Hugues Bonnet-Masimbert: „Rimowa war zu leise“

Seit 2021 ist Hugues Bonnet-Masimbert CEO von Rimowa. Wie er das deutsche Unternehmen noch erfolgreicher machte und welches ungenutzte Potenzial er darin sah, erzählt er im Interview. 
Text Detlef Dreßlein
Made in Germany: Rimowa stellt alle Koffer in Deutschland her.

Rimowa kennt man. Wenn nicht den Namen, so doch die metallenen Koffer mit den Rillen. 1898 gegründet, begann man in den 1930er Jahren, mit Aluminium zu experimentieren. Und weil im Krieg alle Werkstoffe zerstört wurden außer das Aluminium, wurde dies zum USP der Marke. 2017 übernahm LVMH die Kölner Koffermacher, seit 2021 ist Hugues Bonnet-Masimbert dort CEO. Und er brachte frischen Wind ins Gepäckfach – mit der Handtasche Original Bag. Und nicht nur das ...

Herr Bonnet-Masimbert, Sie sind seit 2018 bei Rimowa, seit drei Jahren als CEO. Wann hatten Sie Ihren ersten Rimowa-Koffer?

Erst als ich anfing, hier zu arbeiten. Da ich schon zuvor jahrelang in Deutschland gelebt hatte, kannte ich die Marke natürlich. Aber ich wusste, dass es noch dauern würde, bis ich mir einen solchen Koffer würde leisten können.

Sind Sie ein chaotischer oder ein strukturierter Kofferpacker?

Nein, ich packe sehr effizient. Da ich viel unterwegs bin, reise ich nach Möglichkeit nur mit Handgepäck. Wenn ich für fünf Tage nach China fahre, überlege ich mir wirklich, wirklich gut, was ich einpacke. Und ich stelle sicher, dass die Dinge gut aussehen, wenn ich sie aus meinem Koffer hole. Wenn ich allerdings privat unterwegs bin, dann lasse ich immer genug Platz im Koffer, um mir etwas mitbringen zu können.

Lebenslange Garantie: Gebrauchte Aluminiumkoffer werden bei Rimowa repariert, recycelt oder frisch aufbereitet.

Ein Koffer ist ja ein recht einfaches Produkt, im Prinzip seit Jahrhunderten unverändert. Was kann daran noch optimiert werden?

Na ja, es gab schon eine Evolution: So besteht Reisegepäck ja Gott sei Dank nicht mehr aus riesigen Schränken. Auch wenn ein Koffer heute ein Luxus- oder Modeartikel sein kann, so bleibt er doch vor allem ein Gebrauchsgegenstand. Ergo kann man alles verbessern, was diesen Gebrauch optimiert. Rimowa hat über Jahrzehnte immer wieder die Grenzen verschoben, was Gewicht, Stabilität der Räder oder Sicherheit betrifft. Und auch wir können uns noch steigern. Wir haben in Köln deshalb ein Qualitätslabor, wo wir unsere Produkte regelrecht quälen.

Quälen für noch bessere Qualität ...

Exakt. Man würde nicht glauben, an welchen Details wir wochenlang arbeiten, bis hin zum Geräusch des Kofferschlosses. Das führt oft zur regelrechten Neuerfindung der Produkte.

Was bedeutet Luxus bei einem Koffer?

Das Zusammenspiel von Know-how, von Performance und Design. Was Rimowa besonders macht, ist die Kombination aus Form und Funktion. Einerseits ein tolles Design, das man gern anschaut, andererseits dient es absolut seinem eigentlichen Zweck, nämlich persönliche Gegenstände der Reisenden aufzubewahren. Moderner Luxus bedeutet auch, dass wir extrem nachhaltig sind. Denn Aluminium ist nahezu unendlich recycelbar. Kunden können ihre gebrauchten Aluminiumkoffer bringen, und wir reparieren, recyceln oder bereiten sie auf, um ihnen ein zweites Leben zu schenken.

Die Entwicklung der Original Bag dauerte etwa zwei Jahre.

Ein Luxus ist auch die lebenslange Garantie, die Sie gewähren. Ist so etwas nicht schlecht fürs Geschäft?

Eine gute Frage. So gut, dass wir sie uns selbst immer und immer wieder gestellt haben. Viele sagten: „Hugues, dann kaufen die Leute doch nichts mehr. Sie haben dann ihre zwei, drei Koffer, und das war’s.“ Ich aber glaube, dass wir durch so ein Versprechen noch mal ganz neue Kunden gewinnen können. Und bestehende davon überzeugen, dass sie nur noch Rimowa brauchen. Die lebenslange Garantie ist ein Gamechanger, denn wir gewähren sie ohne Bedingungen. Wenn man das Kleingedruckte bei Garantien mancher Hersteller liest, so steht da drin, dass sie nicht haften, wenn das Gepäck von einer Airline beschädigt wurde. Ich meine, was soll das? Es ist ein Koffer! Er wurde fürs Reisen gemacht.

Wie genau funktioniert diese Garantie?

Mit einem Koffer können schlimme Dinge passieren: Er wird getreten, gestapelt, herumgeworfen, manchmal fällt er aus dem Flugzeug ein paar Meter auf den Asphalt. Wir verpflichten uns, alles zu reparieren, was dem Koffer angetan wird. Und das ist nicht ohne, schließlich verkaufen wir sie seit über einem Jahrhundert. Allein alle Ersatzteile und das Wissen zu haben, um einen 50 Jahre alten Koffer instand zu setzen, ist eine Herausforderung. Aber das wollen wir schaffen, eine lebenslange Reparaturfähigkeit.

