Der Gipfel des Luxus
Den ersten Schluck vom Morgenkaffee nehme ich noch mit schlechtem Gewissen: Das aromatisch duftende Getränk ist gerade frisch aus der italienischen Espressomaschine geflossen. Ich sitze gemütlich unter der Heizdecke im Queen-Size-Bett meines vier Meter hohen Kuppelzelts mit Perserteppich, Heizung und Luftbefeuchter. Ist so viel Luxus okay, im empfindlichen Ökosystem des Mount Everest? Seitdem Tenzing Norgay und Edmund Hillary 1953 als erste Menschen den Gipfel des höchsten Bergs der Welt erklommen haben, hat sich hier vieles verändert: Im letzten Jahr hat die nepalesische Regierung – nach inoffiziellen Zahlen – eine Rekordzahl von 463 Aufstiegsgenehmigungen erteilt. Ich selbst sehe keinen Reiz darin, zwei Monate und mehr als 100.000 Euro für eine Wanderung in die Todeszone zu investieren. Doch als mich Mike Hamill, der Gründer des Expeditionsunternehmens Climbing the Seven Summits (CTSS), auf seinen neuen Rugged Luxury Trek zum Everest-Basecamp einlädt, sage ich zu.
Luxusanbieter erschließen Nepal
Erst seit ein paar Jahren erschließen Luxusanbieter vorsichtig diese raue, abgelegene Region Nepals. Die CTSS-Tour gibt die seltene Gelegenheit, ohne großes Training und Risiko das Basislager vieler legendärer Gipfelstürme zu erleben. Ich kann tagsüber an der Seite ambitionierter Extremkletterer wandern – und abends in komfortablen Lodges entspannen. Meine Reise zum Basecamp beginnt im Hyatt Regency Kathmandu, wo ich – zusammen mit weiteren Tourteilnehmern – von der nepalesischen Bergführerlegende Big Tendi Sherpa abgeholt werde. Big Tendi hat den rund 8.500 Meter hohen Everest viermal bestiegen und eine Generation von Bergführern ausgebildet. Er ist der Guide unseres Trecks ins Basislager – das auf knapp 5.400 Metern selbst schon in unwirtlicher Höhe liegt.
Per Heli fliegen wir zunächst nach Lukla, dem Ausgangspunkt des Trecks. Die Hauptstraße des schmuddeligen Dorfs wird von Cafés, Teehäusern und Verkaufsständen gesäumt. Es wimmelt von Yaks und menschlichen Lastenträgern mit Weidenkörben. Am Ortsausgang dreht Big Tendi eine schwere Gebetsmühle, murmelt leise om mani padme hum, ein altes buddhistisches Mantra. Dann brechen wir zu unserer ersten Etappe, einer acht Kilometer langen Wanderung entlang des Flusses Dudhkoshi nach Phakding, auf. „Bistari, bistari!“, schimpft Big Tendi, als ich auf dem kiefernbeschatteten Weg mit schnellen Schritten Tempo machen will. „Langsam, langsam!“ Das Nepali-Wort höre ich noch öfter aus seinem Mund – unser Treck ist eher als aktive Meditation konzipiert, weniger als anstrengender Kraftakt.
Mehrtägige Wanderung zum Basislager
Mit einigen Ausnahmen: Von Phakding geht es am nächsten Morgen weiter ins 800 Meter höher gelegene Namche Bazaar. Ein „nepalesisch flacher“ Höhenunterschied sei das, scherzt Big Tendi. Der Weg schlängelt sich durch einen Rhododendronwald – ein Meer von rosa, roten und weißen Blüten –, kreuzt immer wieder den Dudhkoshi über Hängebrücken, an denen zerschlissene Gebetsfahnen flattern. Als wir den Sagarmatha-Nationalpark betreten, warnt ein Schild, dass Eifersucht und Zorn hier verboten sind. In Namche, der geschäftigen Sherpa-Hauptstadt, bleiben wir zur Akklimatisierung für zwei Nächte. Die nächsten Tage folgen alle demselben Rhythmus: zwei- bis siebenstündige Wanderungen mit Teestopps und Abstechern, etwa einem Besuch im Tengboche-Kloster, wo uns zornige Dämonen auf Wandgemälden begrüßen. Im Licht von Butterlampen murmelt ein junger Mönch seine Segenswünsche. Vielleicht sind uns die so beschworenen Berggötter ja wirklich wohlgesonnen.
Ich schreibe die Tatsache, dass es auf unserer Reise keinen einzigen Zwischenfall gibt, aber vor allem Big Tendi zu. Der Everest-Veteran sorgt dafür, dass wir uns nicht überanstrengen, nicht höhenkrank werden, nicht die niedlichen (aber oft von Flöhen oder gar Tollwut geplagten) Hunde am Wegesrand streicheln. Er führt uns auch vorbei an übervölkerten Wegabschnitten und Teehäusern mit fragwürdigem Essen. (Furchterregende Magenverstimmungen begegnen uns nur in den Erzählungen anderer Wanderer.) Am sechsten Tag erreichen wir Pheriche, ein entlegenes Dorf in einem kahlen, vom Khumbu-Gletscher geformten Tal. Auf dieser Höhe gibt es kein Vogelzwitschern mehr, auch kein Kinderlachen. Stattdessen höre ich jetzt öfter den typischen Höhenhusten, Khumbu-Husten genannt. Wer ernsthaft höhenkrank wird, hat oft keine andere Wahl, als auf niedrigere Lagen hinabzusteigen. Wir dagegen steigen weiter auf. Die Nächte werden kälter, und dass die raue, felsige Landschaft zunehmend trostlos wie auf dem Mond wirkt, trübt mir immer mehr die Stimmung.
