Warhols (Uhr-)Werke

Andy Warhol liebte nicht nur Kitsch aller Art, sondern auch raffinierte Uhren. Heute erzielen die gefragten Stücke aus seiner Sammlung längst Rekordpreise – wenn sie denn überhaupt zum Verkauf angeboten werden.
Text Mark C. O’Flaherty
Andy Warhol

Wie am Hof von Ludwig XIV., dem zu seiner Zeit alles überstrahlenden Sonnenkönig, suchten auch Andy Warhols Höflinge ständig nach der Bestätigung durch ihren bilderstürmerischen Freund und Förderer. Marc Balet, in den 1980er-Jahren Art Director bei Warhols Magazin Inter­view, erinnert sich noch gut daran, wie er seinen Chef mit einer neuen Armbanduhr, einer Jaeger-LeCoultre Reverso, beeindrucken wollte.

„Ich trug sie in der Factory“, sagt Balet. Die Factory war nicht nur Warhols Studio, sondern auch der Ort, an dem er Hof hielt, seinen engen und weiteren Kreis um sich versammelte. „Ich war so stolz und wollte, dass er meinen wertvollsten Besitz sieht, eifersüchtig wird“, erinnert sich Balet. „Aber Warhol warf nur einen Blick auf die Uhr und sagte schulterzuckend: „O ja, ich habe ein paar davon.“

Und ob er ein paar davon hatte! Nachdem Warhol 1987 an den Komplikationen einer Gallenblasenoperation verstarb, wurden 313 Uhren in seinem Nachlass gefunden. Zusammen mit mehr als 10.000 weiteren Objekten wurden sie 1988 bei Sotheby’s verkauft. Die Auktion hatte historischen Charakter, sie dauerte zehn Tage. Zum ersten Mal kam eine so umfangreiche Sammlung von Uhren des gleichen Besitzers auf den Markt.

Warhol Uhr

Die Neugier von Sammlern in aller Welt war geweckt: Der Wert dieser Uhren war jetzt nicht mehr an ihren Hersteller gebunden, er wurde durch ihre Geschichte, ihren Vorbesitzer, bestimmt. Dass Warhol sowohl einen exquisiten Geschmack als auch ein abenteuerliches Leben gehabt hatte, half da sicherlich.

Ganz anders als die Pop-Ästhetik, die er propagiert hatte, waren die Uhren, die er liebte, klassisch und raffiniert. Und anders als seine legendären Siebdrucke, die bei Auktionen immer und immer wieder auf- und abtauchen, werden die Uhren aus seiner Sammlung bis heute kaum weiterverkauft, was den Markt nur noch hungriger macht. Wenn dann doch mal wieder eine Warhol-Uhr zu haben ist, sind weltweite Schlagzeilen garantiert.

2019 verkaufte Christie’s eine Rolex Oyster 3525 in Edelstahl und Rotgold, wohl aus dem Jahr 1943, für rund 470.000 US-Dollar. „Das war der höchste Preis, den eine Warhol-Uhr je erzielt hat“, sagt Remi Guillemin, Uhrenexperte des Auktionshauses. „Wir haben sie weltweit in unseren Showrooms gezeigt, das Interesse war riesig. “Mit Pop-Art hat die 3525 wenig zu tun, umso mehr dafür mit Weltgeschichte.

Sie wurde als P.-O.-W.-Uhr (für Prisoner of War, Kriegsgefangener) bekannt. Rolex gab das Modell im Zweiten Weltkrieg an ehemalige britische Kriegsgefangene aus, als Ersatz für die Zeitmesser, die ihnen die Nazis weggenommen hatten – und das zunächst kostenlos. Bezahlt werden sollten die Uhren erst, wenn der Krieg beendet und gewonnen war. So richtig veredelt wurde jenes Exemplar, das Christie’s zum Rekordpreis verkaufen konnte, aber erst durch den Warhol-Touch: Ein ganz ähnliches Stück ohne prominenten Vorbesitzer spielte zwei Monate später bei Monaco Legend Auctions vergleichsweise dürftige 85.000 US-Dollar ein.

