Die Rio Palena Lodge: Luxus für Abenteurer
Mit kräftigen Ruderschlägen treibt Miles Marquez das Boot am Ufer des Lago Yelcho entlang. Der New Yorker mit puertoricanischen Wurzeln sieht aus wie ein Einheimischer, weil er seine Baskenmütze wie fast alle Patagonier schrägt trägt. Fragt man Miles, wo sonst auf der Welt er gern als Fliegenfischer-Guide leben möchte, sagt er knapp: „Mein Platz ist hier.“ Wer kann es ihm verdenken. Miles hat in Afghanistan gedient. Der Kampf mit dem patagonischen Wetter ist ein Klacks dagegen. Und sein „Arbeitsplatz“ ist tatsächlich einer der spektakulärsten, die dieser Planet zu bieten hat.
Heute hat Miles eine Gruppe von Fliegenfischer-Rookies an seiner Seite – und sie sind am Ziel angekommen. Am Ufer verschluckt feuchter, undurchdringlicher Urwald eine Blockhütte aus rohen Baumstämmen. Im Hintergrund erhebt sich ein unzugängliches Gebirge, das es eigentlich nur in Hobbit-Welten geben dürfte – einsam, wild, rätselhaft.
Patagonien ist ein Ort für Abenteurer
Die Gäste – ein Anwalt aus New York und sein 14-jähriger Sohn – fangen an diesem Tag mit ihren Kunstfliegen zwar viele Forellen bis 50 Zentimeter Länge, aber keine kapitalen Fische. Und trotzdem sieht Miles in ihren Gesichtern tiefe Zufriedenheit. Patagonien macht demütig und glücklich. Der Zipfel Südamerikas ist seit jeher ein magischer Ort für Sinnsucher, Aussteiger und Abenteurer.
Natürlich haben die meisten nichts dagegen, wenn das Abenteuer in domestizierter Form daherkommt – so wie in der Rio Palena Lodge. Sie ist so etwas wie das Gegengewicht zur umgebenden Natur. Die Lodge liegt auf einer großen Lichtung und ist nur über eine Schotterpiste zu erreichen, die von der Carretera Austral abzweigt, der einzigen Straße, die in den chilenischen Teil Patagoniens führt. Außer vereinzelten Farmen gibt es kaum Anzeichen dafür, dass hier Menschen leben. Wenn Miles darauf angesprochen wird, dass hier das Ende der Welt sehr nahe sei, antwortet er augenzwinkernd: „Du musst dich nur umdrehen. Dann ist es der Anfang der Welt.“
Mit dem Helikopter zum Fliegenfischen
Zurück in der Lodge, werden die durchgefrorenen Gäste mit einem Getränk aus Mate und einem Schuss Pisco versorgt. Helfende Hände nehmen die Wathosen und -schuhe ab und bringen diese in den Trockenraum. Im Inneren der Lodge duftet es nach Zedernholz, unter den Socken knarzen schwere Dielen. Draußen wartet das Outdoor-Spa, wo in einem Holzbottich bereits heißes Wasser blubbert, mit freiem Blick zum hauseigenen Helikopter. Morgen wird er das Lufttaxi der Gruppe sein: Vielleicht geht es wieder zum Fliegenfischen, zum Heli-Hiking auf einen Gletscher oder zum Stand-up-Paddling an einen Bergsee. Die Regie übernimmt das Wetter, wie immer in Patagonien.
Die Master-Suite wird nur bei Vollvermietung an Gäste vergeben. Sie bleibt sonst Chad R. Pike, dem Eigentümer der Rio Palena Lodge, und seiner Familie vorbehalten. Dass der Amerikaner gerade hier zum Immobilienbesitzer wurde, ist kein Zufall: Pike wächst im ländlichen Ohio auf. An seinem Elternhaus fließt ein Bach vorbei. Er liebt es, an dessen Ufer Baumhäuser zu bauen. So sind er und seine Freunde näher am Fisch, näher an den Forellen.
Der Investmentbanker gründet eine Reisefirma
Im Prinzip macht Pike bis heute nichts anderes: Er baut Häuser und geht Fliegenfischen. Sein Credo lautet: „Wenn du Erfolg haben willst, musst du vollkommen fokussiert sein.“ Mit diesem Mantra steigt er bei der Blackstone Group bis in die C-Level-Ebene auf. Die Firma ist einer der weltgrößten Investoren im Bereich Immobilien, Private Equity sowie Kredit- und Hedgefonds-Strategien. Der von Pike lange gemanagte Tactical Opportunities Fund verwaltet aktuell 34 Milliarden US-Dollar. Am 4. Juli 2020, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, verabschiedet sich Pike mit gerade einmal 49 Jahren in den Ruhestand.
