Michael Kliger: „Unsere Stärke liegt in der Beschränkung”
Seit Michael Kliger Mytheresa übernahm, hat sich der Umsatz des Onlinehändlers versechsfacht. Mit Damen-, Herren- und Kindermode sowie Schmuck und Living-Produkten von ausgewählten Luxusmarken hat Kliger im letzten Geschäftsjahr 841 Millionen Euro erwirtschaftet. Kürzlich hat das Unternehmen mit einem spektakulären Zusammenschluss Schlagzeilen gemacht: Mytheresa kauft den Rivalen Yoox Net-a-Porter, zu dem die Onlineshops Net-a-Porter, Mr Porter, The Outnet und Yoox gehören. Wir treffen den CEO in Mailand, wo er gemeinsam mit Tod’s zu einem exklusiven Event eingeladen hat. Der 57-Jährige trägt einen dunkelblauen Anzug und lächelt mit der Zuversicht eines Mannes, der seine Position an der Spitze des E-Commerce-Marktes gerade eindrucksvoll untermauert hat.
Herr Kliger, herzlichen Glückwunsch zu einem historischen Deal. Mit der Übernahme von Yoox Net-a-Porter wird Mytheresa zum E-Commerce-Giganten. Was bedeutet dieser Schritt für Sie?
Wir können damit unsere Relevanz steigern. Ich benutze das Wort Relevanz, weil es das ist, was im Luxusbereich einen Unterschied macht. Kein Kunde sagt: „Wow, ihr macht jetzt drei Milliarden Umsatz, deswegen kaufe ich bei euch ein.“ Wir können mit verschiedenen Onlinestores aber unterschiedliche Kunden ansprechen, das gibt uns viele neue Möglichkeiten.
Während Ihre Wettbewerber verkauft werden oder Insolvenz anmelden, wächst Mytheresa weiter. Was machen Sie anders?
Unsere Stärke liegt in der Beschränkung. Wir versuchen nicht, jedem Umsatz hinterherzurennen, sondern uns auf eine bestimmte Kundengruppe zu fokussieren und diese bestmöglich zu bedienen. Im Luxussegment unterscheidet man zwischen zwei Käufern: Die, die sich gelegentlich eine Tasche oder ein Paar Schuhe leisten, und die, die im Alltag einen hohen Bedarf an Luxusmode haben – auf diese Kunden konzentrieren wir uns.
Die Strategie scheint sich auszuzahlen.
Das tut sie. Mit unseren Topkunden erzielen wir 40 Prozent unseres Umsatzes.
Wer sind diese Kunden?
Unsere Kunden leiten Unternehmen oder sind in hohen Positionen tätig, reisen oft und führen ein Leben, das eine große Anzahl von Luxuskleidung erfordert. Sie werden häufig zu Veranstaltungen eingeladen und kaufen sehr anlassbezogen ein: für einen Geschäftstermin, eine Gala, einen Urlaub.
Bei Mytheresa werden sie dabei von Personal Shoppern unterstützt. Wieso?
Wir merken, dass sich die Loyalität deutlich verbessert, wenn jemand mit einem unserer Personal Shopper arbeitet. Kunden haben so einen direkten Ansprechpartner, der sie stilistisch berät oder sich darum kümmert, dass ihr Paket rechtzeitig ankommt. Der Shopper kennt den Terminkalender und die Vorlieben seiner Klienten und weiß genau, welche Marken für sie interessant sind und welche nicht.
Mit rund 250 Marken ist das Sortiment von Mytheresa vergleichsweise klein.
Man kann nur erfolgreich sein, wenn man sich fokussiert. Unser Kunde ist sehr beschäftigt und kauft online ein, weil es schnell geht. Deshalb ist es wichtig, dass Bestellung, Bezahlung und Versand reibungslos ablaufen. Dazu gehört auch, dass wir eine Vorauswahl treffen, damit der Kunde nicht zwischen 1000 weißen T-Shirts auswählen muss, sondern nur zwischen 60.
Topkunden geben bei Ihnen jährlich einen sechsstelligen Betrag aus. Was bekommen sie bei Mytheresa, was sie woanders nicht bekommen?
Wir arbeiten eng mit Luxusmarken wie Tod’s oder Valentino zusammen, um Capsule Collections zu kreieren, die es nur in unserem Shop zu kaufen gibt. Außerdem laden wir unsere Topkunden regelmäßig zu Veranstaltungen ein und gewähren ihnen Einblicke in eine Welt, zu der sie sonst keinen Zugang haben. Die meisten kommen aus der Automobil-, Chemie- oder Pharmaindustrie und haben mit der Modebranche wenig zu tun. Wir ermöglichen ihnen, ihren Lieblingsdesigner kennenzulernen, und versorgen sie mit Karten für dessen nächste Runway-Show.
Um die Zusammenarbeit mit Valentino zu feiern, haben Sie Aristoteles Onassis’ Megayacht gechartert. Beim Tod’s-Event durften Kunden hinter die Kulissen der Mailänder Scala blicken.
Bei unseren Events geht es darum, Erlebnisse zu schaffen, die man nicht für Geld kaufen kann. Das müssen wir auch, denn wenn wir Kunden einladen, geht es um das wertvollste Gut, was sie haben – um Zeit. Wir möchten ihnen dafür etwas Außergewöhnliches bieten und unsere Beziehung, die hauptsächlich digital und transaktionsbezogen ist, mit Emotionen aufladen.
Sie lernen auf diese Weise Kunden aus der ganzen Welt kennen. Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus diesen Gesprächen mit?
Unsere Kunden sind sehr wertschätzend, aber sie haben auch klare Anforderungen. Viele Neuheiten, die wir eingeführt haben, sind entstanden, weil Kunden uns ihre Bedürfnisse mitgeteilt haben. Da gab es etwa den Wunsch nach Kindermode, weshalb wir die Kategorie ins Sortiment aufgenommen haben. Oft kam die Frage auf, was man mit gut erhaltenen, aber nicht mehr getragenen Kleidungsstücken machen könne, also sind wir eine Partnerschaft mit Vestiaire Collective, einer Plattform für Secondhand-Luxusmode, eingegangen. Über unseren Service können Kunden Kleidung verkaufen, ohne sich um die Abwicklung kümmern zu müssen.
Durch den Zusammenschluss erhöht sich Ihr Umsatz auf drei Milliarden Euro. Unternehmen mit solchen Zahlen findet man sonst in London oder New York. Was hält Sie in München?
Ich bin Münchner, deswegen ist München für mich die schönste Stadt der Welt. Dass wir dort ansässig sind, liegt an unserer Firmengeschichte, die 1987 als Boutique in der Münchner Innenstadt begann. Wir definieren uns aber nicht als Münchner Unternehmen. Wir sind ein globales Luxusunternehmen mit Büros in Barcelona, London, Mailand, New York und Shanghai.
An der Boutique halten Sie bis heute fest. Welche Rolle spielt sie?
Natürlich ist die Boutique nicht mehr unser Kerngeschäft, aber sie versinnbildlicht, wo wir herkommen und was unseren Erfolg ausmacht: Unsere klare Fokussierung auf Stammkunden, denn die gilt stationär genauso wie online.
Was entgegnen Sie Stimmen, die behaupten, der Onlinehandel funktioniere nicht?
Der Handel passt sich seit Jahrhunderten den Einkaufsbedürfnissen der Menschen an. Früher hätte auch niemand gedacht, dass Kunden sich im Supermarkt selbst bedienen oder ihre Möbel eigenhändig zusammenbauen – und trotzdem ist es so gekommen. Waren online einzukaufen, ist ganz klar ein Kundenwunsch.