Luxus-Camp mit Bibliothek und Yogabereich
Das Basislager des Lobuche, eines 6.000ers, ist unser letzter Stopp vor dem Everest. Mit seinen leuchtend gelben Zelten und einer riesigen, weißen Iglukuppel wirkt es wie eine Fata Morgana. Ich schlafe in einem Kastenzelt, immerhin mit bequemem Feldbett und Teppichboden, befinde mich hier aber zum ersten Mal auf dieser Reise außerhalb meiner Komfortzone. Eine andere CTSS-Gruppe, Bergsteiger mit Everest-Gipfelambitionen, steigt bis zum Lobuche-Hochlager auf, und ich schließe mich ihr an: Das Gelände wird eisig, erfordert bald Seile und Steigeisen. Die Luft ist merklich dünner; hier muss ich nicht erst aufgefordert werden, langsamer zu gehen. Nach fast zweieinhalb Stunden Klettern und Kraxeln erreichen wir unser Ziel. Schnee liegt auf den Zelten im Hochlager. Ich bin froh, dass ich hier nicht übernachten muss.
Die Wanderung von Lobuche zum Everest-Basecamp wird ebenfalls zur Herausforderung. Sieben Stunden brauchen wir für die 13 Kilometer lange Strecke. (CTSS erwägt, künftig auf halbem Weg ein Zeltlager einzurichten.) Als wir das Basecamp erreichen, schöpfen wir schon aus unseren Reserven. Fast 95 Prozent aller Menschen, die bis hierher kommen, müssen gleich wieder kehrtmachen: Das Lager ist den Everest-Besteigern vorbehalten. CTSS gehört zu den wenigen Unternehmen, die auch Wanderer mit ins Camp nehmen dürfen. Der Anblick des Big House von CTSS, eines 80 Quadratmeter großen geodätischen Kuppelzelts, lässt mir vor Freude das Herz hüpfen. Drinnen erwarten mich neonfarbene Sitzsäcke, Plastikpflanzen, eine Bibliothek, ein Yogabereich, eine Tischtennisplatte – und die italienische La-Cimbali- Espressomaschine, die mich für die nächsten zwei Tage mit exzellentem Kaffee versorgen soll.
Ausgezeichnetes Abendessen und Massagen
Die Küche, die in einem anderen Zelt eingerichtet ist, bereitet Mahlzeiten auf Restaurantniveau zu – klar, keine Sterne, aber sehr solide. Unter einer weiteren Kuppel lassen sich im höchstgelegenen Spa der Welt Massagen buchen. Übernachtet wird in Standardzelten mit Queen-Size-Betten oder Residenzzelten mit King-Size-Bett, Kommode, Streaming-Fernseher und Bad. Meine eigene Reise neigt sich dem Ende entgegen. Die der Gipfelstürmer hat dagegen gerade erst begonnen. Mike Hamill hat während seiner Bergsteigerlaufbahn oft selbst in kalten, feuchten Zelten geschlafen, sich von fadem Essen ernährt. Er weiß, das fordert seinen Tribut. „Bei jedem anderen Spitzensport versucht man, die Energie zu maximieren, sorgt für beste Ernährung und Entspannung, um optimale Leistungen zu fördern“, sagt er. „Nicht so beim Klettern am Everest. Da wird erwartet, dass man viel leidet und trotzdem erfolgreich ist.“ Mit CTSS schafft er nun eindeutig bessere Voraussetzungen.
Trotz ausgezeichneter Abendessen und entspannender Massagen: Ein Aufenthalt im Everest-Basecamp ist kein Urlaub in St. Moritz. Kein Komfort lässt mich die extremen Umweltbedingungen vergessen. Die Härte der Landschaft wirkt latent demoralisierend, genauso wie das Krachen der Lawinen in der Ferne. Dazu kommen klirrende Nachtfröste, das Brennen der Mittagssonne, das Knacken im Boden, der sich ständig bewegt. Akut gefährlich ist nichts davon. Aber in Summe beunruhigend genug, um meine Nerven stets leicht flattern, nie richtig zur Ruhe kommen zu lassen. Am letzten Tag fliegen wir per Helikopter zurück nach Lukla, von dort weiter nach Kathmandu.
Im Hotel bestelle ich erst mal ein Glas Bordeaux; mein erster Drink auf dieser Reise. Vor der Wanderung war es mir fast peinlich, Leuten davon zu erzählen, dass ich nur bis zum Basislager wandern würde. Jetzt denke ich: Es ist keine Schande, die Bergriesen Nepals einfach zu genießen – ohne sie bezwingen zu wollen. Schließlich würde auch niemand sagen, dass man auf der 30 Meter hohen Welle von Nazaré gesurft sein muss, um die Schönheit der portugiesischen Küste begreifen zu können. Während ich den ersten Schluck vom Bordeaux nehme, in eine schäumende Badewanne sinke und die Tour vor meinem inneren Auge Revue passieren lasse, wird mir wieder einmal klar, wie stark die Definition von Luxus differiert.
Rugged Luxury Everest Base Camp Trek & Stay: 18 Tage, jedes Jahr im März/April. Ab 18.000 Euro, hier buchbar.