Das neue Mallorca
An dem niedrigen Torbogen, direkt an der Plaça de Santa Eulàlia in Palma, ist dezent eine 2 aus Stein montiert. Dahinter ein Vorraum, beige ist die Wand, Naturstein auf dem Boden sowie eine Tür aus Holz, an der ein kleiner, goldener Knauf steckt. Sonst nichts, nur schlicht, kein Name, kein Schild. Die Tür führt zum ersten Private Members Club Mallorcas. Akzeptiert wird nur, wer passt. Dann fallen 250 Euro Aufnahme- sowie 175 Euro Monatsgebühr an. Erst im Januar dieses Jahres haben Anna Karlen und Pablo Sánchez das Làlia eröffnet, ein schwedisch-chilenisches Pärchen, sie aus dem Marketing, er war Banker. Mit ihren Kindern sind sie nach Mallorca gezogen, „für ein ganzheitliches Leben“. Auffällig: Zu den 200 Gründungsmitgliedern ihres Clubs gehören die neuen Macher der Insel, die wie Anna und Pablo Mallorca in diesem Moment gemeinsam mit einer neuen Generation von Einheimischen neu denken. Sie bringen die Impulse und Einflüsse aus ihren Heimaten wie Schweden, Frankreich, Südamerika, den USA, Deutschland und England mit. So entsteht derzeit eine unschlagbare Melange aus lokaler Historie, Menschen und Produkten, gepaart mit respektvoller, visionärer und global denkender Energie – ein neues Mallorca erwacht.
Mallorca zieht internationales Klientel an
Mallorca ist jetzt. Auf der Insel hat ein Wandel stattgefunden – und dieser schreitet fort. Einer, der eine internationale Klientel ununterbrochen zurück an die Ufer der Balearen spült. Die Coronapandemie hat zu einer Sehnsucht nach Sicherheit, Sonne und Slow Living sowie zu einer neuen Art des mobilen Arbeitens geführt, die das Leben hier attraktiv macht – und die jetzt auf optimale Bedingungen trifft. Keine andere Insel und kein anderer Ort im Mittelmeerraum bietet diese Mischung aus Ruhe, Raum und Natur auf der einen und kulturell-kosmopolitischem Leben an 365 Tagen im Jahr auf der anderen Seite. Hinzu kommen eine politisch stabile Lage, ein etabliertes Rechts- und Gesundheitswesen, 300 Sonnentage im Jahr, das milde Klima, der gesunde Lebensstil und 550 Kilometer Küste. Die Liste der Vorzüge scheint endlos. Die Vielfalt aus UNESCO-geschütztem Tramuntana-Gebirge, unbebauter Weite des Binnenlands, pittoresken Dörfern und über 200 Buchten und Stränden, die Historie sowie das hohe kulturelle, sportliche und gastronomische Angebot, das alles ist in Europa derart vereint auf 3600 Quadratkilometer Grundfläche einzigartig. Man investiert jetzt in Orte und Werte, die Sicherheit, Tradition und Selbstverwirklichung versprechen.
Zu gesehen ist Saint-Tropez, zu homogen Monaco, zu aufwendig zu erreichen die Karibik, zu heiß Dubai, zu saisonal Ibiza, zu wenig familienfreundlich die Großstädte im Süden. Und die finanziellen Vorteile, die diese Orte bieten? Gibt es auf Mallorca in Form des nach dem Fußballer David Beckham benannten Beckham Law. Ein Steuervorteil für Ausländer, die jetzt nach Spanien auswandern. Sie zahlen einen pauschalen Steuersatz von nur 24 statt 47 Prozent auf alle Einkünfte sowie gar keine Steuern auf alle im Ausland erwirtschafteten Beträge, wie Dividenden. Zudem fällt Vermögen, das sich nicht in Spanien befindet, nicht unter die Vermögenssteuer – deren Freibetrag von der neuen PP-Balearen-Regierung gerade auf drei Millionen statt 700.000 Euro angehoben wurde.