Wertzuwachs durch Warhol-Touch

„Sensationell wäre es, wenn eine der drei Tank-Uhren von Cartier aus Andys Nachlass zum Verkauf kommen würde“, sagt Guillemin. „Als 2017 eine Tank von Jackie Kennedy Onassis versteigert wurde, lag die höhere Schätzung bei 120.000 US-Dollar, verkauft wurde sie dann für 379.500 US-Dollar. Die Verbindung mit Warhol wäre ein ganz erheblicher Anreiz.“

Warhol Uhr

Dass das Exemplar von Jackie O. jetzt angeblich Kim Kardashian gehört, kann als Parabel zu den Promis der Gegenwart und dem Sieg des Geldes über die Glaubwürdigkeit verstanden werden. Von Warhol gab es zwar schon die legendäre Prophezeiung, dass „in der Zukunft jeder für 15 Minuten weltberühmt wird“. Tatsächlich war Ruhm zu seiner Zeit aber noch an Status gebunden, konnte nur schwer gekauft werden.

Welchen Mehrwert der weltberühmte Vorbesitzer einer edlen Uhr bietet, zeigt das Beispiel jener Rolex GMT-Master 1675, die Marlon Brando gehört hatte: 2019 wurde sie für sagenhafte 1,952 Millionen US-Dollar verkauft. Normalerweise ist so eine Uhr für weniger als 25.000 US-Dollar zu haben. Für eine Rolex 6538 James Bond Submariner, deren Schätzwert zwischen 180.000 und 280.000 US-Dollar lag, fand Sotheby’s dagegen – ebenfalls 2019 – keinen Käufer. Sean Connery hatte zwar das gleiche Modell in Dr. No getragen. Doch es war eben nicht die Filmrequisite selbst, die zum Verkauf stand.

Die goldene Warhol-Tank hatte man bei Sotheby’s ursprünglich für 4.950 US-Dollar kaufen können. 2012 wurden bei Leslie Hindman in Chicago schon 10 625 US-Dollar bezahlt. Und heute? Wer weiß. Unter allen Uhren aus Warhols Sammlung entspricht ihm die Tank vielleicht am ehesten.

Ihr minimalistischer grafischer Stil passt zur schwarzen Halston-Garderobe des Künstlers. „Warhol hatte eine Leidenschaft für Ikonen“, sagt Cameron Barr, Gründer und CEO von Craft & Tailored, dem Online-Showroom für Vintage-Uhren. „Er liebte Dinge, die genauso einfach wie raffiniert waren.“ Viele Fotos zeigen ihn mit der Cartier Tank Louis. Sie wurde bis 1918 entwickelt, doch ihr Design ist zeitlos. Wie auch Warhol selbst sagte: „Ich trage keine Tank, um die Zeit abzulesen. Tatsächlich ziehe ich sie nie auf. Ich trage eine Tank, weil das einfach die Uhr ist, die man tragen sollte.“ Klare Ansage.

Die Autorin und Familienhistorikerin Francesca Cartier Brickell erinnert sich an ein Gespräch mit einem Uhrendesigner, der unter ihrem Großvater Jean-Jacques Cartier (zwischen 1945 und 1974 verantwortlich für die Filiale in London) gearbeitet hatte. Er beschrieb den Stil des Hauses als „die Abwesenheit von unnötigen Kinkerlitzchen“. „Die Tank ist das perfekte Beispiel für diesen ‚Weniger ist mehr‘-Ansatz“, sagt sie.

