Urlaub im All
Auch ein Tom Cruise hat Träume. Noch 2024 will er in einem neuen Modul auf der Internationalen Raumstation ISS Szenen für einen Actionfilm drehen und als erster Zivilist einen Weltraumspaziergang unternehmen. Ins All bringen soll ihn eine Crew Dragon Capsule von Elon Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX. Die Unternehmung wird ihn 47 Millionen Euro kosten. So viel zahlen zumindest Normalsterbliche für diese Reise, denn man muss heutzutage weder Astronaut noch Action-Star sein, um in den Weltraum abzuheben. Eine ganze Reihe teils milliardenschwerer, teils noch sehr junger Unternehmen veranstaltet bereits oder plant in naher Zukunft Reisen, die Privatleute als Passagiere in die Erdumlaufbahn bringen. Bis 2030 könnte der Wirtschaftszweig Weltraumtourismus bis zu drei Milliarden Euro wert sein. Wer bald nach oben will, sollte schon jetzt seinen Sitz reservieren.
Eine spirituelle Erfahrung für Passagiere
Mit rund 47 Millionen Euro ist der rund zehntägige Trip des Unternehmens Axiom Space mit freundlicher Unterstützung von SpaceX zur ISS bis dato eine der teuersten Weltraumreisen. Mit anderen Start-ups kommt man auch schon für einen fünfstelligen Betrag hoch hinaus. „Unbeschreiblich“ sei die Erfahrung gewesen, sagt Sharon Hagle, eine 74 Jahre alte Amerikanerin, die mit ihrem Mann Marc im März 2022 in Texas abhob. Damit wurde sie zum 599. Menschen im All – und zu einer Hälfte des ersten Ehepaars im Orbit. Die Hagles, die ihr Vermögen mit Immobilien machten, ersteigerten bei einer Auktion zwei Tickets für Blue Origin. Das Unternehmen von Amazon-Gründer Jeff Bezos, der 2021 selbst mit Blue Origin ins All abhob, ist breit aufgestellt. Gerade wird etwa an einer Raumstation getüftelt.
Das Aushängeschild aber ist die komplett ferngesteuerte und wiederverwendbare Rakete New Shepard, an deren Spitze sich eine Kapsel mit Platz für sechs Passagiere befindet. Die Rakete katapultiert die Kapsel auf eine Höhe von mehr als 100 Kilometern, wo die Passagiere etwa drei Minuten Schwerelosigkeit und den Blick durch die von Blue Origin beworbenen „größten Fenster im Weltraum“ genießen. Sehr schnell und gleichzeitig wie in Slow Motion seien diese Minuten vergangen, erinnert sich Sharon Hagle. „Es ist eine sehr emotionale und spirituelle Reise, die auf jeden anders wirkt.“ Als sie nach elf Minuten Flug per Fallschirm zurück auf die Erde trudelten, verharrten die Hagles und ihre Reisegefährten noch einen Moment in der Kapsel. „Es war sehr aufwühlend, einige weinten, man braucht Zeit, um sich da zu sortieren.“
Start-ups bieten Flüge im Ballon an
Die Hagles haben auch schon Tickets für einen Flug mit der VSS Unity von Virgin Galactic. Die lieferte mit dem ersten komplett bemannten Flug im Juli 2021 den offiziellen Startschuss für das neue „Space Race“. Mit an Bord: Milliardär, Virgin-Gründer und Bezos-Rivale Richard Branson. Die VSS Unity ist eine Art modernes Space Shuttle, das in mehr als 80 Kilometer Höhe einen Rückwärtssalto vollzieht und den bis zu sechs Passagieren so zwischen drei und vier Minuten Schwerelosigkeit garantiert. Rund 420.000 Euro kostet der Trip, inklusive vier Tagen Training und einem Parabelflug, um sich mit der Schwerelosigkeit vertraut zu machen. Die Vorbereitung findet rund um den Spaceport America in New Mexico statt, den ersten kommerziellen Weltraumflughafen.
In der Nähe baut Virgin Galactic für seine Astronauten einen Campus, zu dem ein Wellness-Center, ein High-End-Restaurant sowie Unterkünfte gehören werden. Wer heute seinen Flug reserviert, wird ab 2026 fliegen und möglicherweise schon auf dem dann fertigen Campus trainieren. Hinter den Branchengrößen, also SpaceX, Virgin Galactic und Blue Origin, gibt es aber bereits einige Herausforderer, die Passagiere bald mit einer anderen Technik ins All befördern wollen: mit Ballons. Statt in einer Rakete von tonnenschweren Treibstofftanks in den Orbit geschossen zu werden, fahren die Passagiere in einer an einem riesigen Ballon hängenden Kapsel entspannt durch die Wolken – so weit die Idee. Für den ersten Flug als Astronaut bedarf es so keines aufwendigen Trainings, und er ist um ein Vielfaches preiswerter: ab etwa 46.000 Euro.
Sterneküche und Cocktails an Bord
Die offizielle Grenze zum Weltraum, die sogenannte Kármán-Linie in 100 Kilometer Höhe, erreicht man dabei nicht. Doch die Flüge bis auf etwa 30 Kilometer sind hoch genug, um den Overview-Effekt zu genießen. So wird der von Astronauten oft beschriebene Blick auf die Krümmung der Erde genannt. Dieser außergewöhnliche Perspektivwechsel wird von allen Anbietern offensiv vermarktet. Er scheint viel mit jenen zu machen, die ihn erleben. „Wenn wir dieses Erlebnis in einer Flasche verkorken und zurück auf die Erde bringen könnten, die Welt wäre eine gänzlich andere“, sagt Astronautin Sharon Hagle. Weil die Ballons sanft nach oben steigen, bleibt genug Zeit für die eine oder andere Annehmlichkeit.