Die ideale Infrastruktur für einen Erstwohnsitz
Das macht Mallorca nicht nur für einen Zweit-, sondern auch Erstwohnsitz interessant. Zu den paradiesischen Verhältnissen kommen 17 internationale Schulen, eine Universität, ein ausgezeichnetes Gesundheitssystem aus privaten und öffentlichen Kliniken mit trilingualem Personal, ein hohes Niveau der Hotellerie, Yachthäfen, Bauträger und Einrichtungshäuser sowie ein Flughafen, der nicht nur 55 verschiedene Länder weltweit, sondern diese auch kontinuierlich und häufig bedient. Der PMI wird in den Sommermonaten zum drittgrößten Passagierflughafen Europas. Seit 2021 sogar mit Direktflügen aus den USA, deren Passagiere sich alsbald hotelvertraut im kommenden Mandarin Oriental in Portals Nous oder dem Four Seasons auf Formentor einquartieren können. United Airlines bringt die nach ihren europäischen Wurzeln suchenden US-Amerikaner von New York und geplant bald auch von Los Angeles und Miami nach Mallorca.
Wie den einstigen Tennisprofi Andy Kohlberg, der sich neben dem Besitz des NBA-Teams Phoenix Suns nun auch Mehrheitseigentümer des La-Liga-Clubs RCD Mallorca nennt. In den ebenfalls der Ex-NBA-Profi Steve Nash investiert hat. „Mit Begeisterung, jetzt ein Teil Mallorcas zu sein“, wie er sagt. Zu den Spielen kommen längst nicht mehr nur Einheimische und Fans, auch andere US-Amerikaner haben ihre Leidenschaft für den europäischen Fußball in Form des mallorquinischen entdeckt.
Ein neuer Kreis an Kunstsammlern
Wie auch Drew M. Aaron, Kunstmäzen, aus einer Papierdynastie in Philadelphia stammend und Teil des rund 30 Mann starken neuen New Yorker Sammlerkreises auf der Insel. Zu dieser illustren Gesellschaft soll auch der Hedge-Fund-Milliardär Steven Tananbaum gehören. Diese Gruppe sorgt derzeit für Transaktionen neuer Größenordnung in den etablierten Galerien wie Pelaires, Gerhardt Braun und Senkrechtstartern wie der La Bibi Gallery von Marc Bibiloni sowie in der Gallery Red von Drew M. Aaron. Die internationale Kunstszene ist auf Mallorca aufmerksam geworden – und auch Hollywood ist angekommen. Bradley Cooper, Sam Asghari und Charlie Sheen sowie Nicole Kidman und Morgan Freeman kamen teils für neue, investitionsstarke Filmproduktionen wie Lioness oder The Crown auf die Insel.
Gelandet wird auf dem Privatjet-Flughafen in Palma, der von Bloomberg 2023 als der meistbeschäftigte Private Aviation Airport der Welt bezeichnet wurde und der zur Hochsaison am Limit ist. Die Flugbewegungen des Executive Terminals des PMI haben sich in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt – und mit 700 Flügen pro Monat in der Nebensaison und über 2000 in den Sommermonaten wurde im vergangenen Jahr eine nie da gewesene Anzahl erreicht, die derzeit zu einem Komplettumbau des Terminals führt. Die 37 Kunstwerke, die in der Lounge hängen – und hängen bleiben –, stammen aus der Sammlung von Drew M. Aaron.