313 Uhren hatte Warhol gehortet – und teilweise in seinem Himmelbett versteckt

Warhol Uhr

Warhol war Künstler, Verleger und Sammler. Seine Fähigkeiten variierten in den verschiedenen Kategorien, sie reichten von handwerklich begabt bis genial. Allein sein Name konnte einen neuen Markt kreieren. Als er anfing, Artdéco-Möbel zu kaufen, rannten seine Jünger in die Geschäfte, um ihm nachzueifern. Sein Geschmack für Uhren war dabei besonders klar. „Ganz offensichtlich war er von den Designaspekten der Uhrmacherei besessen“, sagt John Reardon, ehemaliger Leiter der Uhrenabteilung bei Christie’s, heute Gründer von Collectability, einem Online-Marktplatz für Vintage-Exemplare von Patek Philippe.

„Bei Patek Philippe sehen wir Warhols Vorliebe für klassische Calatravas genauso wie für avantgardistischere Stücke wie die Gilbert Albert Ricochet. Das Stück, das ich am liebsten wieder auf einer Auktion sehen würde, ist seine Patek Philippe 2526 mit Emaille-Zifferblatt und der Händlersignatur von Serpico y Laino Caracas. Seine 2503 wurde 2016 für 75.000 US-Dollar versteigert, die 2526 von Warhol könnte also einen Rekordpreis bringen.“

Die Geschichte seiner 313 Uhren starken Sammlung ist so faszinierend wie viele andere Episoden in Warhols Leben – und sie spiegelt das zutiefst exzentrische Verhalten des Künstlers perfekt wider. Sobald er das nötige Geld dafür übrig hatte, begann Warhol schon in jungen Jahren, Uhren zu kaufen. Er stylte sie oft in besonderer Warhol-Art, trug über seiner Hemdmanschette häufig eine Damen-Rolex. Wie viele Uhren er tatsächlich angehäuft hatte, wusste aber selbst in seinem engsten Kreis niemand.

„Die ersten Uhren wurden im Stoffdach seines Himmelbetts gefunden“, sagt Daryn Schnipper, Senior Vice President bei Sotheby’s in New York. Schnipper hatte erst die Auktion im April 1988 geleitet und dann, sieben Monate später, den Verkauf einer zweiten Charge, die man im Geheimfach eines Aktenschranks entdeckt hatte. „Wir müssen uns klarmachen, dass das die frühen Tage des Uhrenmarkts waren“, sagt sie. „Die Uhren wurden damals wirklich nur wegen Warhol gekauft.“

Patek Philippe, Ref. 3448

Paige Powell, eine von Warhols engsten Freundinnen und Angestellten – die beiden planten sogar, gemeinsam ein Kind zu adoptieren –, waren schon viele Kunstwerke geschenkt worden. Trotzdem ging sie damals dann zur Uhrenauktion. „Ich habe eine Uhr aus den 1950er-Jahren gekauft, mit Gene Autrys Gesicht drauf, für 1.800 US-Dollar“, erinnert sie sich. Powell schätzte die Uhr als bleibende Erinnerung an Warhol, der als Jugendlicher die Sammelbilder von Gene Autry und dessen Filmpartner Roy Rogers geliebt hatte.

Die große Sammelleidenschaft blieb dem erwachsenen Warhol erhalten. Manchmal saugte er regelrecht auf, was Märkte und Händler hergaben – neben Uhren auch Keksdosen, indianische Kunst und Gebrauchsgrafiken. Als Sohn russinischer Einwanderer aus der Arbeiterklasse nutzte er seinen neuen Wohlstand, um wertbeständige Uhren mit großen Namen zu kaufen. Er kannte die besten Händler der Welt und machte das Uhrenshopping zu einem Sport. Mit ihm auf die Jagd ging häufig sein Freund, der Kunsthändler und Sammler Todd Brassner, der 2018 bei einem Feuer im New Yorker Trump Tower starb.

Warhol liebte Wiederholungen, in seiner Kunst genauso wie bei seinen Uhren. Variationen bestimmter Designs, wie das der Tank, erscheinen in seiner Sammlung immer wieder. Das Gleiche gilt für bestimmte Formen, etwa die rechteckigen Zifferblätter von Audemars Piguet und Patek Philippe aus den 50er- und 60er-Jahren, die damals noch sehr schwer herzustellen waren.

