Wie eine Harvard-Studentin zur Uhreninfluencerin wurde
Um zu erklären, wie die Pandemie den Absatz von Luxusuhren in die Höhe trieb, hat sich die Branche ein übergreifendes Narrativ zu eigen gemacht: Daheimgebliebene Uhrenliebhaber und Neueinsteiger hatten plötzlich nichts als Zeit -und zusätzliches Geld- um ihrer Leidenschaft zu frönen. Jaclyn Li ist die Verkörperung dieses Phänomens. Die Harvard-Studentin, die Psychologie und Wirtschaft studiert und während der Pandemie für eine Risikokapitalfirma in Singapur arbeitete, entdeckte 2019 ihr Interesse an Uhren. Während des Lockdowns im Jahr 2020 ging sie ihrer Leidenschaft nach und gründete zusammen mit vier anderen Uhrenliebhabern den Podcast „The Waiting List”. Seitdem hat sie einige der begehrtesten Armbanduhren auf dem Markt gekauft und gehandelt, darunter Vintage- und neue Modelle von allen großen Herstellern: Audemars Piguet, Cartier, Patek Philippe, Richard Mille.
Wie sind Sie zum Uhrensammeln gekommen?
Ich trage nicht viel Schmuck, außer der Uhr, die mir meine Eltern schenkten, als ich aufs College ging: eine Rolex Yacht-Master II mit einem Oysterflex-Armband. Ich hatte nie das Bedürfnis nach einer anderen Uhr, bis ich meiner Mutter etwas zu ihrem 50. Geburtstag schenken wollte. Ich kaufte ihr im Tiffany-Salon in New York eine Patek Philippe Annual Calendar 4947 mit Leinenzifferblatt. So viel hatte ich noch nie für etwas ausgegeben. Als ich sie ihr schenkte, wollte ich mir auch eine kaufen.
Haben Sie anfangs Fehler gemacht?
Ich habe eine alte Rolex Daytona auf eBay gekauft, eine 6234 Pre-Daytona aus den frühen 60er Jahren, weil sie die billigste war, die ich finden konnte. Sie hatte eine Patina auf dem Zifferblatt, die mir gefiel, aber sie hatte Abnutzungserscheinungen, die auf Fotos nicht gut zu erkennen waren. Als ich sie verkaufte, verlor ich eine Menge Geld.
Was ist der Schwerpunkt Ihrer Sammlung?
Ich begann während der Pandemie und hatte viel Zeit, mir Sachen anzusehen und zu lesen. Ich begann, in einem sehr schnellen Tempo Uhren zu erwerben. Im Nachhinein betrachtet, war ich ein wenig außer Kontrolle. Aber ich habe nur Stücke gekauft, um sie anzufassen und zu fühlen - vor allem alte Uhren von Cartier. Ich liebe die Geschichten, die mit älteren Dingen verbunden sind.
War das kurz bevor der Markt für Vintage Cartier explodierte?
Die Preise waren zu dieser Zeit sehr vernünftig. Cartier explodierte Ende 2020 und Anfang 2021. Als ich meine Cartier Crash Radieuse im Tausch erhielt, wollte niemand diese Uhr haben. Ich habe eine F.P. Journe Chronomètre Bleu plus Bargeld dafür eingetauscht, weil sie mir zu groß und zu schwer war.
Sie sind auch ein Fan von unabhängigen Uhrmachern. Vor kurzem haben Sie eine Uhr bei Kari Voutilainen in Auftrag gegeben, richtig?
Ich habe sie Ende 2020 in Auftrag gegeben und sie sollte im März 2022 fertig sein, bisher habe ich sie aber noch nicht erhalten. Meine Sammeltätigkeit verlief folgendermaßen: Vintage Cartier, Vintage Patek Philippe und dann, Ende 2020, habe ich begonnen, unabhängige Uhren zu entdecken. Ich habe eine Uhr bei Kari Voutilainen in Auftrag gegeben, dann ein Stück vom Atelier de Chronométrie in Barcelona.
Was war Ihr unerwartetster Kauf?
Ich habe gerade eine Richard Mille Tourbillon, die 74-01, gekauft. Ich hatte mich für Richard Mille interessiert, sah mich aber nicht als jemand, der eine besitzen würde. Sie sind so klobig und maskulin. Und die Damenuhren hatten eine Menge Diamanten. Tourbillons habe ich wegen des Preises nie in Betracht gezogen - sie sind eine ganz andere Liga.
Was haben Sie durchs Uhrensammeln gelernt?
Geduld zu haben. Vor allem, wenn ich Aufträge an unabhängige Marken erteile. Ich stehe jetzt auf einer Warteliste. Die Marke heißt Charles Frodsham und hat ihren Sitz in Großbritannien. Was mir an ihnen gefällt, ist, dass sie sich Zeit nehmen - sie stellen weniger als 10 Stück pro Jahr her. Als ich mich nach ihnen erkundigte, sagte man mir, ich müsse 10 Jahre warten. Darüber musste ich erst einmal nachdenken. Man weiß ja nicht, wie die Welt in 10 Jahren aussieht oder ob ich dann noch hier sein werde. Es geht wirklich um Vertrauen.