Bürgenstock: Die Geschichte des Luxusresort
Es ist „Splash Hour“ im dampfenden Infinitypool, viele Badende halten ein Smartphone vor sich, ein Mann hantiert gar mit zwei Handys, um sich und die Kulisse in Szene zu setzen: den Open-Air-Pool hoch über dem Vierwaldstättersee und die glitzernden Lichter der Stadt Luzern in der Ferne. Ob Audrey Hepburn sich hier wohlfühlen würde? Und Sophia Loren? Würden die beiden heute auch an der Kante des Infinitypools posieren oder von der Blubberliege versonnen hinüberschauen zum Hausberg Pilatus und dem breiten Rücken des Bergmassivs der Rigi? Wohl kaum. Die Kinoikonen der 50er- und 60er-Jahre zogen Diskretion vor. Beide hatten ihre eigene Villa auf dem Bürgenstock, beide lebten einige Jahre auf dem Hotelberg mitten in der Schweiz, der schon damals eine nationale Institution war.
Aus dem Park-Hotel wird 2016 ein Neubau
Gegründet wurde das Hotel von zwei Unternehmern, die ihr Geld mit Holz und Straßen, Fabriken und Immobilien verdienten, gleichzeitig früh das Geschäft mit den Touristen witterten – und die einmalige Lage der Alp Tritt hoch über dem See erkannten. Am 8. Juni 1873 luden Josef Durrer und sein Schwager Franz Josef Bucher-Durrer dort zum „Eröffnungs-Diner von Hôtel Bürgenstock“, und zwar um ein Uhr nachmittags. Ein ambitionierter Termin, schließlich mussten die Gäste per Kutsche anreisen. 15 Jahre später spendierten die beiden dem Hotel die erste elektrische Standseilbahn der Schweiz, angetrieben von einem eigenen Kraftwerk. Bis heute ist das die schönste Art, sich dem Bürgenstock zu nähern: von Luzern aus mit der Fähre eine knappe halbe Stunde über den See bis Kehrsiten-Bürgenstock zu fahren und dann in der feuerwehrroten Bahn auf steilen Gleisen den Berg hinaufzurattern. Nur steht oben, in 900 Meter Höhe, nicht mehr ein historisches Grandhotel. An seiner Stelle ragt dort ein verspiegelter Riegel aus hellem Muschelkalk auf, mit viel Stahl und viel Glas, was gut mit den wechselnden Blautönen von See und Himmel harmoniert.
2007 übernahm der katarische Staatsfonds den Bürgenstock, ließ 2013 das Park-Hotel abreißen und an seiner Stelle The Contemporary auf den Felssockel setzen. 2016 war der Neubau fertig, und das Ergebnis mag Nostalgikern nicht gefallen, es ist aber durchaus beeindruckend. Um das hypermoderne Haupthaus und die gepflasterte Piazza verteilen sich historische Hotels, Villen, Suiten und Restaurants. Insgesamt zwölf Gebäude sind denkmalgeschützt. In den drei Hotels The Contemporary, The Heritage und Waldhotel gibt es insgesamt 348 Zimmer und Suiten. Auf der siebten Etage des Contemporary liegt die Royal Suite mit mehr als 300 Quadratmetern, Sofalandschaft, Klavier und Terrasse, über die sich im Sommer ein Sonnensegel spannen lässt. Das Bad hat Sauna und Whirlpool, dahinter kann man sich auf einer Liege massieren lassen. Zu buchen ab 18.000 Euro pro Nacht.
Restaurants und Pool für Tagesgäste zugänglich
Wer aus der Seilbahn zur Rezeption des Contemporary spaziert, findet sich in einer weiten Lounge mit Parkett und glänzenden Säulen wieder, an der hohen Decke leuchten Edelweiß-Sterne, aus den Sesseln schaut man durch die Glasfront über den See. Bei Inversionswetterlage sitzen die internationalen Gäste hier in der Sonne über dem Nebelmeer. Entrückter kann ein Hotel kaum sein. Und doch ist der Bürgenstock heute weit weniger abgeschottet als in den Tagen, als Hepburn und Loren dort logierten. Tagesgäste können in allen Restaurants mit sieben Landesküchen speisen, in der Zigarrenlounge eine der 300 Marken aus dem Humidor paffen oder sich durch die drei Etagen des Spa saunieren und baden. Sowohl das Bürgenstock Hotel Alpine Spa als auch das Waldhotel Spa stehen Tagesgästen offen.
Selbst am ikonischen Hollywoodpool fläzen sich heute Auswärtige mit dem grünen Gästearmband. Undenkbar früher, als dieser Pool selbst für die meisten Hotelgäste tabu war. Nur ausgewählte Mitglieder des Bürgenstock-Clubs durften sich hier bräunen, bei Modeschauen wurde die Terrasse zum Laufsteg. Im Sommer war der Pool einer der mondänsten Orte der Schweiz. Seine geschwungene Nierenform brachte Fritz Frey, dessen Vater den Bürgenstock 1925 gekauft hatte, von Reisen nach Kalifornien mit. Mitte der 1950er war sie in der Schweiz eine Sensation, ebenso wie das Poolhaus daneben. Außen herum ließ Frey Kiefern, Rhododendren und Rosen pflanzen, ein hübscher Kontrast zum Blick auf die weißen Gipfel von Stanserhorn, Titlis und Jungfrau.
