Bucherers Coup
Die Uhrenbranche zählt zu den anspruchsvollsten überhaupt. Seit Jahrzehnten diktieren die Nobelmarken nicht nur die Preise, Absatzkanäle und Stückzahlen, sondern gängeln Konzessionäre und Uhrenkunden mit Auflagen. Manchmal muss man sich sogar um ein Liebhaberstück inklusive Berufsangaben schriftlich bewerben, obwohl man bereit ist, einen sechsstelligen Betrag zu investieren. Markenstrategie nennen das die einen, Arroganz die anderen.
Inzwischen ist jedoch ein neuer Zeitgeist angebrochen. Vor allem finanzkräftige Millennials und versierte Uhrensammler lehnen die selbstverliebten Allüren mancher Luxuslabels immer häufiger ab. Sie verlangen Transparenz, faire Gegenwerte und emanzipieren sich. So entwickelte sich auch durchs Internet ein riesiger Parallelmarkt für gebrauchte Uhren. Auf etwa 15 Milliarden Euro schätzt Bain & Company das jährliche Marktvolumen, somit größer als jenes mit neuen Uhren. Tendenz stark steigend, weil viele in Zeiten der Nullzinspolitik Zeitmesser als alternative Wertanlage betrachten. Da liegen die Vorteile beim Onlinehandel auf der Hand: Als Uhrenfan weiß man schnell, für wie viel und wo es die Wunschuhr zu kaufen gibt. Der Nachteil: Fotos und Beschreibung allein vermitteln keinen zuverlässigen Eindruck vom Zustand. Oft sind Modelle gefälscht – zumindest teilweise, indem das Gehäuse und Armband original sind, jedoch das Kaliber ein anderes.
Dieses Dilemma und die neuen Kundenbedürfnisse hat Bucherer längst erkannt und unternimmt seit über drei Jahren einen cleveren Schachzug nach dem anderen. Erst kaufte der Juwelier, mit Guido Zumbühl als CEO an der Spitze, die britische Kette The Watch Gallery, dann in den USA den größten Uhrenhändler Tourneau samt E-Shop für Vintage-Modelle. Prompt katapultierte er damit das Schweizer Familienunternehmen, das der 84-jährige und alleinige Besitzer Jörg Bucherer vom Stammsitz in Luzern regiert, zum größten Uhrenverkäufer der Welt. Geschätzter Jahresumsatz 1,6 Milliarden Euro, selbst kommuniziert Bucherer keine Zahlen. Außer dass man schon zuvor den ersten Platz als weltweit größter Rolex-Händler innehatte.
Prüfung von Profis
Man kann den Schritt nun als einzigartigen Rundum-sorglos-Service oder Branchencoup bezeichnen: Seit einem Jahr bietet Bucherer Pre-Owned-Uhren on- und offline an. Bis auf die renommierten Auktionshäuser eine bisher nie da gewesene Seriosität. Schließlich genießt der Uhrenhändler mit seiner 132-jährigen Geschichte ein weit größeres Vertrauen und Autorisierungen von Manufakturen im Gegensatz zu jedem Uhren-Start-up. Doch damit gibt sich Bucherer nicht zufrieden: Jedes Exemplar wird auf Originalität von geschulten Experten auch innen geprüft, die Technik von Uhrmachern gecheckt, wenn nötig repariert und einer Revision unterzogen. Letztendlich erhält jedes Modell eine Zwei-Jahres-Garantie, zudem ein Echtheitszertifikat und wird als Certified Pre-Owned (CPO) geadelt.
„Sicherheit, Garantien und Vertrauen sind den Käufern am wichtigsten. Zum einen, dass sie keinen versteckten Mängeln oder einem Plagiat aufsitzen, zum anderen, dass ihr Geld nicht verschwindet und die Transaktion seriös abgewickelt wird“, sagt Odilo Lamprecht. Der 33-Jährige leitet bei Bucherer den europäischen CPO-Markt und hat ein Gespür für Zeitgeist. Momentan sind weit über 1000 CPO-Exemplare von 25 Marken im Portfolio. Allen voran Rolex und Audemars Piguet, aber auch Omega, Breitling, Hublot und A. Lange & Söhne sind darunter. Die teuersten Verkäufe liegen weit über 50 000 Euro, zu den Highlights zählte eine extrem seltene Paul Newman Daytona. Nicht nur online werden die CPO-Modelle angeboten, jedermann kann sie sich zur Ansicht in eine der 36 Bucherer-Boutiquen, verteilt auf sechs Länder, bestellen. Zehn davon in Deutschland. Zudem lockt der Juwelier in Hamburg, Düsseldorf und seit September auch in München in bis zu 100 Quadratmeter große CPO-Apartments.
Nicht bequem werden
„Hierbei geht es uns um Kundennähe, transparente Informationen und Vertrauen statt um Show, Gold oder Pomp“, meint Lamprecht. Weder Glasvitrinen als Distanzhalter noch dressierte Verkäufer empfangen hier. Dafür Wohlfühlatmosphäre, eine Bar, bequeme Loungesofas und gekonnt gemixte Gin Tonics. Über 100 Exponate präsentieren sich offenherzig zum Anprobieren. Meist sind Preis und Produktionsjahr angeschrieben, mittels QR-Code werden weitere Informationen geliefert. Auch Fachsimpeln ist gewünscht. Die jungen Mitarbeiter sind Uhreninsider mit erstaunlichem Hintergrundwissen, oft sind sie „sogar selbst von der Sammelleidenschaft ergriffen“, verrät Europas CPO-Chef. Moderne Kunden bevorzugen einen Austausch unter Kennern, und „sie möchten kein reines Luxusprodukt, sondern auch eine Geschichte und ein Gefühl dazukaufen“. Selbst individuelle Wünsche werden entgegengenommen – ob ein IWC-Chronograph aus dem Geburtsjahr oder eine goldene Cartier aus dem Hochzeitsjahr. Bloß nicht bequem werden, sondern an den Kundenbedürfnissen dranbleiben lautet die Devise. Um Uhrenliebhaber zusammenzubringen, veranstaltet man Community-Events wie Saturday at Bucherer und wechselnde Kunstausstellungen.
Dieses Gesamtkonzept der Gallerys sowie der CPO-Boutiquen kommt derart gut an, dass es an anderen Standorten ausgebaut wird. Noch dieses Jahr soll zur Berliner Friedrichstraße eine weitere CPO-Boutique im KaDeWe eröffnet werden. Da ist es wieder: bloß nicht bequem werden.
Auch das ist neu: Pre-Loved-Modelle, wie viele Uhrenkenner sie auch bezeichnen, können bei Bucherer nicht nur gekauft, sondern auch verkauft werden. Wer ein Erbstück veräußern möchte, kann ein Onlineformular ausfüllen oder sich direkt im Geschäft ein Angebot einholen. „Das dauert im Normalfall keine 30 Minuten“, beteuert Lamprecht. Entweder lässt man sich den Betrag bei der Uhrenübergabe sofort auszahlen, oder man reinvestiert in eine Uhrenneuheit oder in CPO bei Bucherer.