Wie sich Rom neu erfindet
Was für eine geniale Idee! Stefano Callegari grinst zufrieden, als seine Gäste zubeißen. Stefano ist ein römischer Koch, der aussieht wie ein römischer Koch: groß, massig, genießerisch feuchte Lippen, Künstlerschopf. Er hat das Trapizzino erfunden, eine Mischung aus Pizza und belegtem Brot, und die Römer können gar nicht genug davon bekommen. Beim Trapizzino wird Pizzateig zu einer Art Eiswaffel geformt und mit allerlei Köstlichkeiten gefüllt, etwa mit pikantem Huhn oder mit Trippe, denn Römer sind leidenschaftliche Innereien-Esser. Im Gegensatz zum Panino, Hamburger oder Döner suppt nichts durch, und Saucen, die Italiener doch so gut können, dürfen üppig verwendet werden.
Immer mehr Luxushotels eröffnen in Rom
Vor gerade mal zehn Jahren bot Callegari sein Trapizzino zum ersten Mal an, und seit dieser Zeit ist ein Hype darum entstanden, sogar in New York wird es nun angeboten. Wer hätte gedacht, dass nach fast drei Jahrtausenden Streetfood noch einmal so eine Neuerung um die Ecke kommt? Aber klar ist auch: So was ist typisch Rom. Caput mundi, Hauptstadt der Welt. Seit 2500 Jahren beherrscht die Metropole unsere Wahrnehmung. Erst mit dem Römischen Reich, dann mit dem Vatikan. Welche Stadt bestimmt schon seit zweieinhalb Jahrtausenden ohne Unterbrechung einen großen Teil der Weltgeschichte, erst politisch, dann religiös? „Rom ist die erstaunlichste Stadt des Universums“, sagte schon – nein, nicht Cicero, sondern Asterix.
Auch die Hotelszene ist zumindest in Europa einmalig: Jede Menge Neulinge – innovativ, modern, frisch – wollen ihren Platz an der Sonne und im Scheinwerferlicht. Doch blicken wir zunächst auf den alten Hoteladel, etwa das ehrwürdige St. Regis, jenem Grandhotel, das bei seiner Eröffnung 1894 das erste Haus der Stadt mit elektrischem Licht, warmem Wasser und einem Fahrstuhl war. Der Fahrstuhl schnurrt im Übrigen noch heute ohne Ruckler die fünf Stockwerke auf und ab. Ein paar Meter weiter liegt das Westin Excelsior, 1904 eröffnet und mit 361 Zimmern das größte Hotel in der Innenstadt. Die Luxusbrocken wirken etwas aus der Mode, aber diese Hotels sind in ihrer Pracht und Opulenz dezidiert römisch und transportieren perfekt das Lebensgefühl der Stadt. Denn sie garantieren jedem Gast schon beim Betreten ein Roter-Teppich-Gefühl. Undenkbar, dass eine Sophia Loren sich in einem Airbnb verstecken würde. Bei einem Besuch kürzlich im St. Regis speisten dort an jenem Abend die in Rom wohnenden TV-Stars Diego Abatantuono und Fabio De Luigi, und am nächsten Morgen frühstückte mitten im Saal der italienische Außenminister Tajani mit dem Wirtschaftsminister Giorgetti.
Köchin bewahrt alte römische Rezepte
Die Grandhotels sind integraler Bestandteil des römischen Lebens und der Lebenskultur – und mehr als in anderen europäischen Metropolen Teil des Ausgeh-Alltags, etwa zum Aperitif in der schicken Bar Lumen im St. Regis oder zum Brunch im Doney im Westin Excelsior. Die Hotelbars sind voll von Leben – und sind nicht wie in anderen Metropolen ein Ort, wo Handlungsreisende zum Sterben auf muffigen Teppichen und zwischen krummen Barhockern hinkommen. In den letzten Monaten haben hier jede Menge Nobelhotels eröffnet. Beispielsweise das Maalot, unweit des Trevi-Brunnens und der Spanischen Treppe. Es herrscht englische Club-Atmosphäre mit einem Schuss Exzentrik: Palmen in Blumentöpfen, mit Zebramuster bezogene Stühle, Samtsofas, moderne Kunst an den Wänden. Hier ist Rom winzig klein und familiär, das Hotelrestaurant Don Pasquale wirkt wie ein Wohnzimmer. Dort serviert Domenico Boschi einen Baccalà-Kubus mit gerösteter Artischocke oder Ochsenschwanz-Ravioli.