Er ist sich schon da sicher, dass ihm nicht langweilig werden wird – denn er hat vorgesorgt. Bereits 2011 gründet er Eleven Experience, eine auf luxuriöse Abenteuer spezialisierte Reisefirma mit Resorts in Colorado, Island, Neuseeland, auf den Bahamas. Rio Palena ist sein aktuellstes Investment. Entdeckt hat er das fünf Hektar große Anwesen auf Google Maps: „Ich liebe es, topografische Karten zu studieren und über die Natur in abgelegenen Regionen zu lesen.“ Kaum ist der Kaufvertrag unterschrieben, lässt Pike die Lodge renovieren. Die Gestaltung übernimmt seine Frau Blake, die als Innenarchitektin ein feines Gespür dafür hat, was sich Luxus-Reisende im Urlaub wünschen.
Beim Fliegenfischen führt Geduld zum Erfolg
Am nächsten Morgen drängt Miles zu einem frühen Aufbruch: „Jungs, es gibt ein Wetterfenster von wenigen Stunden, der Hubschrauber ist startklar.“ Beim Flug über das Meer aus Grün, versteht man, warum Pike von diesem Stückchen Erde so fasziniert ist: ein Paradies mit unentdeckten Flecken – sofern man einen Chopper hat und einen Piloten, der weiß, wie man auf einer Kiesbank am Fluss sicher landet. Miles springt als Erster aus der Maschine. Der Wasserstand ist genau richtig, der kleine Fluss voller Bachsaiblinge. Für den US-Anwalt und seinen Sohn, die noch nicht allzu viel Erfahrung mit der Fliegengerte haben und damit durchaus zu den typischen Gästen zählen, ist das eine feine Übung mit der Trockenfliege. Die aber nicht immer Erfolg verspricht.
Denn ein Fisch ist kein Hund, und auf Kommando beißen will er schon gar nicht. Fliegenfischen gilt als die schwierigste, kostspieligste und sicherste Methode, keinen Fisch zu fangen, sagen Spötter. Miles kontert: „Die richtige Mischung aus buddhistischer Gelassenheit und konzentriertem Ehrgeiz führt sehr wohl zum Erfolg.“ Die Rute soll zum verlängerten Arm werden, die Bewegungen müssen ineinanderfließen. Nur dann platziert man die Fliege mit jener Leichtigkeit am richtigen Ort. Der richtige Ort – das ist oftmals nur ein notizblockgroßes Stückchen Wasseroberfläche. Dort soll die Fliege sanft aufsetzen, keinesfalls jedoch aufklatschen.
Reisende fühlen sich mit der Natur verbunden
Zumindest fällt es in dieser Landschaft nicht schwer, die richtige mentale Einstellung zu finden: Nur das Gurgeln des Flusses und das Rauschen des Waldes sind zu hören. Miles’ Gäste werden besser, fangen Fisch um Fisch. Keiner spricht, alle spüren die Verbundenheit mit der Natur, diesen Frieden mit sich selbst. Es ist der Pilot, der die Angler in die Realität zurückholt. Viel zu schnell senken sich die Wolken ab, viel zu schnell frischt der Wind auf. „Sofort zurück zur Lodge“, lautet seine unmissverständliche Ansage.
Als die Maschine wieder auf dem Rasen der Lodge aufsetzt, ist die Erleichterung fast greifbar. Es tut der aufgeregten Seele gut, dass das Team ein Asado am offenen Feuer vorbereitet hat. Es werden Rind und Lamm, Würste, chilenische Rotweine, Salate und Cocktails serviert. Mit jedem Pisco Sour werden die gefangenen Fische größer, die überstandenen Abenteuer gefährlicher. Als das Feuer nur noch schwach glimmt, wird es kühl. Alle ducken sich in die Wollponchos, den Blick stumm nach oben gerichtet, wo am patagonischen Nachthimmel, die Sterne vor einem tintenschwarzen Hintergrund funkeln. Ein Gefühl von Erhabenheit macht sich breit. Die Gewissheit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und nirgendwo anders sein zu wollen.