Dieser Mann hütet das Erbe von Cartier
Pierre Rainero ist seit fast vier Jahrzehnten Teil des Traditionshauses. Rainero sucht, kauft und archiviert in seiner heutigen Rolle als Image, Style, und Heritage Director wertvolle Preziosen, die den Stil der Uhren und Schmuckstücke der Pariser Marke prägten. Rainero wird immer ein Pionier bleiben. Denn Cartier war eine der ersten Marken, die explizit einen Heritage Director einsetzten – lange bevor der Hype um die Vintage-Uhren eine Nachfrage wie heute erfuhr. Ein kurzer Blick auf die Zahlen des Unternehmens gibt preis, was der jährliche Uhrenbericht von Morgan Stanley bestätigt: Cartier gilt heute als die zweitgrößte Uhrenmarke der Welt, gemessen am Umsatz, hinter Rolex.
Vintage-Uhren und Neuheiten gleich begehrt
Interessant ist, dass bei Cartier Vintage-Uhren und neue Modelle gleichermaßen die Käuferschaft begeistern. 2022 erzielte eine Crash mit 1,4 Millionen Euro bei einer Auktion einen neuen Rekordwert für die Marke, während andere ausgefallene Modelle von Tyler, the Creator, Jeff Goldblum oder Henry Golding medienwirksam getragen werden. Allerdings: alles ohne die plakativen Botschafterverträge, die man sonst aus der Luxusszene kennt. Zeitgleich befeuert der Vintage-Hype die Nachfrage nach neuen Modellen, wie in diesem Jahr der legendären Tank oder der einstigen Fliegeruhr Santos-Dumont. Das Ergebnis: Die Modelle, wie etwa die Tank Normale der Cartier-Privé-Kollektion, die stark an das Ursprungsmodell von 1917 angelehnt ist, waren nur über Wartelisten zu haben. Die Plätze blieben nur treuen Kunden vorbehalten.
Aber auch die nicht limitierten Uhren, wie jüngst die Baignoire vor ihrem Launch im Juni, sollen Warteliste haben. Kurzum, der Cartier-Hype geht weiter. Dieser Erfolg ist unter anderem Raineros Expertise zu verdanken: Er hat das Mitspracherecht bei jeder Produktentwicklung, bei der Nutzung des unschätzbaren Archivs und der Kommunikation der Maison. Im Gespräch mit Robb Report erzählt der Haushistoriker und Manager, wie Cartier es geschafft hat, bis heute die Richtung beizubehalten, die von Anfang an festgelegt wurde.
Herr Rainero, Cartier wurde 1847 gegründet und hat seitdem die Luxuswelt maßgeblich geprägt. Vor allem in den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Wahrnehmung und die Definition von Luxus stark verändert. Wie schätzen Sie die Veränderungen ein?
Die Welt des Luxus, wie wir sie kennen, ist ungefähr 50 Jahre alt. Früher war der Zugang dazu sehr viel eingeschränkter, also die Zahl der Boutiquen der sogenannten Luxusmarken war sehr begrenzt. Heute hat jede wichtige Stadt ihr Luxusviertel. So ist die Wahrnehmung von Luxus und der gesamten Kultur omnipräsenter geworden. Was eine gute Entwicklung ist. Denn Kunden sind besser informiert, haben höhere Ansprüche, und dadurch verändert sich die Branche in die richtige Richtung. Daraus ergibt sich für uns der Anspruch, die Grenzen der Handwerkskunst zu übertreffen. Trotzdem müssen Marken authentisch bleiben. Es bringt nichts, etwas vorzugeben, das man nicht ist. All diese Umstände begünstigen die Originalität und die Einzigartigkeit, welche die Branche ausmachen.
Luxus ist aber auch eine Frage von Qualität, sodass ein Produkt über Generationen erhalten bleibt.
Dieser zusätzliche Gedanke ist eine relativ neue Entwicklung. Eine unserer Aufgaben, sozusagen unsere Mission, ist es, Freude und Begeisterung im Leben zu gewährleisten. Ein Teil dieses Vergnügens ist die Vorstellung, dass man das, was man kauft und was man besitzt, für eine lange Zeit erlebt und es sogar mit einem höheren Wert vererben kann.
Vintage-Uhren von Cartier erzielen Rekordpreise bei Auktionen. Wie gehen Sie vor, damit nicht nur historische Uhren diese Begehrlichkeit hervorrufen?
Wir verfolgen eine Philosophie, die ich als die des schönen Objekts bezeichnen würde. Zur Inspiration sehen wir uns natürlich auch andere Kunstformen an. Aber wie Ettore Sottsass sagte, als wir mit ihm für eine Uhr zusammenarbeiteten: „Als Architekt wird man immer ein kleines Stück Architektur entwerfen. Nur Juweliere können ein echtes Schmuckstück herstellen.“ Darum behalten wir immer im Hinterkopf, welchen Zweck unsere Kreationen erfüllen sollen. Für uns ist alles 3-D. Die Größe einer Uhr ist der Schlüssel. Das ist eine Herangehensweise aus der Welt des Schmucks, denn als Juwelier weiß man, dass ein Schmuckstück sich an den Körper und seine Bewegungen anpassen muss – und so ist es auch bei unseren Uhren. Deshalb gibt es bei Cartier so viele geschwungene Uhren. Oder ein Blick auf die neue Tank Américaine, deren Design bis heute reduziert ist, mit ihren zwei parallelen Linien, die die beiden Teile des Armbands verbinden.
Diese Gedanken bei der Neuinterpretation von Designs sind aber nicht das einzige Erfolgsrezept von Cartier, das das Haus heute an die Spitze der Branche gebracht hat, richtig?
Ein Geheimnis ist, dass sich bei uns immer noch alles um die Schönheit dreht. Und natürlich um die Handwerkskunst. Bedeutend ist aber die Idee, dass man unsere Uhren im Alltag tragen kann, ohne dass sie einen einschränken. Sie müssen funktionieren. Wir waren nicht die Ersten, die die Idee hatten, Uhren am Handgelenk zu tragen. Aber wir haben als Erste Uhrenmodelle gestaltet, die spezifisch für eine Funktion erdacht waren. Einige Schmuck- oder Luxusmarken haben das nicht vor Augen. Sie sehen ihre Kreation nur als Statussymbole und nicht den Alltag, den man mit seinem Stück durchlebt. Eine Santos aus Stahl ist etwa eine Uhr, die elegant ist und die man dennoch den ganzen Tag tragen kann. Beim Sport, beim Tauchen im Pool und bei der Arbeit. Unser Erfolg hängt also nicht nur mit Eleganz zusammen, sondern meiner Meinung nach auch mit dem sehr guten Verständnis für die Entwicklung der aktuellen und der zukünftigen Lebensstile.
Da Sie gerade die Zukunft ansprechen. Sehen Sie die Digitalisierung als Chance oder als Bedrohung?
Die Digitalisierung hat viele gute Aspekte. Ich erwähnte bereits die besser informierten Kunden, da ist das digitale Wissen ein großer Vorteil. Aber es ist auch intern für uns eine große Hilfe. Wenn ich zum Beispiel an die Verantwortung denke, die ich habe, für das Erbe und die Archive. Es ist unglaublich, was uns die Digitalisierung ermöglicht hat. Erstens in Bezug auf die Erhaltung der Archive und zweitens, weil wir auf diese Daten einfacher zugreifen und sie verwerten können.
Und eine persönliche Frage zum Abschluss: Welches Luxusstück haben Sie sich zuletzt gegönnt?
Eine Santos-Dumont mit blauem Zifferblatt.