Von New York nach Mallorca
Der US-Amerikaner Drew M. Aaron kam vor rund sieben Jahren aus New York nach Mallorca. Er tauschte mit seiner Frau, Model Hana Soukupová, Vernissagen, Fotoshootings, Partys und ihre 400-Quadratmeter-Wohnung in der 77. Etage des Trump Towers gegen Abgeschiedenheit und Zeit mit den drei gemeinsamen Kindern in der Natur vor den Bergen Alarós. Und eigentlich wollte er sich zur Ruhe setzen, bevor ihn der Unternehmergeist wieder erfasste. Er gründete die Hypothekenberatungsfirma Lionsgate Capital, heute die größte Finanzierungsfirma Südspaniens. 2017 eröffnete er dann die Gallery Red in Palma, die am schnellsten wachsende Galerie Spaniens, und bot erstmals eine Mischung aus den begehrtesten Künstlern des vergangenen Jahrhunderts an: Warhol, Basquiat, Koons, Richter, Hirst. Er kombinierte sie mit aufstrebenden nationalen Talenten wie Toni Garau, Rubén Martín de Lucas, Lídia Masllorens. Diese Mischung, das Laute, Kühne, das war neu in der Kunstszene Palmas. Und es funktioniert.
Drew M. Aaron ist einer der derzeit aktivsten Netzwerker der Insel. Er engagiert sich bei der lokalen Naturschutzorganisation, im Mallorca Design District, dem Evolution Mallorca Film Festival und ist ebenfalls Gründungsmitglied des Làlia. Aus der Plaça Chopin, wo er seine erste sowie inzwischen fünf weitere Galerien, ein Café, einen Concept-Store, einen Rahmenshop und mit dem Rouge einen Luxus-Accessoire-Store mit Handtaschen- und Uhrenunikaten aus dem Hause Hermès, Chanel, Rolex und Louis Vuitton eröffnete, hat er eine Destination gemacht. 2024 launcht er hier zusätzlich einen 400 Quadratmeter großen Kunstraum auf zwei Etagen namens Gallery Red Square und die Gallery Red Downtown.
Immobilien sind wichtiger Wirtschaftsfaktor
So ist ein ganzer Stadtteil gewachsen, den inzwischen auch weitere Investoren entdeckt haben. Wie die Schweden von Palma Bread, die Mallorquiner der Meliá-Hotels, die hier gerade an einer Fünf-Sterne-Boutique-Version bauen, sowie die Homerun Brokers vom Festland. Das ist die Immobilienagentur aus Marbella, die derzeit Protagonist einer ersten exklusiven Europa-Version des Netflix-Quotenerfolgs Selling Sunset ist. Homerun wird die Zuschauer in der zweiten Staffel in ihr Büro nach Mallorca führen.
Bei den Villen, Landgütern und Altstadt-Palacios, die Teil des mallorquinischen Immobilienmarktes sind, liegen 43 Prozent des Transaktions volumens bei internationalen Käufern. Rund ein Viertel des gesamten Bruttoinlandsprodukts der Balearen geht allein auf den Immobiliensektor zurück. Er bildet nach dem Tourismus den zweitwichtigsten Wirtschaftsfaktor. Immer mehr Einwanderer steigen selbst in den Immobiliensektor ein, wie Ivan und Sheela Levy, Unternehmer und Interieur-Designerin aus der Schweiz und Indien, die nach Eröffnung von zwei der angesagtesten Restaurants der Insel, dem Fera in Palma und dem Yara in Puerto Portals, sowie der Produktion eines eigenen Olivenöls namens Son Naava nun auch noch an einem Luxury-Homestead-Projekt in der Inselmitte bauen. Son Rahaa, ein aus fünf Häusern bestehendes Anwesen auf 250.000 Quadratmetern, eingebettet in einen hügeligen Mandelhain, mit vier Pools, 18 Bädern und Schlafzimmern, zwei Gyms, einer Yoga- und Meditationsplattform, einem Sonnenuntergangspavillon, Freiluftkino und 2,8 Kilometer Geh- und Joggingtrail.
