Kilian Hennessy: „Ich möchte nicht das H in LVM sein“
Herr Hennessy, eines ihrer ersten Parfums heißt „Love, don’t be shy“ – kennen Sie dieses Gefühl von Schüchternheit überhaupt?
Ich bin eine sehr scheue Person, ich liebe intime Runden und persönliche Gespräche. Ich zehre von der Energie anderer Menschen, sauge sie auf wie ein Schwamm. Wenn ich zu einer großen Gruppe sprechen muss oder wenn ich keine Verbindung mit meinem Gegenüber spüre, dann werde ich zu einem Eisklotz, dann fühle ich mich schüchtern.
Sie haben die traditionelle Kunst der Parfümerie studiert. Was braucht jeder Duft?
Maurice Roger, mein Mentor und Präsident von Dior Perfumes, sah die wichtigste Aufgabe eines Parfümeurs darin, neue olfaktorische Bereiche zu erschließen und nicht nur den bekannten Harmonien zu folgen. Wenn man anfängt, ein Parfum zu formulieren, beginnt man mit den zentralen fünf, sechs Noten, die den Akkord bilden. Dieser Akkord muss einzigartig sein. Mozart hat mal gesagt: „Ich suche nach kleinen Noten, die sich lieben.“ Und genau so gehen wir vor, wir suchen die kleinen Noten, die den Akkord lieben.
Aber muss man mit solchen Regeln nicht auch brechen?
Ja, stimmt. Als ich vor 16 Jahren Kilian Paris gegründet habe, begann ich mit den Regelbrüchen. Es war üblich, die Parfums nach der Hauptzutat zu benennen, ich habe aber mit Gefühlen gearbeitet. Dann wollte ich einzigartige Flaschen, die aufwendig produziert waren. Also habe ich die Flacons wiederverwendbar gemacht. Das entspricht auch meinem Motto: „True luxury should not be disposable.“ In unserer Branche ist Kopieren die Norm und dank der Geräte, die innerhalb von Minuten die Formel eines jeden Parfums analysieren, auch sehr einfach. Mein Kopierschutz: Für die Emotion, die der Name vermittelt, wähle ich eine sehr spezifische Note. Bei Smoking Hot verwende ich eine Tabaknote, die nur ein einziges Parfumhaus in Kentucky produziert. Dazu formuliere ich den Akkord mit einer Überdosis der teuersten Ingredienzien, was das Kopieren aufwendig macht.
Wie kreiert man denn einen begehrten Duft, einen begehrten Cognac?
Begehren kann man nicht schaffen. Begehren ist die Belohnung für ein gelungenes Produkt. Erfolgsgeschichten in meiner Branche sind oft Zufälle. Als ich bei L’Oréal gearbeitet habe, war Aqua di Giò for Men nur als limitierter Sommerduft geplant. Aber weil die neuen Emporio-Armani-Düfte Probleme mit dem Zerstäuber hatten, hat man die gebuchten Plätze, Plakate, Werbeslots für Aqua di Giò benutzt. So wurde aus dem limitierten Duft ein Dauerbrenner. Nicht wegen des Marketings, sondern weil es ein unvollkommenes Parfum war. Aber es ist mit Parfums wie mit schönen Menschen: Es ist das Imperfekte, das sie charmant macht.
Wollen Sie damit andeuten, dass es perfekte Parfums gibt?
Perfektion existiert nicht! Bei kleinen Düften erlaubt man sich mehr Kreativität, da dürfen Ecken und Kanten bleiben, die man für die großen nicht riskieren würde. 2008 habe ich mit nur 72 Flaschen, je zwölf Flaschen der sechs Düfte, angefangen. Da konnte ich mir was erlauben. Später war es viel beängstigender: Ich habe 13 Jahre gebraucht, bis ich bereit für mein Cognac-Parfum Angels’ Share war. Es ist von meinen olfaktorischen Erinnerungen an die Hennessy-Keller inspiriert, all den kleinen Nuancen, die einen guten Cognac ausmachen. Intuitiv wusste ich, das musste perfekt sein. Es ist mein persönlichster Duft, aber auch mein erfolgreichster.
Sie tragen den Namen Ihres berühmten Großvaters. Wie sind Sie aus dem Schatten des Namens getreten?
Die Beziehung zwischen Großvater und Enkel ist anders als zwischen Vater und Sohn. Mein Verhältnis zu meinem Großvater war immer sehr warm. Als ich angefangen habe, Parfums zu machen, hat er mich jeden Tag angerufen und gefragt: „Wie viele Flaschen haben wir heute verkauft?“ – Schließlich war es ja auch sein Name auf den Parfums. Für meinen Vater war es dagegen schwieriger, sie haben gleichzeitig an ihren Karrieren gearbeitet, und aus seinen Erfahrungen im Schatten meines Großvaters war mir früh klar: Ich würde nie mit Cognac arbeiten. Der Bildhauer Constantin Brâncuși hat gesagt: „Nichts wächst gut im Schatten eines hohen Baumes.“ Ich habe mich für eine Branche entschieden, in der ich den Schatten der Familie nicht gespürt habe. Deshalb musste ich es allein machen, nicht im LVMH-Konzern. Nach meinen Jahren dort war klar, dass ich nicht das H in LVM sein will.
Was ist Ihr persönlicher Luxus?
Mein Zuhause. Ich bin im November in mein Haus in Andalusien gezogen, das ich selbst gebaut habe. Jedes Detail dort habe ich bewusst ausgewählt. Ich reise sehr viel, sehe sehr viele schöne Hotels, aber es gibt keinen Ort auf der Welt, der besser ist als mein Zuhause.