprechen von einer Branche, die pandemiebedingt nicht gerade auf Rosen gebettet ist und sich im harten Wettbewerb befindet. Was sind die schwierigsten Herausforderungen?
Susanne Gräfin von Moltke: 1954 gegründet, besteht Relais & Châteaux aus einer Vereinigung von 580 einzigartigen und unabhängigen Hotels und Restaurants. Im Kern geht es darum, eine ebenso starke wie großartige globale Marke weiter zu entwickeln mit Werten wie Authentizität, Großzügigkeit, Rarität und Exzellenz. Wir wollen aufgeschlossenen Reisenden die schönste Art bieten, die Welt zu entdecken. Wir richten uns an Menschen, die etwas erleben wollen, die ihr Weltbild hinterfragen und eine sinnvolle, oft auch eine transformative Reise erleben möchten.
Wie zeigt sich das?
Gräfin von Moltke Unsere Hotels sind eine Art von Zuhause, ein Ankommen bei Gastgebern, die in der Region verankert sind, die lokale Erlebnisse bieten und bei denen das lokale saisonale Produkt auf dem Teller eine zentrale Rolle spielt. Die Zeit der Pandemie haben wir genutzt, um für unsere Mitglieder einen regen Austausch untereinander vor allem natürlich via Zoom zu organisieren. So hatten wir in einem Call zum Beispiel unsere Zweisterneköchin Vicky Lau aus Hongkong, die deutlich früher nach der ersten Pandemie geöffnet hatte als wir, die uns erklärte, wie sie bei extrem hohen Sicherheitsauflagen ihr Restaurant mit den entsprechenden Auflagen profitabel geöffnet hat. Diese Form des Austauschs hat uns sehr inspiriert und uns sehr geholfen. Das haben wir besser gemacht als jede andere Hotelvereinigung.
Was Design und Stil betrifft - klaffen da die Qualitäten einzelner Häuser nicht ein wenig auseinander?
Fischer-Nagel: Natürlich ist es so, dass unsere Relais Châteaux in 65 Ländern dieser Welt unterschiedliche Dimensionen haben. Da gibt es die französischen Häuser, die häufig klein und intim sind, mit 24, 25 Zimmern und dem Maître, der abends am Herd steht. Ich stimme vollkommen zu, dass dies dann möglicherweise ein ganz anderes Erlebnis ist, als wenn ich in ein Haus mit 80 Zimmern komme, was sehr groß ist für unsere Verhältnisse. Was sich nicht ändert, ist das Gefühl des Familiären, des Persönlichen und des Intimen. Und das ist die große Stärke, die wir jetzt auch in der Pandemie immer zurückgespielt bekommen haben von unseren Gästen, von unseren Mitarbeitern und vor allen Dingen auch als Hoteliers. Denn die primäre Buchungsmotivation unserer Gäste ist meistens nicht, ein Bett in der Region zu benötigen, sondern sich vielmehr ein Genusserlebnis für alle Sinne zu gönnen.
Gräfin von Moltke: Das kann ich nur unterstreichen: Die geschützte Privatsphäre ist gerade in der Coronazeit ein Riesenthema für die Menschen. Das haben wir auch auf unserem Gut Steinbach Hotel & Chalets in Reit im Winkl in den bayerischen Alpen festgestellt. In den Chalets hatten die Gäste ein privates Domizil mit 185 qm und eigenem SPA für sich, bekamen dort mit direkter Anbindung an das Haupthaus einen tollen Service mit Liebe zum Detail und eine unvergleichliche Küche.
Was verbindet die einzelnen Betriebe inhaltlich?
Fischer-Nagel: Wir sind keine Hotelvereinigung, die damit zufrieden ist, eine Plakette an die Tür zu heften und sich gegenseitig Gäste zu empfehlen. Wir verstehen uns als Familie, und in dieser Familie hilft man sich, unterstützt sich und pflegt einen offenen Austausch auch zu operativen oder sensiblen Themen. Für mich persönlich waren zum Beispiel die Best-Practice Calls mit Kollegen auf anderen Kontinenten hilfreich, die deutlich vor uns Gäste unter Corona-Sicherheitsauflagen begrüßen durften. Als Relais & Châteaux Hotelier ist man natürlich auch einem Wertekodex verbunden, der die inhaltliche Klammer für alle unsere Betriebe ist.
Ein Beispiel?
