Mit dem Motorrad auf der Grand Tour Deluxe durch die Schweiz
„Engel, mein Lieber, Sie haben himmlische Finger“, höre ich mich in die Stille sagen. Es duftet nach Bergamottöl, mein Wortspiel vermurmelt sich in dem Handtuch, auf dem mein Gesicht liegt. „Sehr wohl“, lautet die knappe Antwort. Während Herr Engel mir die vergangenen 1000 Kilometer aus dem Kreuz massiert, gleitet mein Geist in einen Dämmerzustand. Hätte ich da schon gewusst, was mich in drei Stunden erwartet, wäre ich nicht mehr von der Massageliege im Grand Resort Bad Ragaz aufgestanden. Aber zurück zu Kilometer null.
Ein Herzinfarkt ist doch etwas für Amateure. Menschen, die ihre Work-Life-Balance nicht im Blick haben. Das habe ich zumindest immer geglaubt. Nein, ich hatte noch keinen, aber zum ersten Mal in meinem Leben verstehe ich, wie er sich heranpirscht. Denn bis man merkt, dass die Tür vom Hamsterrad ins Schloss gefallen ist und man sich nicht wie der Laborant, sondern wie der Nager fühlt, ist man bereits kilometerweit auf der Stelle getreten: Zoom-Konferenzen, Anschlussfinanzierungsrechner, Lebensversicherungskoeffizient – das Rad dreht sich irgendwie immer schneller. Wird das Leben im Alter komplizierter oder ich immer unflexibler? Daran muss ich denken, während ich auf die Speichen von Yorcks Vorderrad schaue. Für die kommenden sechs Tage ist aber nicht ein Rad entscheidend, sondern je zwei – die an unseren Motorrädern. Und unsere Räder drehen sich schneller, immer schneller in Richtung Interlaken.
Die Idee ist kontrastreich wie genussvoll: Am 15. Juni macht die Schweiz die Grenzen wieder auf, an diesem Tag gehören wir zu den Ersten, die mit einem deutschen Kennzeichen am Motorrad eidgenössischen Boden befahren. Tagsüber Asphalt, abends ablegen – und das auf allerhöchstem Niveau. Wir folgen der neuen Grand Tour Deluxe über die eindrucksvollsten Straßen der Schweiz und nächtigen jeweils in einem von 40 Swiss Deluxe Hotels an der Strecke – das Tagebuch einer luxuriösen Grenzerfahrung.
Tag 1: auf nach Interlaken
Die ersten Kilometer laufen beständig im Tacho meiner BMW R nineT Urban G/S auf. Es ist eine befreiende Gewissheit, dass alles, was man braucht, in einen 40-Liter-Rucksack passt. Schwer lastet nur das Vibrieren in meiner Jeanstasche. E-Mails, WhatsApp-Nachrichten, SMS, Facebook-Messenger, LinkedIn-Anfragen – die anderen Hamster melden sich.
Yorck, der die Fotos dieser Reise macht, steuert die BMW GS in Richtung Interlaken. Noch ist die Zivilisation allgegenwärtig. Doch für die kommenden Tage erwartet uns der ganze Zauber und Facettenreichtum der Schweiz. Die Grand Tour of Switzerland ist als Rundtour 1643 Kilometer lang, führt an 22 großen Seen vorbei, durch vier Sprachregionen, über fünf Alpenpässe, zu zwölf UNESCO-Welterbestätten und von Palmengärten zu Gletscherlandschaften und wieder zurück. Wir haben uns eine Teilstrecke rausgesucht.
Die Sonnenstrahlen wärmen das dicke Leder der Jacke, und der Boxermotor arbeitet kernig vor sich hin. Ich blicke nach rechts. Neben mir an der Ampel kommt ein mausgraues SUV zum Stehen – eine Farbe wie ein Nager, denke ich –, am Steuer ein Anzugträger. Er schaut zu uns rüber, und ich kann förmlich hören, was er denkt: „Die zwei sind auf dem Weg zu einem großen Abenteuer.“ Sein Blick ist traurig, es ist die Sicht aus dem Hamsterrad. Ich nicke ihm wissend zu. Vier Kilometer später stehen wir wieder gemeinsam an einer roten Ampel. Es hat gnadenlos zu regnen begonnen. Ich blicke nach rechts, Wasser läuft mir über den Helm in den Nacken. Anzugträger nickt mir wissend zu. Klar, denke ich, es hat auch niemand gesagt, dass der Weg aus dem Rad ein leichter ist, und sicher – im Labor ist es immer trocken und wohltemperiert.