Warhol investierte auch in Uhren mit detaillierten Grafiken, etwa bei der Anzeige der Mondphasen auf einem Exemplar von Patek Philippe (circa 1970, 1988 verkauft für 22.000 US-Dollar) und bei einer großen goldenen, ovalen Armbanduhr von Cartier/Audemars Piguet mit verzerrten Ziffern, die aussehen, als wären sie aus einem Dalí-Gemälde gesprungen (von 1973, verkauft für 37.400 US-Dollar).

12,5 Prozent beträgt der jährliche Wert-Zuwachs von Warhol-Arbeiten seit 2010

Neben den Klassikern tauchten in seiner Sammlung faszinierende Experimentalstücke auf, darunter eine goldene Spiralarmbanduhr von Bulgari, der Vorgänger der Bulgari Serpenti Tubogas. Bei der Auktion von 1988 brachte sie 9.900 US-Dollar ein (alles, was über der Marke von 5.000 US-Dollar lag, galt damals als hochpreisig).

Von den Marken, die Warhols Sammlung definierten, sind Cartier und Piaget besonders bemerkenswert. Piaget hatte eigene Käufer zur 1988er-Auktion geschickt, die fünf von sieben Losen der Marke für das Firmenarchiv in Genf erwarben. Heute lässt sich der Markt für Warhols Uhren nur schwer mit dem für seine Kunst vergleichen.

Warhol Uhr

Die Preise für seine Bilder und Drucke schossen bis 2007 in die Höhe, fielen dann 2008 – wie fast alles andere in der Kunstwelt. Seit 2010 sind sie wieder stetig gestiegen, nach Artnet mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 12,5 Prozent. Warhols Werk Silver Car Crash (Double Disaster) von 1963 wechselte 2013 für 105,4 Millionen US-Dollar den Besitzer. Es gibt aber auch immer noch Werke zu Einsteigerpreisen. Ebenfalls 2013 begann Christie’s mit „Flash-Auktionen“ von Tausenden kleineren Arbeiten, viele sind heute noch für unter 10.000 US-Dollar zu haben.

Für eine vergleichbare Marktanalyse bei den Warhol-Uhren fehlt es schlicht an einer ausreichenden Anzahl von Transaktionen. Man weiß natürlich, wie sehr eine seltene Patek Philippe geschätzt wird. Aber welchen Mehrwert dann die Warhol-Herkunft bringt, kann niemand genau beziffern. Diese Uhren haben eine unglaublich glamouröse Geschichte, und sie kosten, was immer ein Warhol-Anbeter zu zahlen bereit ist. In gewisser Weise sind Warhols Uhren sogar seltener als seine Kunstwerke. Es gibt zahllose Maos oder Marilyns, aber nur eine silberne Fliegeruhr von Longines/Wittnauer aus dem Jahr 1930, die Warhol besessen hat.

In "Warhol", der neuen, epischen, 1232 Seiten starken Biografie von Blake Gopnik, wird die ausufernde Sammelleidenschaft des Künstlers mehrfach thematisiert. Warhol, so heißt es, lief gern mit einer Brusttasche voller Diamanten durch die Gegend. Der exzentrische Künstler genoss es einfach zu wissen, dass sie da waren.

In den letzten Jahren seines Lebens widmete sich Warhol verstärkt der „Business Art“. Er gab seinen Namen immer mehr für Projekte her, an denen er kaum beteiligt war. In gewisser Weise waren die Auktionen von 1988 der eindrucksvollste Ausdruck dieser Kategorie. Hunderte von Menschen boten für Uhren, weil Warhol sie ausgesucht, berührt, vielleicht sogar getragen hatte. An jenen Auktionstagen machte Andy Warhol das klassische, solide Uhrmacherhandwerk sexy – und schuf so postum einen neuen Markt.

Luxusuhren