Rom ist einzigartig: Jede einzelne Gasse und Straße verfügt über eine Sehenswürdigkeit, die in anderen Städten Hauptattraktion wäre, imperiale Pracht wartet hinter jeder Hausecke. Und zum Maalot kommen fast ein Dutzend neuer, exklusiver Adressen, vom Hideaway mit wenigen Zimmern (auch das Maalot hat nur 30) bis zum kapitalen Hoxton mit 192 Zimmern. Das Menü im Hotelrestaurant Elio hat Sarah Cicolini entworfen, die schwer angesagte römische Köchin, die täglich im Morgengrauen durch die Innenstadt joggt – eine magische Zeit, ohne Autos, ohne Menschen – gern am Kolosseum oder an den Fori Imperiali entlang. Sarah will die alten römischen Rezepte bewahren. Die Großmütter gibt es bald nicht mehr, und wer weiß dann noch, wie die Frittata di regaje zubereitet wird, ein Omelett mit Hühnerinnereien, die römischen Puntarelle mit Sardellen und Burrata, die Bohnen mit Schweineschwarte, die Trippe, der Kalbsbries?
Stadtviertel, in denen man Ruhe findet
Ihre Philosophie heißt Quinto Quarto – früher ging das erste und beste Viertel des geschlachteten Tieres an den Stadtadel, das zweite Viertel an die Kirchenoberen, das dritte Viertel an die wohlhabenden Bürger und das vierte Viertel an die Soldaten. Für das Proletariat blieb nur das „fünfte“ Viertel übrig, nämlich die Innereien. Sarah kocht übrigens nicht nur im Elio, sondern auch in ihrer eigenen Trattoria Santo Palato in San Giovanni, dem neuen In-Viertel der Stadt: Das angeblich so neue „Nose to Tail“ – das kannten die Römer schon, als das Kolosseum noch Baustelle war.
Das Erstaunliche an Rom ist, dass es bei allem Trubel auch ruhige, fast kontemplative Ecken gibt. Ein sehr gutes Beispiel ist das Viertel Monti, das schon zur Römerzeit ein bisschen verrufen war und nach der Industrialisierung auch noch den mächtigen Hauptbahnhof bekam. Und Großstadtviertel rund um Bahnhöfe sind selten Orte des Verweilens. Doch in dem Rione, wie die römischen Stadtviertel genannt werden, passierte etwas Kluges: Die Stadtoberen machten aus dem Viertel nördlich vom Kolosseum eine „Z. T. L.“ (Zona Traffico Limitato), also mehr oder weniger eine Fußgängerzone, denn schon Bill Bryson schrieb, dass man Italienern die Erfindung des Automobils lieber hätte verschweigen sollen. Und siehe da: In der Via Urbana und der Via Panisperna sind junge Designer und Künstler eingezogen, beinahe jede Woche eröffnet ein neues, innovatives Restaurant.
In der Küche wird es innovativ
Der größte Genussort Roms ist und bleibt aber Trastevere auf der anderen Seite des Tiber. La Pancia di Roma nennt sich das Viertel, „der Bauch Roms“. Und die Königin des Rione heißt Barbara Agosti, die in ihrem Restaurant Eggs residiert. Die Holztische kleiden keine Decke, und Gemälde von Uma Thurman aus Pulp Fiction und Queen Elizabeth grüßen die Besucher, denn starke Frauen sind Barbaras Lebensthema. Sie bietet die Carbonara in 15 Varianten an. Wer den Klassiker will, bekommt ihn mit Mezze Maniche in einem hohen Glas: kurze Nudeln, weil lange Nudeln bloß für noch mehr Sämigkeit sorgen, was das Gericht nun wirklich nicht braucht. Und das ungewöhnliche Gefäß hält die Temperatur länger hoch, was gerade bei Carbonara wichtig ist. Die letzten Bissen sollen auf keinen Fall nur noch lauwarm sein.
Zum Schluss besuchen wir wieder Stefano Callegari in seinem (ebenfalls neuen) Restaurant Romanè direkt an den Mauern des Vatikans. Stefano hat die Bitte nach Wasser ignoriert und mit einer kurzen Kinn-Geste dem Cameriere zu verstehen gegeben, dass er gefälligst eine Flasche Wein zu bringen habe. Stefanos neueste Erfindung sind die Fettuccine al tortellino, die Dekonstruktion der Tortellini: in Fleischbrühe gekochte Eiernudeln mit rohem Schinken, Mortadella, Parmesankäse, Pfeffer und Muskat – sozusagen eine umgedrehte Teigtasche. Nein, Roms Geschichte ist noch lange nicht vorbei. Die Neuerfindung hat Tradition, die Stadt bleibt auf ewig jung.
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