Internationale Küche in sieben Restaurants
Heute ist dort dank Denkmalschutz fast alles unverändert. Nicht einmal eine Heizung für das Wasser durfte nachgerüstet werden. Nur das Becken ist nun seichter, das Sprungbrett längst abmontiert. Auch die Unterwasser-Bar sieht mit ihren Mosaikwänden und Bullaugenfenstern aus wie damals, als Sean Connery eine Szene für den James-Bond-Film Goldfinger drehte – die allerdings herausgeschnitten wurde. Fehlen nur die Nixen im Designer-Badeanzug, die auf alten Fotos vor den Bullaugen vorbeitauchen. Natürlich sind auch die beiden Hausdiven hier geschwommen. Schwarz-Weiß-Bilder in den musealen Korridoren zeigen Audrey Hepburn auf dem Tennisplatz, den Golfschläger schwingend an der Seite von Mel Ferrer, den sie 1954 in der Kapelle auf dem Bürgenstock heiratete. Sophia Loren spaziert mit Fritz Frey, der galant einen Schirm über sie hält, und sitzt im Golfclub, der nun die Osteria Alpina ist. Auf der Karte aber steht bis heute ihr Leibgericht: Pasta mit Tomatensauce, selbstverständlich nach Sophia Lorens Rezept.
All das gehört zum „Heritage“ und zur „History“, von denen Mike Wehrle gerne spricht. Seit 2017 leitet der Schwarzwälder die Restaurants und Bars auf dem Bürgenstock: die Taverne 1879, wo es Käsefondue und andere Schweiz-Klassiker gibt, das Parisa in Lorens umgebauter Villa, wo persisch gekocht und Wasserpfeife geraucht wird, und das Spices im kühn vorspringenden Glaserker, dem Blickfang des The Contemporary. Auf der Karte stehen chinesische, thailändische, indische und japanische Gerichte. Um die Landesküchen möglichst authentisch umzusetzen, hat Wehrle Köche aus den jeweiligen Ländern eingestellt, die er von früheren Stationen in Bangkok und Manila kannte. „So konnten wir schnell ein hohes Level erreichen“, sagt er.
Ein Biograf schreibt die Memoiren der Gäste
Zum 150. Geburtstag des Resorts kochte Wehrle im vergangenen Sommer ein Menü von 1904 nach, allerdings in moderner und leichterer Version, „mit drei Löffeln weniger Butter drin“. Aus dem gleichen Jahr stammt der gusseiserne Herd des Hotels, den er in Luzern fand und in die Küche der Brasserie Ritzcoffier stellte, zusammen mit schweren Kupfertöpfen und einer Entenpresse aus Silber. Im Speisesaal haben Stuckateure die Zierleisten über den alten Gemälden renoviert, bemalte Gipssäulen imitieren Marmor, so wie vor 100 Jahren. Wer den Glamour der frühen Bond- Filme sucht, geht ins Restaurant Oak Grill. Baumstammdicke Eichenbalken ruhen auf Granitsäulen, in einer Steinwanne liegen Champagnerflaschen im Eis, im wuchtigen Kamin knistert ein Feuer. Dazu leuchten dreistufige Glasperlen-Lichtsäulen, die aussehen wie Springbrunnen. Passend auch der Barjazz aus einer Zeit, in der man sich gerne Surf & Turf gönnte, das heute nur noch für zwei zu bestellen ist – schließlich liegen auf dem Teller ein 400-Gramm-Steak und ein ganzer Hummer.
Was auf allen Karten fehlt: der Château Palace, der Hauswein aus Solarisreben, die unterhalb der Hotels wachsen. Die bis zu 250 Flaschen pro Jahr werden nur zu besonderen Anlässen an Gäste verschenkt. Vielleicht an jene Kunden, die die zwölf Villen kaufen sollen, die mangels einer Genehmigung des Kantons weiter als Rohbau unter dem Spa stehen. Oder an die Gäste der Suiten im Grandhotel von 1873, dem Nachbarn des The Contemporary. Nach dem Renovieren blieb nur die Fassade erhalten, das Innere gleicht dem im Neubau: die Wände mit amerikanischem Nussbaum vertäfelt, die Schränke mit Leder bezogen, auf der Terrasse Liegen mit Bergblick. Manche Gäste leben das ganze Jahr hier, zum Spa gehen sie durch einen eigenen Tunnel. Andere lassen hier ihre Memoiren schreiben, auch dazu gibt es ein Angebot: 12.000 Franken kostet das Paket namens „Write your Memoirs“. Darin enthalten sind drei Übernachtungen, Massage und Dinner. Aber vor allem begleitet den Gast ein preisgekrönter Biograf und spricht mit ihm bis zu fünf Stunden über dessen Leben. Anschließend schreibt er es gekonnt auf, und man bekommt 20 Exemplare als Taschenbuch. Hätte es so etwas damals schon gegeben, Audrey Hepburn und Sophia Loren hätte es gefallen.