Georges Kern: „Breitling steht für inklusiven Luxus“
Seit 2017 führt Georges Kern die Uhrenmarke Breitling, an der er auch selbst Anteile hält. Vor dem Schritt ins Unternehmertum machte er Karriere als angestellter Manager: zuerst in der Lebensmittelindustrie, anschließend in der traditionsversessenen Uhrenbranche, deren Modernisierung er seitdem mit vorantreibt. Dem Richemont-Konzern half er bei der Integration der frisch erworbenen Manufakturen Jaeger-LeCoultre, A. Lange & Söhne sowie IWC. Als CEO machte er dann ausgerechnet die maskuline „Ingenieursmarke“ IWC zum Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit. Zu seinem Erfolgskonzept bei Breitling gehört das Sponsern von internationalen Sportevents genauso wie die Eröffnung immer weiterer Markenboutiquen. Kern ist fast immer unterwegs. Wir trafen ihn kurz vor dem Launch der neuen Avenger-Fliegeruhrenkollektion.
Herr Kern, Sie sind ausnahmsweise mal zu Hause, in Zürich.
Gott sei Dank. Ehrlich gesagt finde ich die Reiserei manchmal schlimm.
Sie haben gerade die neue Avenger-Kollektion präsentiert. Was hat sich gegenüber den Vorläufern geändert?
Wir haben Elemente wie Drücker, Kronen, Anschlüsse ästhetisch überarbeitet und optimiert. Und wir setzen neue Materialien ein; für das schwarze Gehäuse des Chronographen Night Mission etwa verwenden wir Keramik statt beschichteten Stahl. Der größte Schritt ist natürlich, dass in den Avenger-Chronographen jetzt unsere Manufakturwerke zum Einsatz kommen. So wie wir auch bei den Navitimer-Chronographen die zugekauften Werke mittlerweile durch unsere Inhouse-Kaliber ersetzt haben. Wir gehören wohl mittlerweile zu den größten Herstellern von Chronographenwerken weltweit. Und im kommenden Jahr wollen wir auch unser eigenes Automatikkaliber einführen. Das Ziel ist es, abgesehen von Quarzwerken in vereinzelten kleineren Damenuhren, nur noch Manufakturkaliber einzusetzen.
Ist der Bau eigener Kaliber eine Frage der Autarkie? Oder unterstreicht die Marke damit vor allem ihre Kompetenz?
Es geht um beides. Früher, so etwa vor 20 oder 30 Jahren, war das Werk das wichtigste Kriterium beim Kauf einer Uhr. Erst danach kam das Design und dann die Marke. Heute kaufen die Menschen erst eine Marke, dann ein Design und dann ein Werk. Nicht, dass das Werk nicht relevant wäre. Wenn Sie bei einer renommierten Luxusmarke eine Handtasche kaufen, fragen Sie auch nicht nach der Qualität des Leders, sondern sie setzen diese voraus.
Ist für Sie als Manager die Entwicklung, dass heute die Marke das wichtigste Kaufargument darstellt, ein Erfolg?
Das ist einfach Fakt. Wir erleben eine massive Globalisierung der Geschmäcker und des Konsums. Und zwar nicht nur bei Uhren, sondern auch in der Mode und in der Musik; wir lesen alle ähnliche Artikel oder hören dieselben Titel auf Musik-Streamingdiensten. Mit einer Marke kaufen Menschen ein gewisses Image und einen gewissen Lifestyle, es vermittelt Zugehörigkeit. Zu einer Marke gehören ihre Geschichte, Storys, die wir erzählen, das Design und die Technologie. Aber eben auch guter Service und Qualität.
Was beobachten Sie bei den Konsumenten noch?
Grundsätzlich glaube ich schon, dass sich die Gesellschaft mit Covid, mit dem Krieg in der Ukraine, jetzt den Ereignissen in Israel und so weiter stark verändert. Was ich zum Beispiel an Werbung oder an Events in meinem vorherigen Berufsleben gemacht habe, würde ich heute so nicht mehr veranstalten, weil es nicht mehr passend wäre.
Sprechen Sie deshalb von „Neo Luxury“?
Damit meinen wir einerseits die Casualisierung von Luxus, ein entspannter und inklusiver Luxus. Das zweite Kriterium ist Nahbarkeit: Wir sind nicht im Golf, wir sind nicht im Tennis, wir sind nicht in der Formel 1, sondern wir sind im Triathlon, im Surfen, im Rugby. Und natürlich gehört der Aspekt der Nachhaltigkeit dazu. Sie können heute keine Firma mehr führen, ohne diese Aspekte miteinzubeziehen. Da hat sich sicherlich die Welt verändert. Zugleich richten die Rückschläge, die wir erleben, unseren Blick immer wieder auf das carpe diem. Das ist ganz wichtig in der heutigen Zeit. Anders kann ich mir auch den bemerkenswerten Erfolg der Luxusgüterindustrie nicht erklären.