Fischer-Nagel: Der verbindendende Qualitätsanspruch ist sicher das wichtigste Element. Das Bekenntnis und die Leidenschaft für hochwertige Kulinarik ist genauso unabdingbar für uns. Ein legendäres deutsches Mitglied pflegt zu sagen: „Hotelvereinigungen gibt es viele, nirgendwo wird so gut gegessen wie bei Relais & Châteaux“
Wie werden die Standards in den einzelnen Häusern überprüft?
Gräfin von Moltke: Alle drei Jahre wird jedes Haus durch einen unabhängigen Inspektor besucht. Dafür haben wir verschiedene Kriterien festgelegt. Da geht es nicht darum, ob – salopp gesagt - die Anzahl der Fläschchen in der Minibar stimmt, sondern es gibt bestimmte Faktoren bezüglich Ausstattung, Technik, Pflegezustand. Abgefragt werden aber auch emotionale Dinge, wie etwa die Wahrnehmung des Gastgebers. Wie werde ich empfangen? Ist der Hoteldirektor für mich greifbar? Eine große Rolle spielen auch Nachhaltigkeitsthemen, die ebenfalls in den Bewertungsbogen mit einfließen. Und unser Anspruch ist kein quantitatives Wachstum, sondern in erster Linie das qualitative Wachstum.
Ist auch schon mal ein Hotel rausgeflogen aus der Organisation?
Gräfin von Moltke: In unseren zweimal jährlich stattfindenden Board Meetings wird über Mitglieder diskutiert: neue Mitglieder, die aufgenommen werden sollen, aber auch solche, die auf der Kippe stehen. Leider gibt es auch Häuser, die beispielsweise unter einem Investitionsstau leiden oder aus anderen Gründen Schwierigkeiten damit haben, den Qualitätsstandards zu entsprechen. Das ist dann ein Problem. Aber wie in einer Familie gibt man auch hier im ersten Schritt die Chance Dinge zu verbessern und trennt sich nicht gleich.
Leistet Relais & Châteaux auch finanzielle Unterstützung?
Fischer-Nagel Unter: besonderen Umständen durchaus. Aber das sind Ausnahmen, die intern natürlich transparent diskutiert werden. Als die verheerenden Waldbrände in Australien waren, haben wir unter den Mitgliedern gesammelt. Hier stand die gesamte Relais & Châteaux Familie sofort geeint zusammen. Das ist das Herz von Relais & Châteaux und daher sind wir weit mehr als eine Hotelvereinigung.
Wie entwickelt sich das Thema Kulinarik angesichts immer anspruchsvoller und komplizierter werdender Gäste?
Gräfin von Moltke: Ich will es nicht immer nur an den Sternen festmachen - aber wir haben in der Organisation insgesamt 380 Michelin Sterne. Das ist schon ein beachtliches Zeichen für kulinarische Spitzenleistung. Darüber hinaus geht es verstärkt auch darum, die Biodiversität zu erhalten, lokale Erlebnisse zu stärken, Saisonalität und Regionalität auf unsere Teller zu zaubern. Das ist ein großer Unterschied zu anderen. Ein Beispiel: Wir haben neulich mit unserer gemeinsamen Initiative „ Food for Change“ gemeinsam mit Slow Food und Arc of Taste 85 verschiedene Lebensmittel und Gewürze definiert, die eigentlich kaum noch jemand kennt. Unser Ziel ist es, dass diese Produkte in den Köpfen der Mitarbeiter und der Gäste erhalten bleiben und wir diese Zutaten ehren und zelebrieren.
Wie ist das Durchschnittsalter Ihrer Gäste und wie stellt sich Relais & Châteaux auf eine jüngere internationale Kundschaft ein?
Gräfin von Moltke: Das Durchschnittsalter liegt aktuell bei 48 Jahren, wir spüren aber gerade einen großen Zuspruch und Anstieg in der Zielgruppe der Millenials. Wir haben die Marke seit 2018 verjüngt und auch so aufgestellt, dass sie stärker digital erfahrbar ist. Wir bespielen unsere Accounts in den sozialen Medien bestens gemäß unseres Claims: ‚what does delicious mean for you‘. In den Postings wird auf immer neue inspiriende Art gezeigt, was man bei uns erleben kann. Mit der Botschaft: Da ist etwas, was du vielleicht noch nie gegessen hast. Oder: Wir sind zeitlos, weil wir unsere traditionellen Werte pflegen im Sinne gelebter Nachhaltigkeit. Zudem sind wir sehr anspruchsvoll, was das Design betrifft. Manchmal wundert man sich, wie jung die Gäste bei uns auf Gut Steinbach sind. Da kommen etwa Hipster aus Berlin, die sich ein Chalet mieten und ganz genau wissen wollen, was auf ihrem Teller liegt und sich für Themen wie Slow Travel und Slow Food interessieren.