Das bald in Florida abhebende Start-up Space Perspective plant, an Bord Cocktails zu mixen. Konkurrent World View, dessen Ballons noch 2024 im Grand Canyon starten sollen, wird Champagner und Plüschsitze bieten. Das französische Unternehmen Zephalto will von Toulouse aus abheben, nachdem es seinen Passagieren vor dem Flug Sterneküche serviert hat. Ebenfalls über Europa sollen die Ballons von Zero 2 Infinity aufsteigen: Der Bloon des in Barcelona beheimateten Start-ups soll in Andalusien starten. Dort sind die Wetterverhältnisse stabiler als in Florida. Vor allem aber sei der Ausschnitt der Erde, auf den man hinunterblickt, abwechslungsreicher, findet CEO José Mariano López Urdiales. Die Gipfel der Sierra Nevada, die Wüste von Tabernas, die Straße von Gibraltar – alles aus einem Fenster.
Private Raumstationen lösen ISS ab
López Urdiales, 45, lernte am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) und ließ schon mit seinem Vater Ballons steigen. „Sie sind – neben dem Flugzeug – die seit dem 18. Jahrhundert am meisten erprobten Flugkörper. Wir kehren also zu unseren Wurzeln zurück“, sagt er, der 2009 Zero 2 Infinity gründete, um den Weltraum für mehr Menschen erreichbar zu machen. Mehr als 50 Testflüge hat sein Ballon bereits absolviert, schon in zwei Jahren könnten die ersten kommerziellen Flüge starten – sofern sich genug Investoren finden. Die Vorteile der Flugkörper sind für López Urdiales klar: sicherer, komfortabler, nachhaltiger. Und vor allem verbringt man viel mehr Zeit mit der grandiosen Aussicht auf den Planeten. Bloon soll zwei Stunden lang in 36 Kilometer Höhe schweben, „die Kosten pro Minute sind also sehr niedrig“. Dass man die Kármán-Linie dabei nicht passiert, findet er nicht tragisch. Die Krümmung der Erde verändere sich nur minimal, wenn man diese Grenze erreiche, sagt der CEO. Und was die andere Richtung betrifft: „Wenn der Himmel erst mal schwarz ist, dann wird er nicht mehr schwärzer.“
Die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA setzt zwar Ende des Jahrzehnts die Raumstation ISS außer Dienst, will jedoch private Entwickler durch Zuschüsse unterstützen. Das eröffnet Wissenschaft und Tourismus neue Möglichkeiten. „In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird es mindestens eine, vielleicht zwei private Raumstationen geben“, sagt Tom Shelley, Präsident von Space Adventures, ein Unternehmen, das seit 2001 Zivilisten auf der ISS unterbringt. Der Unternehmer Jed McCaleb gründete das kalifornische Start-up Vast Space und plant, im Jahr 2025 ein erstes Segment einer neuen Station namens Haven-1 in den Orbit zu schicken. Sie wird vier Astronauten zwar nur überschaubare 40 Quadratmeter Platz bieten, aber Vast Space plant laut CEO Max Haot auch den Bau einer „100 Meter langen, sich drehenden Raumstation mit mehreren Modulen und künstlicher Schwerkraft“.
Das erste Weltraumhotel ist in Planung
Auch andere Start-ups und etablierte Luft- und Raumfahrtunternehmen wollen bald hoch hinaus. Northrop Grumman könnte bereits 2027 mit dem Bau einer Station beginnen. Das Unternehmen Sierra Space, mit Sitz in Colorado, arbeitet mit Jeff Bezos’ Blue Origin, Boeing und Redwire zusammen, um bis 2027 einen Business-Park namens Orbital Reef zu errichten. Darin sollen ein Hotel, ein Restaurant und Labore zum Testen von Produkten in der Schwerelosigkeit untergebracht werden. Ein Hotel plant auch das amerikanische Unternehmen Above, und zwar das erste große Weltraumhotel. Die Raumstation Voyager soll neben 112 Crew-Mitgliedern auch Unterkünfte für 280 Gäste bieten. Aufgebaut ist sie wie ein gigantisches Riesenrad: Die Rotation soll dafür sorgen, dass die Hotelgäste in ihren Suiten beim Schlafen oder Duschen die Vorzüge künstlicher Gravitation genießen, während im Zentrum die volle Schwerelosigkeit erlebbar wird. Themenrestaurants, ein Kino, ein Fitnessstudio und eine Konzertbühne sollen ebenfalls in der Voyager Platz finden, deren Eröffnung allerdings bisher nicht datiert ist.
Selbst unter den stets mit ihrem Futurismus kokettierenden Anbietern für Reisen ins All ist das Weltraumhotel also noch eine Idee für Überübermorgen. So auch das Projekt des Bauunternehmens Obayashi, das den Tokyo Skytree entworfen hat, das höchste Gebäude Japans. Bis 2050 plant Obayashi, einen Weltraumaufzug zu konstruieren. Das Erdgeschoss für den im Durchmesser 400 Meter breiten Earth Port soll im Ozean am Äquator liegen, von wo der Aufzug mit Kohlenstoffnanoröhren, die 100-mal reißfester als Stahl sind, auf bis zu 96.000 Kilometer saust. Vielleicht kann der Aufzug im Orbit einen Zwischenstopp einlegen, von dem es dann mit etwas Glück nur ein kurzer Weltraumspaziergang hinüber zur Raumstation Voyager wäre. So könnten sogar Passagiere mit Flugangst eines Tages ihren Urlaub im All antreten. Willkommen.