Eröffnung: Viersterne Hôtel des Horlogers von Audemars Piguet
Der Hotelbau: alles, nur kein Mittelmaß
Würde es sich bei dem Hôtel des Horlogers um eine Uhr handeln, dürfte es sich gleich mehrerer Komplikationen rühmen. Mechanismen, die eine Uhr zu etwas Besonderem machen, ihr einen Mehrwert verleihen, anstatt profan die Stunden, Minuten und Sekunden anzuzeigen.
Auch im ursprünglichen Wortsinn war der Bau des Hotels kompliziert. Seit der Grundsteinlegung im Sommer 2018 wuchsen Bauleiter Michel Cuendet von CCHE „graue Haare“ dabei, die Pläne des dänischen Architekturbüros BIG umzusetzen. Ist dessen Inhaber Bjarke Ingels doch für seine unkonventionellen Entwürfe bekannt, die alles sein dürfen, nur kein Mittelmaß.
Bereits beim Museum von Audemars Piguet, das sich direkt neben dem Hotel befindet, lieferte die Bjarke Ingels Group ein außergewöhnliches Konzept: Es windet sich wie die Spirale eines Schneckenhauses. Nirgends gerade Wände, stattdessen organisch geformte Fensterfronten und Korridore.
Das Hôtel des Horlogers kann wie ein Echo zur Architektur des Museums verstanden werden. Der hügeligen Topografie des Jura folgend, ist das Gebäude wie ein Zickzackkurs designt, mit Stockwerken, die nicht parallel übereinanderliegen, sondern versetzt sind. Das Resultat: 100 Meter lange, sich neigende Flure, unterschiedliche Deckenhöhen und Zimmer, von denen keines dem anderen gleicht. Was sie jedoch eint: die großartige Sicht auf den Wald Risoud.
Zwölf Junior-Suiten ab 450 CHF, drei Forest-Suiten ab 600 CHF, zwei Signature-Suiten ab 950 CHF.
Der Lauf der Dinge in Le Brassus
Noch bis Ende des 18. Jahrhunderts streiften Wölfe und Bären durch die Fichten, Tannen und Buchen einer der größten und ältesten zusammenhängenden Waldketten Europas. Über eine Länge von 15 Kilometern bildet sie die natürliche Grenze zu Frankreich.
Das Hôtel des Horlogers liegt in Le Brassus, einem kleinen Ort im Vallée de Joux. Das Tal gilt als Wiege der Uhrmacherkunst, auch Jaeger-LeCoultre, Breguet, Blancpain und Claude Meylan fertigen hier ihre Zeitmesser. Fast nirgendwo sonst in der Schweiz fällt so viel Schnee, sind die Seen so lange zugefroren.
Seit 1857 beherbergte das Hôtel de France Uhrmacher aus Frankreich und der Schweiz auf ihrem Weg nach Genf. 1984 wurde es nach einem Brand wieder aufgebaut, gut 20 Jahre später übernahm Audemars Piguet schließlich den düsteren, heruntergekommenen Kasten. „Ich habe eineinhalb Jahre in dem Hotel gelebt und kam mir vor wie im Film Shining“, sagt Audemars-CEO François- Henry Bennahmias.
Künstlerische Architektur im Hôtel des Horlogers
Mit seinen bodentiefen Fenstern ist der Neubau der lichtdurchflutete Gegenentwurf zu einer Gruselfilmkulisse. Die Interior-Designer von AUM aus Lyon haben die Architektur des Hauses aufgegriffen, um die Natur auch im Inneren zum Protagonisten zu machen. In den 38 Zimmern, zwölf Suiten und den beiden Restaurants – deren Menüs vom Drei-Sterne-Koch Emmanuel Renaut entwickelt werden – strahlen Lampenschirme in Form von Korbblütlerblättern.
Die Umrisse der Hängeleuchten in der Bar und im Restaurant Le Gogant sind inspiriert von den Seen in der Umgebung. Überzogen sind sie mit einer Schicht aus getrocknetem Moos und Kohle, was Assoziationen an Austern oder Trüffeln weckt – und durchaus appetitanregend ist.
Künstlerisch geht es auch in der Lobby des Hôtels des Horlogers zu: Von der Decke hängen mit Harz versiegelte Baumskulpturen, die hölzerne Sitzbank vor der Rezeption ist mit ihren Rillen einem Fossil nachempfunden. Sämtliche Möbel wurden eigens für das Hotel entworfen, bei den Tönen dominieren Grau, Beige und Schwarz. Das wirkt edel, ohne zu protzen.
„Wir möchten auch ein Ort für die Menschen in der Umgebung sein“, sagt Bennahmias. „Das Hotel soll den bescheidenen Geist der Uhrmacher widerspiegeln.“ Und weil für diese die inneren Werte zählen, kommt hier eine weitere Komplikation zum Tragen: der nachhaltige Betrieb.
Nachhaltigkeit in allen Bereichen
Auf dem Dach des Hauses fangen 86 Solarpanels die Sonnenstrahlen ein, das Gebäude selbst ist Minergie-zertifiziert. Im Spa werden die Gäste mit den pflanzlichen Produkten von Alpeor verwöhnt, selbst die Stifte in den Zimmern sind 100 Prozent nachhaltig: Die Minen bestehen aus Thymiansamen. Auf dem Parkplatz wurden Ladestationen für E-Autos und E-Bikes installiert. Der Biomüll wird zu Biomasse, die wiederum in Wärme und Strom umgewandelt wird.
Genug „Futter“ ist da – hat das Haus doch einen eigenen Gemüse-, Obst- und Kräutergarten. Ähnlich wie bei der Zickzack-Architektur wurde auch hier um die Ecke gedacht: Bestellt wird die Fläche nicht von einem Gärtner, sondern vom Postboten des Ortes. Kompliziert? Ist es auch, im besten Uhrmachersinne.