2017 hat LVMH Rimowa übernommen. Was versprach man sich davon?

Alexandre Arnault, mein Vorgänger, und ich, wir sind ja schon seit einer Weile in diesem Geschäft. Und wir sahen, dass Rimowa viel ungenutztes Potenzial hatte. Das Unternehmen wurde über Jahrzehnte klug und mit viel Bedacht von der Familie Morszeck geführt. Und hatte ein Produkt, das sehr praktisch und gleichzeitig wahnsinnig schön ist. Solche „Zutaten“ sind selten und lassen einen schon aufhorchen.

Mit der Original Bag launcht Rimowa erstmals eine Handtasche. Preis: 1750 Euro.

Wo sahen Sie das ungenutzte Potenzial?

Ich kannte die Marke natürlich, weil ich schon länger in Deutschland gelebt hatte, und auch in Asien kennt sie jeder. Ganz anders war es in Italien, Frankreich oder Großbritannien, dort war Rimowa quasi nicht sichtbar.

Wo noch?

Rimowa war insgesamt zu leise. Es wurde zu wenig gemacht aus den tollen Eigenschaften. Erstens: Wir produzieren in Deutschland. „Made in Germany“, allein das ist ein starkes Markenzeichen. Zweitens, und das ist einzigartig in diesem Markt: Wir stellen alle Koffer, die wir verkaufen, auch selbst her. Und schließlich gibt es uns seit 126 Jahren, das macht uns zu einem der ältesten Gepäckexperten. In unserer langen Geschichte haben wir Gepäck hergestellt für Pferdefuhrwerke, für Autos, schließlich fürs Flugzeug. Wir haben uns ständig an neue Formen des Reisens angepasst.

Ihre „Krönung“ als CEO fiel in eine schwierige Phase für alle Branchen, die mit Reisen zu tun haben, die der Covid-Pandemie. Mit welchen Problemen hatten Sie Anfang 2021 zu kämpfen?

Ja, wenn Sie den Begriff „Krönung“ benutzen, dann kann ich sagen: Das Königreich litt doch gewaltig in dieser Phase. Es war schlimm. In meinem gesamten Arbeitsleben hatte ich noch nie ein Szenario, in dem die Geschäftsbilanz auf nahezu null absackte. Die Läden waren zu, niemand verreiste. Und wir hatten ein einziges Produkt: einen Reisekoffer mit vier Rädern. Es war ziemlich beunruhigend.

Wie haben Sie reagiert?

Es gab so vieles, was außerhalb unserer Kontrolle lag, sodass wir uns total auf das fokussierten, was wir noch kontrollieren konnten. Wir mussten uns radikal neu erfinden, uns fragen: Wie bleiben wir agil? Es ist zwar komisch, das zu sagen, denn Covid ist und bleibt eine üble Sache, aber: Es war Glück im Unglück. Denn wir gewannen in dieser Zeit eine gewisse Klarheit und formten unsere neue Strategie. Vieles, was uns heute ausmacht, wurde in diesen sehr anstrengenden Monaten geboren: das Re-Crafted-Programm, die lebenslange Garantie, der Rimowa Design Prize.

Was wird in den nächsten Jahren für Rimowa wichtig sein?

Innovation. Wir haben unsere Bemühungen in den letzten Jahren verdoppelt, ja, verdreifacht. Ende nächsten Jahres eröffnen wir zum Beispiel ein neues Innovation Lab in Köln. Das macht Rimowa seit Jahrzehnten aus: voranzugehen in Sachen Innovation.

Und die unmittelbare Zukunft?

Zunächst sind wir froh, dass die Original Bag im September erfolgreich gelauncht wurde, unser derzeit wichtigstes Kind. Zum ersten Mal stellen wir eine Handtasche her. Und mit einem ersten Mal gehen viele Herausforderungen einher. Das fängt schon damit an, dass wir ja viel Wert darauf legen, dass wir unterscheidbar sind. Aber wie soll man das sein, in einem riesigen Markt mit sehr, sehr hochrangigen Mitbewerbern? Also wollten wir eine Handtasche machen, die unverkennbar Rimowa ist und die einen 24 Stunden begleiten kann. Ins Büro, auf einen Cocktail oder auch zu einer Hochzeit. An all dem hatten wir doch zu knabbern. Aber ich finde, es ist sehr gut gelungen.

Was ist Erfolg für Sie?

Zufriedene Kunden. Alle unsere Kunden bekommen einen kleinen Fragebogen – mit Fragen zu ihrer Zufriedenheit und noch wichtiger: zu unseren Unzulänglichkeiten. Unzufriedene Kunden, auch das kommt vor. Ich lese deshalb täglich diese Kommentare und bin besessen davon, unsere Defizite zu beheben.

Ist es auch ein Erfolg, die Marke breiter aufgestellt zu haben?

Ja, vielleicht. Früher haben wir nur Koffer hergestellt, heute machen wir auch Handtaschen, Rucksäcke oder iPhone-Hüllen. Aber wir gehen immer Schritt für Schritt vor, gehen Expansionen sehr bedächtig an. Es dauerte zum Beispiel zwei Jahre, bis wir bereit waren, die Original Bag zu launchen. Wir sind nicht im Modegeschäft, wo jede Saison etwas Neues auf den Markt geworfen wird. Wir bleiben in den Gebieten, in denen wir uns wohlfühlen und auskennen.