Wie finden Sie denn heraus, was die Kunden als Nächstes wollen?
Auf die Bedürfnisse der Kunden habe ich früher reagiert, als ich in der Nahrungsmittelindustrie tätig war. Die Luxusgüterbranche ist aber etwas ganz anderes. Wir kreieren die Bedürfnisse. Ein Freund von mir stellt Hörgeräte her und sagt: Wir machen Produkte, die viele brauchen, aber niemand will. Und ich habe gesagt: Wir machen Produkte, die niemand braucht, aber viele wollen. Jedes Mal, wenn wir ein neues Produkt auf den Markt bringen, kreieren wir einen neuen Bedarf. Und dafür benötigen wir keine Studien. Das muss man schon selbst entwickeln.
Ins Straßenbild der Metropolen gehören immer mehr Monobrand-Boutiquen. Manchmal liegen sie in unmittelbarer Nachbarschaft von Juwelieren, die die Marke auch im Sortiment haben. Was hat es damit auf sich?
Grundsätzlich wollen insbesondere die jungen Konsumenten die sogenannte 360-Grad-Experience. Sie wollen, dass man ihnen die Marke und die Produkte erklärt, und sie wollen, dass die gesamte Kollektion bereitsteht. Das können Sie in dieser Form bei einem Händler nicht erwarten, der 15 Marken im Sortiment hat und über beschränkten Platz verfügt. In die Marke eintauchen können Sie dort nicht. Der Umsatzerfolg einer Boutique und die Visibilität der Marke sind um ein x-Faches höher als in einem normalen Geschäft. Wir werden Ende März 2024 300 Boutiquen haben. 300 Fassaden weltweit sind natürlich auch ein ganz wesentlicher Imagetreiber. Aber wir bleiben auch beim klassischen Handel, bei den wichtigen Juwelieren, auf die können und wollen wir nicht verzichten. Daneben setzen wir weiterhin auf E-Commerce.
Sie sehen Ihre Boutiquen nicht als Verkaufspunkte, sondern als „sozialen Raum“. Was heißt das?
Wir repräsentieren einen relaxten, coolen Luxus und erschaffen ein Umfeld für den Kunden, in dem er sich wohlfühlt. Da spielt alles eine Rolle, die Dekoration, die Musik bis zum Raumduft. Und zu unserem Retailkonzept gehören neu auch Restaurants, wie wir sie beispielsweise in Genf und in Seoul eröffnet haben. Sie sind eine natürliche Erweiterung der Boutique- und Markenerfahrung. Die Restaurants sehen den Boutiquen vom Stil her ähnlich, es werden witzige Menüs offeriert, die unsere Markenwelten „Luft, Wasser und Land“ aufgreifen – alles in Spitzenqualität natürlich. Das ist, was die Menschen erleben wollen. Das ist das neue große Thema in der Luxusgüterindustrie.
Ist so etwas auch für Deutschland geplant?
Das ist eine Frage der Möglichkeiten, dafür müssen wir den passenden Ort finden, die richtigen Immobilien und so weiter.
Nachhaltigkeit haben Sie sich schon als CEO von IWC zur Aufgabe gemacht. Bei Breitling wird es energisch vorangetrieben, vor allem im Einsatz gegen Plastikmüll in den Ozeanen. Kann oder soll eine Marke wie Breitling heute auch eine ethische Haltung zeigen? Eine politische Meinung äußern?
Es ist nötig, und es ist nützlich. Aber wir haben da eine ganz klare Strategie. Punkt eins: Wir wollen das Maximale innerhalb unserer Einflusssphäre machen. Punkt zwei: Wir sind keine Aktivisten. Punkt drei: Wir wollen nicht politisch sein. Darum haben wir uns der Bekämpfung des Plastikmülls in den Ozeanen verschrieben, weil das auch einen direkten Bezug zu unserem Produkt hat. Die Econyl-Bänder, die wir auf unseren Taucheruhren anbieten, sind da ein hervorragendes Beispiel. Sie werden aus recycelten Fischernetzen gefertigt. Es besteht eine klare Verbindung zwischen unseren Aktivitäten im Bereich Nachhaltigkeit und unseren Partnerschaften und Kampagnen. Unsere Surfer-Squad ist mit dem Verschmutzungsproblem ständig konfrontiert und setzt sich für die Problematik ein. Wir unterstützen sie, und so stiftet das alles Sinn.