Nach 490 Kilometern taucht endlich das Victoria- Jungfrau Grand Hotel zwischen den dicken Regentropfen auf. Jede Körperregion meldet ans Stammhirn einen Schmerz. Der Unterarm vom Kuppeln, der Hintern vom Sitzen, der Nacken vom Kopfhalten. Wortlos schleiche ich in die Dampfsauna des 5500 Quadratmeter großen Spabereichs. Es ist eine traumlose Nacht im Paradies.
Tag 2: Bern, Luzern
Wir lassen uns Lokales vom Fuße des Berges Jungfrau schmecken. Käse, Joghurt, frische Milch – Energie kehrt zurück. Die Strecke führt uns lange am Thunersee vorbei in Richtung Bern. Vereinzelt gleiten Segelboote über das Wasser, es duftet nach Sommer und frischer Wäsche.
Vor dem Bellevue Palace wartet bereits Urs Bührer. Der Hoteldirektor offeriert uns mit einer einladenden Geste, unsere Motorräder direkt vor dem imposanten Portal zu parken. Er hat hier schon die Mächtigen dieser Welt begrüßt, da wird er mit zwei Hobbybikern spielend fertig. Das Bellevue Palace liegt mitten im Regierungsviertel der Hauptstadt. Bundeskanzler, Präsidenten und Scheichs: Sie alle saßen hier schon auf der Terrasse und blickten – wie wir heute – auf die Aare. Es ist Lunch-Zeit. Gregor Zimmermann, seit 16 Jahren Herr über die Töpfe und Mitglied im Club des Chefs des Chefs, einer Vereinigung der Chefköche, die Staatsoberhäupter bekochen, lässt Kabeljau servieren. Mein Handy klingelt. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit mache ich mein Telefon aus – ein drittklassiges Gespräch wäre dem erstklassigen Kabeljau gegenüber respektlos.
Die Strecke von Bern nach Luzern führt über unzählige Kurven und einsame Straßen, vorbei an tiefblauen Seen und grünen Bäumen. Das beständige Brummen des Motors und die ständigen Gewichtsverlagerungen von rechts nach links lullen den Geist ein – geistiger Stillstand in der Bewegung. Ankunft in Luzern.
An der Marina werden wir bereits erwartet. Zwei Mitarbeiter des Park Hotel Vitznau nehmen unsere Motorräder entgegen und weisen uns den Weg zum Bootsanleger. Das Licht der Abendsonne spiegelt sich im polierten Mahagoni der Boesch. Noch ist das edle Holzboot vertäut, doch es wartet nur darauf, uns über den Vierwaldstättersee zu tragen. „Mögen Sie eine Runde Wasserski fahren?“, fragt mich der Bootsführer. Mag eine Ente schwimmen? Nein, sie muss.
Der Sprung ins Wasser ist erfrischend, der Staub der Straße löst sich im 19 Grad kühlen Nass. Von hier aus sieht man schon deutlich das Park Hotel, ein imposantes Schloss aus dem Jahr 1903. 47 Suiten beherbergt das Haus nun – und einen Schatz im Keller. Fast noch mit den Wasserski an den Füßen erreiche ich den Bootsanleger des Hotels. Mathias Rohner, Resident Manager, reicht lächelnd ein eiskaltes Bier. „Willkommen im Park Hotel Vitznau.“
Auch wenn das Bier die Ankunft perfekt macht, wäre es eigentlich nicht das Getränk der ersten Wahl, denn im Keller des Hauses lagern über 33 000 Flaschen der feinsten internationalen Weine. Der ursprüngliche Einkaufswert: 26 Millionen Schweizer Franken. Darunter auch eine ganz seltene Flasche, die Sommelier Sven Uzat unter seiner Obhut hat: eine Vier-Liter-Flasche Mouton Rothschild von 1945. Ihr Schätzwert: 645 000 Franken. „Unwahrscheinlich, dass sie sich irgendwer zu einem Lunch öffnen lässt“,sagt Uzat. Ich lächele Yorck an. Lust hätte ich, allein schon wegen der Spesenrechnung.