Qualitäts- statt Massentourismus
Die ersten beiden Häuser werden in diesem Moment fertiggestellt, weitere zwei im September dieses Jahres und das fünfte im März 2025. Der Kaufpreis liegt bei 25 Millionen Euro. „Ich kenne niemanden, der auf Mallorca in den letzten 15 Jahren Geld auf dem Immobilienmarkt verloren hätte“, sagt Pierce Broderick, der die Lizenz des weltweit agierenden Luxus immobilienmaklers John Taylor vor sechs Jahren nach Mallorca geholt hat und in seinem Portfolio derzeit auch die Villa Solitaire des italienischen Designers und Architekten Matteo Thun anbietet – für 65 Millionen Euro. Vor zehn Jahren seien Villen mit einem Kaufpreis von über zehn Millionen Euro noch die Ausnahme gewesen, sagt Broderick, inzwischen bewegen sich immer mehr Objekte gen 20 Millionen. Aufgrund der begrenzten Fläche der Insel werde dieser Trend weiter voranschreiten. „Mallorca wird immer besser“, sagt er. Kunden, die unter 500.000 Euro suchten, gebe es kaum noch, eher drüber. Die meisten kommen aus Deutschland, Österreich, Schweden, Dänemark, Norwegen – und seit dem United-Airlines-Direktflug eben auch aus den USA.
An diesen Flugverbindungen sowie an der erhöhten Polizeipräsenz in Magaluf und am Ballermann sowie an der Vergabe der Hotellizenzen, die in Palma fast ausschließlich an Projektentwickler vergeben werden, die einen der Altstadtpaläste originalgetreu renovieren und ihn in ein Fünf-Sterne-Boutique-Hotel verwandeln, hat die Fundación Turismo Palma de Mallorca 365 seit Jahren gearbeitet. Ein halb privat geführter und von mallorquinischen Familien finanzierter Tourismusverband, der die Entwicklung der Insel im Hintergrund lenkt. 13 Millionen Menschen besuchen jährlich Mallorca, 13-mal mehr, als es Einwohner hat. Mehr wird sie nicht empfangen können. Es brauchte Qualitäts- statt Massentourismus, Erst- und Zweitwohnsitze statt nur Urlauber, nachhaltige Projekte, die Zusammenarbeit von Alt und Neu. Diese Strategie, ihr Effekt hat die Initiative längst überrollt.
Altes Handwerk wird neu interpretiert
Und so hat sich in den letzten Jahren eine Gemeinschaft aus Künstlern, Gastronomen, Entrepreneuren und Designern gebildet, die das Erbe der Balearen mitgestalten, altes Handwerk neu interpretieren und Nachhaltigkeit anders denken. Sie leben den stillen Luxus nicht, sie verkörpern ihn. Etwa an der Westküste, wo sich in neuen Hotels wie dem Corazón von Fotografin Kate Bellm wieder Einheimische mit zugezogenen Künstlern zu Freiluftkinoabenden oder Soulfood des Hausrestaurants von Grace Berrow treffen. Im Landesinnern, wo junge Mallorquiner gemeinsam mit Einwanderern Böden und Bäume bearbeiten, Wein oder Produkte aus Oliven herstellen. In den Dörfern, in denen Turn-KeyProjektentwickler wie Josephine und Christoffer Du Rietz das architektonische Erbe der Stadthäuser neu beleben.
Und in der Hauptstadt Palma als wiedererwecktem Zentrum, das in der letzten Dekade eine Renaissance erlebt hat. Stadt teile wie Santa Catalina, die Plaça de Cort oder zuletzt Plaça Gomila wurden in begehrte, lebhafte Gegenden verwandelt, Sterneköche wie Santi Taura und Andreu Genestra interpretieren lokale Produkte und gastronomische Traditionen neu – und Clubs wie das Làlia sorgen für einen Ort, an dem all jene kreativen Unternehmer weiter Synergien schaffen, die nicht nur das spannende Jetzt, sondern die goldene Zukunft Mallorcas besiegeln.
Lesenswert: Unsere Autorin Alexandra Kilian hat ihrer Insel sogar ein Buch gewidmet. Mallorca für Fortgeschrittene ist aktuell im Styria Verlag erschienen. Preis: 30 Euro.