Das Comeback der Dresswatch

Trendwende auf dem Uhrenmarkt: Wuchtige Sportuhren werden abgelegt, gefragt sind jetzt elegante Anzuguhren. Um deren wahren Wert zu erkennen, braucht es manchmal ein feines Auge.
Text Victoria Gomelsky
Die Parmigiani Fleurier Toric Petite Seconde kostet in der roségoldenen Ausführung mit grünem Band 50.600 Euro.

Runter vom Handgelenk, rein in die Schublade: Der Hype um die Sportuhr ist endgültig vorbei. Stattdessen schlägt die Stunde der kleinen, schlanken Dresswatch. Ob schlichtere Modelle wie die Patek Philippes oder auffälligere wie die von Cartier – zum ersten Mal seit Jahrzehnten sind elegante Anzuguhren wieder gefragter als die robusteren Sportzeitmesser. „Der Trend hat sich gedreht“, sagt David Hurley, stellvertretender CEO des Uhrenhändlers Watches of Switzerland.

Nachfrage nach dezenten Anzuguhren steigt

Die Patek Philippe Calatrava Ref. 96 mit schwarzem Zifferblatt wurde von 1932 bis 1973 hergestellt.

Noch vor wenigen Jahren, zu Beginn der Pandemie, stiegen Sportuhren wie die Rolex Daytona, die Patek Philippe Nautilus oder die Audemars Piguet Royal Oak stark in der Gunst der Käufer. Zu Beginn des Jahres 2022 zahlte man für manche hochkarätige Stücke das Fünffache ihres Listenpreises. Wenige Monate später, im Mai, fielen die Preise dann wieder, unter anderem als Reaktion auf den Crash der Kryptowährungen. Was folgte, war ein Exodus von Spekulanten, die sich nur deshalb für Sportuhren interessiert hatten, weil sie auf schnelle Gewinne hofften. Doch auch viele Uhrenenthusiasten hatte die Aussicht auf ordentlichen Wertzuwachs gelockt. 

Jetzt, nachdem die Blase geplatzt ist, kaufen sie wieder die Modelle, die ihrem tatsächlichen Geschmack entsprechen. „Dresswatches und Marken mit klassischen Modellen wie Jaeger-LeCoultre werden heute stärker nachgefragt“, sagt David Hurley. „Eine Uhr, die ich gerade wie verrückt kaufe und verkaufe, ist die Patek 96“, berichtet Vintage-Händler Mike Nouveau. „Das war die erste Calatrava überhaupt, sie wurde 40 Jahre lang hergestellt.“

Besonders beliebt: Modelle von Cartier

Diese Audemars Piguet gilt als Beispiel für die reduzierte Uhrenkunst zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Neben Calatravas seien vor allem Cartiers und Vintage-Modelle von Vacheron Constantin gefragt, berichtet der Uhrenhändler Eric Wind. Die kleineren Anzuguhren seien Ausdruck von subtilem Luxus – und nebenbei auch sicherer als eine wuchtige Sportuhr. „Noch vor zehn Jahren wussten nur Insider, wie eine Nautilus aussieht. Heute erkennt sie jeder Mensch auf dem Planeten. Und damit jeder Kriminelle“, sagt Wind. 

Er kennt allein zwei Menschen, denen ihre Patek Aquanaut vom Handgelenk gestohlen wurde. Einem anderen Kunden sei in Brüssel eine goldene Rolex Day-Date entwendet worden. „Solche Modelle fallen eben sofort auf“, sagt Wind. „Um den Wert einer alten Dresswatch zu erkennen, braucht es dagegen ein ganz feines Auge. Für echte Enthusiasten, die dieses feine Auge haben, ist der leiseste Luxus dann das lauteste Statussymbol.“

Schlanke Lederarmbänder sind im Trend

Diese Vacheron Constantin aus den 1950er-Jahren erinnert in ihrer Formgebung an alte Taschenuhren.

Zusammen mit den Dresswatches sind auch schlanke, klassische Lederarmbänder wieder sehr gefragt. Ausgesprochen beliebt seien derzeit die Bänder von Jean Rousseau aus Paris, sagt Uhrenhändler Wind. Als Statement besonders eindrucksvoll und zugleich subtil: ein Armband mit nur einem einzigen Loch, das perfekt ans Handgelenk seines Trägers passt. 

Da Dresswatches in ganz unterschiedlichen Designs –vom schlichten Dreizeigermodell bis hin zum ultrakomplizierten Meisterwerk– geliefert werden, sprechen sie Sammler mit unterschiedlichen Vorlieben an: Wer die nüchterne deutsche Uhrmacherkunst schätzt, begeistert sich für eine Saxonia von A. Lange & Söhne. Leidenschaftliche Minimalisten lieben die neue Toric-Kollektion des Boutique-Herstellers Parmigiani Fleurier. Und Fans abseitigerer Marken schätzen die durch Patek inspirierten Zeitmesser von Kikuchi Nakagawa aus Tokio.

Auch Rolex führt Dresswatch ein

Sogar traditionell sportliche Marken folgen nun dem neuen Trend hin zu den Dresswatches. So stellte Audemars Piguet im Mai die [Re]Master02 vor: Mit ihrem mattblauen Alligatorlederband und dem extradünnen Werk ist die Uhr eine minimalistische Hommage an ein Modell aus den 1960er-Jahren. Rolex pflegt unterdessen seine neue Perpetual-1908-Kollektion. Im vergangenen Jahr eingeführt, wurde sie Anfang dieses Jahres um ein 39-Millimeter-Platinmodell mit eisblauem Guilloche-Zifferblatt und braunem Alligatorlederarmband erweitert. Von der typisch wuchtigen Formgebung, die die Sportuhren der Marke auszeichnet, ist bei dieser 1908 nichts zu sehen: Sie gibt sich so dezent, wie man sich eine Dresswatch wünscht.