Tag 3: Zürich
Mensch und Maschine passen nach drei Tagen erstmals zusammen. Es ist wie mit einer neuen Jacke aus Büffelleder. Die ersten Tage zwickt und drückt es, es fühlt sich störend an, als hätte man sich im Laden vergriffen und würde nie zusammenkommen. Aber dann wird alles organisch, fühlt sich richtig an – man gehört zusammen. So ist es mit dem Motorrad auch – wir werden eine Einheit.
Es ist fast unmöglich, sich auf der Grand Tour zu verfahren. Mit Sorgfalt wurden 650 Wegweiser im Uhrzeigersinn so gut angebracht, dass kein Navigationssystem nötig ist. Den Weg von Vitznau ins The Dolder hätte ich wahrscheinlich auch mit geschlossenen Augen gefunden. Die kulinarische Strahlkraft des Küchenchefs Heiko Nieder hatte mich schon einige Male nach Zürich geführt. Nieder wurde in der Schweizer Ausgabe des Gault-Millau mit der Höchstnote von 19 Punkten zum „Koch des Jahres 2019“ gewählt. „Schöne BMW“, sagt Nieder und zeigt nach draußen. „Ich habe mir eine Harley aufbauen lassen und liebe die Strecken hier.“ Ob er vielleicht einen Tipp für uns hat? „Mit dem, was ihr morgen auf der Liste habt, seid ihr schon lange genug unterwegs“, sagt er und lacht.
Tag 4: Schaffhausen, Bad Ragaz
Um sechs Uhr ziehen Yorck und ich die ersten Runden – nicht auf der Straße, sondern im Pool des The Dolder. Heiko Nieder hat recht, denke ich, das wird ein langer Tag. Aber ich genieße dieses Spannungsfeld von rudimentärstem Reisegefährt und exklusivster Unterkunft. Auf einmal fällt mir ein: Ich habe mein Telefon seit Bern nicht wieder in Betrieb genommen. Und das Hamsterrad dreht sich langsamer.
Vom The Dolder geht es über Landstraßen zum Rheinfall. Die Szenerie erinnert mich an Herr der Ringe. Wir reiten wie Sauron – brüllend und feuerspeiend – durch das eidgenössische Auenland. Und wir reißen – um im Bild zu bleiben – die Hobbits aus ihrer ländlichen Lethargie. Die Dörfer an der Grand Tour of Switzerland sind so pittoresk und idyllisch, dass es einem fast leidtut, mit so viel Krach einzufallen. Aber eben nur fast.
Nur wenige Minuten halten wir in Schaffhausen. Auf einer Breite von 150 Metern fallen hier gewaltige Wassermengen 23 Meter in die Tiefe. Ganz genau: an diesem Tag 325 Kubikmeter die Sekunde. Seit etwa 17 000 Jahren geht das hier beständig so vor sich hin – da frage ich mich doch, warum in unserem Alltag immer alles gleich und sofort passieren muss. Die Route führt uns vom nördlichen Schaffhausen wieder tief in die Schweizer Berge nach Bad Ragaz.
Tag 5: Bad Ragaz, Ascona
Das Grand Resort ist berühmt für sein Wasser. Aus einer Thermalquelle sprudelt es mit 36,5 Grad aus dem Boden. Die besondere Zusammensetzung soll eine heilende Wirkung besitzen, und es riecht, da es keinen Schwefel enthält, nach gar nichts. Und so hat sich um das Wasser eine ganze Spa-Welt aufgebaut – und ein Stück Himmel im Keller, in dem ein Engel arbeitet. Ein Herr Engel. Nach einer erholsamen Nacht habe ich mir für den Morgen ein 75-minütiges Signature Treatment, die Tamina Flow Massage, gebucht. Das Versprechen: „Tiefenwirksame Entspannung von Kopf bis Fuß. Mit einzigartigen Griffen im fließenden Rhythmus zurück zur inneren Balance finden.“ Wer will das nicht?
Nach der Behandlung habe ich das Gefühl, das Hamsterrad läuft rückwärts. Wie auf Wolken schleiche ich im weichen, weiten, weißen Bademantel in den Hotellatschen durch die imposante Lobby. Yorck sitzt bereits mit Lederhose und seinem Helm auf dem Knie in einem der großen Sessel.„Wir müssen los, das Wetter auf dem San-Bernardino-Pass schlägt um“, sagt er. Es ist unser Weg nach Ascona ins Tessin. Das Packen der wenigen Sachen geht mit jedem Morgen schneller, nach zehn Minuten haben wir alles auf den Bikes verstaut und lassen Bad Ragaz im Rückspiegel verschwinden.
