Abenteuer Antarktis: Die Schrecken des Eises und der Finsternis
„Männer für gefährliche Fahrt gesucht. Geringe Heuer. Bittere Kälte. Lange Monate der absoluten Dunkelheit. Sichere Rückkehr zweifelhaft. Ehre und Anerkennung im Erfolgsfall.“ Mit dieser Anzeige suchte angeblich der Polarforscher Ernest Shackleton 1914 Teilnehmer für eine Expedition, die den antarktischen Kontinent von Nord nach Süd durchqueren sollte. Auch wenn der Text wohl eine Fälschung ist, er entspricht der brutalen Realität einer der bekanntesten Entdeckungsfahrten der Geschichte.
Eine Reise in den Untergang?
Für den Trip ins antarktische Weddellmeer, der von staatlichen und privaten Geldgebern finanziert war, kaufte Shackleton einen 300-Tonner-Dreimaster mit einer Mischtakelung aus verschiedenen Segeln. Inspiriert vom Leitspruch seiner Familie ‚By endurance we conquer‘ – ‚Durch Ausdauer zum Sieg‘ benannte er das Schiff in ‚Endurance‘ um. Angesichts des geplanten Marschs von rund 2900 Kilometern durch Eis und Schnee ein passendes Motto. Doch Shackleton konnte wohl nicht ahnen, wie sehr diese Expedition seine Ausdauer und die seiner 28köpfigen Besetzung austesten sollte. Doch es gab Warnzeichen: Als Shackleton den antarktiserfahrenen Kapitän John King Davis für die Endurance anheuern wollte, lehnte der ab, weil er das Unterfangen für „dem Untergang geweiht hielt.“
Davon unbeeindruckt brach die Expedition am 8. August 1914 von Plymouth auf und kam im Dezember im antarktischen Meer an. Und schon verdüsterte sich die Lage. Dass sich das Schiff seinen Weg durchs Treibeis bahnen musste, war klar, aber Shackleton hatte erwartet, dass dieses locker sein würde. Stattdessen stieß man auf einen „ziemlich dichten Gürtel von sehr hinderlichem Charakter.“ Immer wieder wurde das Schiff vom Eis eingeschlossen und die Expedition musste ausharren, bis sich Fahrrinnen öffneten.
Gefangen im Eis
Ziel war die Vahsel-Bucht zwischen der Westküste des Prinzregent-Luitpold-Lands und der östlichen Begrenzung des Filchner-Ronne-Schelfeises, von der eine sechsköpfige Gruppe aus den Marsch durch den Kontinent starten sollte. Doch um den 19. Januar war für die Endurance kein Durchkommen mehr. Vergebens versuchte man mit Meißeln, Sägen und Hacken eine Durchfahrtsmöglichkeit herauszuschlagen. Der Segler bewegte sich nur mit dem Drift des Eises, der ihn erst weiter südlich und dann wieder Richtung Norden zog.
Die einzige Hoffnung war Warten. Langes Warten. Erst im antarktischen Frühling, der im Oktober einsetzen würde, bestand die Chance, wieder freizukommen und ihre Fahrt fortzusetzen. Am 24. Februar ging man von Bord und baute neben der Endurance mit der Schiffseinrichtung auf dem Eis Winterquartiere. Dort überstand man zunächst die dunklen Monate Mai, Juni und Juli – hielt sich mit Fußballspielen und Laientheater bei Laune.
Das Ende der Endurance
Doch zunehmend türmten sich riesige Eisschollen um das Schiff herum auf, das unter immer stärkeren Druck geriet. Den Männern wurde klar: Bevor die Endurance freikam, würde sie wahrscheinlich zerstört. Ab dem 24. Oktober begann die Bordwand zu zersplittern. Bei Temperaturen von minus 25 Grad holte man die letzten Vorräte und die Rettungsboote aus dem Wrack, das am 21. November endgültig unter das Eis sank.
Überlebenskampf in endlosen Weiten
Jetzt ging es nur noch ums Überleben. Auf einer 520 Kilometer entfernten Insel gab es das Nahrungsdepot einer früheren Expedition. Von dort aus wollte man sich weitere 195 Kilometer zu einer Walfangbasis durchschlagen. Die Treibrichtung des Eises indes beförderte das Team in die falsche Richtung, weshalb man eine andere Insel, ebenfalls mit einem Vorratslager, ansteuerte. Allerdings erschwerte der weich gewordene Schnee das Vorankommen. Einmal schaffte man in einer Woche nur zwölf Kilometer. Wieder hieß es die Strategie zu ändern.
Am 8. April 1916 zerbrach die Eisscholle, auf der sich das Lager der Gruppe befand. Die Männer gingen bei Temperaturen von bis zu minus 30 Grad in die Rettungsboote. Doch jetzt war man darauf angewiesen, welche Wasserstraßen sich im Eis auftun würden. So blieb nur noch eine praktikable Zwischenlösung: Man steuerte die unbewohnte Elephant Island in den östlichen Shetlandinseln an, wo man Mitte April landete.
Lebensgefährliche Rettungsmissionen
Doch was dann? – In dem fast 1500 Kilometer entfernten Südgeorgien gab es eine Wahlfangstation. Shackleton ließ eines der Beiboote für die Überfahrt umbauen, die er am 24. April mit fünf Männern unternahm. Trotz heftiger Stürme mit Riesenwellen erreichte das Schiff sein Ziel nach 15 Tagen – nicht zuletzt dank der Leistung von Navigator Frank Worsley. Aber das war nur ein Zwischenerfolg. Shackleton charterte mehrere Schiffe, um seine zurückgebliebenen Männer von Elephant Island zu holen. Doch das Packeis verhinderte die ersten drei Versuche. Erst im vierten Anlauf konnte man am 30. August die restliche Besatzung, der langsam die Vorräte ausgingen, retten.
[Nicht so viel Glück hatte die weniger bekannte Unterstützer-Expedition, die auf einem anderen Schiff gestartet war und auf der anderen Seite der Antarktis Proviantdepots für die geplante Marschgruppe anlegte. Drei Männer starben, der Rest wurde am 10. Januar 1917 gerettet.]
Tragik nach dem Happy End
Große Ehre und Anerkennung, wie in der vermeintlichen Annonce versprochen, gab es zunächst für keinen der Beteiligten. Im Ersten Weltkrieg, der während der Polarfahrt ausgebrochen war, hatte England andere Prioritäten. Drei der Männer der Endurance starben im Kampfeinsatz, andere wurden schwer verwundet. Shackleton organisierte 1920 nochmals eine Antarktis-Expedition, erlitt aber vor Erreichen des Ziels am 5. Januar 1922 in Südgeorgien einen tödlichen Herzinfarkt. Die Durchquerung des antarktischen Kontinents auf dem Landweg, von der er geträumt hatte, gelang erst der Commonwealth Trans-Antarctic Expedition von 1955 bis 1958.