Es gehört zum Berufsbild in der Gastronomie und Hotellerie, dass die Leute ihre Karriere auch mal anderswo fortsetzen möchten. Bietet die Vereinigung da gewisse Vorteile?
Fischer-Nagel: Die besten Botschafter der Marke Relais & Châteaux sind unsere Mitarbeiter in 65 Ländern. Deshalb ist es uns am liebsten, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gruppe bleiben. Wenn jemand wechseln möchte, unterstützen wir das nach Kräften, egal ob es jemand nach Japan oder nach Australien zieht. Gemeinsam schauen wir, welches Land oder Haus funktioniert, und dann macht man einen Transfer. Darüber hinaus haben wir eine fantastische neue MyRelais app, wo alle Mitarbeiter konkret sehen können, welches andere Haus gerade eine attraktive Mitarbeiter-Rate bietet und wo ich empfangen werde wie ein Stammgast. Diese Reiseerfahrung auf höchstem Niveau, die wir in den Hotels zum Selbstkostenpreis für unsere Kollegen anbieten, ist natürlich sehr attraktiv.
Wie wird sich die Branche generell entwickeln? Wird sich das Geschäft erholen und auf das alte Niveau zurückkehren? Oder wird es auch Veränderungen und Marktbereinigung geben?
Gräfin von Moltke: Die Deutschen werden sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr das Inland eher für Kurzurlaube buchen und Fernziele für einen längeren Zeitraum wieder ins Visier nehmen. Zentral für uns ist aber das Thema Mitarbeiter. Etwa 15 Prozent sind in andere Branchen abgewandert, und ich glaube nicht, dass sie so einfach wiederkommen. Wir müssen deshalb über neue Arbeitszeitmodelle und verschiedene neue Benefits nachdenken, um unsere Mitarbeiter zu halten und um vakante Stellen zu besetzen. Selbstverständlich geht es aber auch darum, wie und mit welchen Angeboten wir für unsere Gäste noch attraktiver werden.
Welche Auswirkungen hatte die Pandemie für die Mitglieder von Relais & Châteaux?
Fischer-Nagel: Man darf dazu wissen: die Mitgliedschaft unserer Betriebe ist nicht auf Jahre sondern Jahrzehnte ausgelegt. Wir haben in unserer Delegation Unternehmer, die schon alles gesehen und erlebt haben, bevor ich mit der Schule fertig war. Sie haben miterlebt was autofreie Sonntage bedeuteten, als Gäste sonntags nicht abreisen konnten. Ich bin in der Lockdown Zeit zur Delegierten gewählt worden und war sehr beeindruckt, wie ruhig und strategisch fokussiert unsere Mitglieder agiert haben – trotz der wahnsinnigen Verluste und der mentalen Herausforderung. Denn man darf nicht vergessen, die Hotellerie war die erste Branche, die in den Lockdown gegangen ist und die letzte, die wieder öffnen durfte. Wir bewegen uns in einer Gemeinschaft von Menschen, die über große Lebenserfahrung verfügen und auch in einer solchen Pandemiesituation mit Weitsicht reagiert haben und daher geplante Anpassungen in den Häusern vorgezogen haben. Wir auf Weissenhaus haben den zweiten Lockdown dazu genutzt ein weiteres Spa-Gebäude zu bauen
Wir sind in einem gesunden und konservativ ökonomischen Umfeld verortet, das darauf aufgebaut ist, für künftige Generationen eine solide Ausgangslage zu hinterlassen. Weltweit haben wir uns im letzten Jahr von so wenigen Mitgliedern verabschieden müssen wie in den letzten 5 Jahren nicht mehr. Darauf sind wir stolz!
Also ein fröhliches Weiter so?
Fischer-Nagel: Wir bewegen uns aus einer Situation der Stärke heraus und werden diesen Vorsprung agil nutzen und betrachten alle Szenarien langfristig. Zum Beispiel fragen wir uns permanent, wie wir als Organisation einen Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasen leisten können. Denn natürlich wird der Klimawandel das Reiseverhalten verändern und das hat großen Einfluss auf die touristischen Entwicklungen in Deutschland. Ein Tourismus Minister wäre hier sicher von Vorteil.