Die ersten Serpentinen sind wie für Motorräder gebaut. Tief nach rechts legen, tief nach links, rechts, links und immer weiter zum Gipfel hoch. Die Finger frieren. Der Regen setzt ein, und mit jedem Höhenmeter fällt die Temperatur weiter. Trotz Griffheizung kann ich mich nach 15 Minuten mit den kalten Händen kaum noch am Lenker halten. Yorck schaut zu mir rüber, es ist an seinem Blick zu sehen, dass es ihm kaum besser geht. Ich muss an Engel denken und wie angenehm warm es auf der Liege war. Ach, mein lieber Engel. 1 Grad laut Temperaturanzeige der Bordinstrumente. Das Hamsterrad ist abrupt stehen geblieben – Überlebensmodus läuft.
In meiner Wahlheimat Berlin habe ich ein altes englisches Zweirad, eine Norton Commando von 1973. Die fahre ich bei bestem Wetter von Charlottenburg zum Wannsee. Wenn alles gut läuft, mal nach Potsdam. Selten läuft sie gut. Früher habe ich ein paar Motorradtouren mit den Jungs gemacht und wohl irgendwie verdrängt – während ich die letzten Jahre ein Unwohlsein bei einer Individualreise mit der Klimaanlage oder der Sitzheizung ausgeglichen habe –, wie das, was sonst hinter der Scheibe stattfindet, an den Nerven des Fahrers zehrt: Kälte, Wind, Regen und Krach.
2067 Höhenmeter. Wir sind oben angekommen. „Einen schnellen Tee“, ruft Yorck durch das Plastik seines Visiers. Ich schüttele den Kopf. „Wir werden nie wieder rauswollen, wenn wir uns einmal hinsetzen.“
Bereits die Römer nutzten den San-Bernardino-Pass. Wenn die hier mit Lendenschurz und Sandalen rübergekommen sind, schaffen wir das ja wohl mit Zweirad und Skiunterwäsche allemal. Kurvenreich geht es bergab. Die Temperaturen steigen. Erst langsam. Dann schnell auf 20 Grad. Als wir Ascona erreichen und die Motorräder vor dem Portal des Eden Roc parken, zeigt das Thermometer 31 Grad. Auf dem Lago Maggiore, direkt hinter dem Hotel, paddelt ein verliebtes Pärchen gemächlich seine SUPs, eine alte Dame schwimmt, ich schwitze in meiner Skiunterwäsche. „Die Anreise war angenehm?“, fragt der Concierge. „Abwechslungsreich“, lautet meine Antwort, während ich in meiner Tasche nach den Badeshorts wühle. Palmen werfen ihre Schatten. Ein Glas Champagner besiegelt unsere Ankunft.
Tag 6: Ascona, Heimat
Der letzte Stopp auf unserer Reise führt uns aus dem Tessin über den teilweise schneebedeckten Gotthardpass nach Andermatt. Über traumhafte Kurven schraubt sich die Straße auf 2106 Höhenmeter. Die Sonne scheint, es bleibt warm. Das The Chedi ist nicht zu übersehen. Ein fünfgeschossiger, holzverkleideter Bau inmitten des Bergpanoramas.
Störend? Nicht für mich. Der ägyptische Investor Samih Sawiris hat bisher 1,19 Milliarden Franken in Andermatt verbaut, und das auf eine stilvolle Art. Küchenchef Armin Egli serviert Seeteufelcurry, knusprigen Entensalat mit Grapefruit und thailändischen Yam Nuea mit Entrecote – jeder Gang für sich hätte die Anreise auf Knien über den Gotthard gerechtfertigt. Ich blicke durch die Fensterfront an unseren Motorrädern vorbei auf den Anbau. Nicht alle Zimmer sind hier im klassischen Hotelbetrieb. 106 Einheiten stehen seit 2015 auch zum Verkauf, 25 sind heute noch über. Ab 1,69 Millionen Franken je Einheit. Ich werfe mir die Lederjacke über die Schulter, die Straße ruft. Auf dem Weg nach draußen, hinter der Rezeption, entdecke ich einen Schaukasten, in dem die ganze Chedi-Welt im Maßstab 1:200 aufgebaut ist. Auf dem Sockel steht in großen Buchstaben geschrieben: „Werden Sie Besitzer einer Residenz im The Chedi“. Tja, warum eigentlich nicht? Und das große Hamsterrad dreht sich weiter und weiter und weiter ...