Wieso das?
Wir haben während der Pandemie gesehen, wie stark die Tourismusbranche in Deutschland ist. Das war vorher möglicherweise nicht jedem so deutlich. Die Deutschen sind fantastische Gastgeber. Wir haben eine hohe Verbindlichkeit, eine Arbeitsethik, eine hohe Verlässlichkeit und bieten Qualität. Und dennoch schaffen wir es nicht, auf nationaler Ebene unsere Botschaft in die Welt zu tragen. Dabei gibt es international so viele Gäste, die Deutschland gerne besuchen würden, wenn sie denn nur von unseren Vorzügen und den erlebnisreichen Regionen wüssten. Wir sehen immer nur die Top Destination Marketing Kampagnen von Südtirol und der Schweiz. Deutschland findet hier leider nicht aktiv statt. Wir haben die Verpflichtung, jetzt durchzustarten für ein erfolgreiches Wachstum in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren.
Was hindert Sie daran?
Fischer-Nagel: Wir helfen uns am liebsten selbst, dennoch benötigen wir politische Rahmenbedingungen, die unsere Bemühungen um den Tourismus - Standort Deutschland unterstützen. Dabei haben wir sehr viel einzubringen. Wir brauchen abseits des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands einen klaren Adressaten, dem wir die Realitäten unserer Branche vortragen können und vor allem realistische und nachhaltig wirksame Lösungen anbieten.
Was wäre das?
Fischer-Nagel: Das Gastgewerbe in Deutschland leidet unter einem signifikanten Personalmangel. Ich bin sehr betrübt, dass hier die permanente Wiederholung angeblich schlechter Bezahlung und sehr hoher Arbeitslast im Raum steht. Das ist meiner persönlichen Erfahrung nach nicht richtig und reflektiert die Vergangenheit.
Es ist keine Frage, dass es in familiengeführten Betrieben eine würdige Bezahlung gibt, schließlich sind wir bei im Durchschnitt 50% Stammgästen, auf langfristige Beziehungen mit unseren Mitarbeitern angewiesen. Viel erstaunlicher ist die Tatsache, dass es seit längerem nicht mehr möglich ist, Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu bringen, die gerne hier arbeiten möchten, die über die notwendige Berufserfahrung verfügen, die auch schon gute Deutschkenntnisse haben. Das sind beispielsweise Menschen aus Serbien, aus Montenegro usw. Die Bewerber bekommen in den letzten zwei, drei Jahren einfach keine Termine mehr in den Botschaften, keine Arbeitserlaubnis. Die Realität in deutschen Hotels ist, dass Nachfragekapazitäten teilweise nicht mehr bedient werden können, weil Fachkräfte fehlen. Das kann nicht in unserem gemeinsamen Sinne sein und hier sehe ich die Notwendigkeit einen Ansprechpartner zu etablieren.
Wäre hierfür nicht das Wirtschaftsministerium zuständig?
Fischer-Nagel: Richtig. Hier ist jedoch unserer Erfahrung nach das Thema Tourismus und die unterschiedlichen Formen, die wir über die Gastronomie, Hotellerie bedienen, bis jetzt nicht im Fokus der Bemühungen gewesen.
Und dann hätten wir auch noch das Arbeitsministerium…
Fischer-Nagel: Natürlich sprechen wir regelmäßig mit den entsprechenden Stellen unter anderem bei der Agentur für Arbeit darüber. Die Damen und Herren sind dort sehr offen und möchten gern helfen, können aber nicht. Daher ist es so wichtig, die Bemühungen auf zwei Achsen zu setzen: Aus unserer Sicht wäre jetzt der Zeitpunkt, Deutschland als Reisedestination unter anderem mit Stichworten wie Sicherheit, Stabilität oder hoher medizinischer Versorgungs- Qualität langfristig als Alternative zu all jenen Regionen zu vermarkten, die möglicherweise in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr so komfortabel zu bereisen sind. Gleichzeitig müssen wir dringend die Umstände schaffen, dass in einem geordneten Prozess Bewerber mit entsprechender nachvollziehbarer Qualifikation und Sprachkenntnis aus non-EU Nationen bei uns tätig sein können.