So fährt sich die elektrische G-Klasse
Was ist ein G-Turn? Keine Idee? Verständlich. Technisch lässt sich das so beschreiben: Zwei Räder eines Fahrzeugs drehen sich vorwärts, zwei Räder rückwärts. Der Wagen rotiert um die eigene Achse, dreht also auf der Stelle. Und weil das – neben Kettenfahrzeugen – nur der Prototyp der neuen, vollelektrischen G-Klasse kann, heißt das Manöver: G-Turn. Ein Knopfdruck genügt. Wozu das gut sein soll? Erstens: Spaß. Zweitens: Die G-Klasse wird wendiger. Mit kleinstem Radius kann sie nun im Gelände oder in schmalen Straßen die Richtung wechseln. Und zeigt: Elektrifizierung ist mehr als Beschleunigung und Emissionsbilanzen. Sie macht den wohl besten Geländewagen der Welt noch robuster, kräftiger und besser. Der König ist tot. Lang lebe der König.
Eine Ikone mit vielen Gesichtern
Die G-Klasse ist eine Ikone und ein Stück automobile Zeitgeschichte. Papst Johannes Paul II. wurde in einer G-Klasse chauffiert, die Mitarbeiter des Jurassic Park trotzen im Film mit einer G-Klasse Dinosauriern, Ex-Gouverneur und Terminator Arnold Schwarzenegger sammelt seltene Modelle. Mercedes-Benz hat zweifellos ein begehrenswertes Auto geschaffen, einen der am längsten produzierten Geländewagen auf dem Markt, der immun ist gegen Trends und Designexperimente – ein Zwitter zwischen Zugpferd und Zuchthengst. Welches andere Auto macht es möglich, Bäume auszureißen und anschließend bei einer Opernpremiere vorzufahren, ohne abschätzig beäugt zu werden? Welches andere Auto wird von Förstern und Milliardären gleichermaßen geschätzt und genutzt? Welches andere Auto ist so aerodynamisch wie die Zeichnung eines Drittklässlers und trotzdem ein Synonym für zeitloses Design? Die G-Klasse ist ein Unikum. Weil sie eint.
Seit 1979 hat sich die Silhouette des Autos kaum verändert. G bleibt G. Und G bleibt gefragt. Das spiegelt sich auch in den Verkaufszahlen wider: In diesem Jahr erscheint eine Sonderedition anlässlich 500.000 verkaufter Fahrzeuge, und Vorgängermodelle werden zu Rekordpreisen gehandelt. Für einen G 63 AMG 6x6, die sechsrädrige Version, die ursprünglich für das australische Militär entwickelt wurde, werden bis zu 1,2 Millionen Euro aufgerufen.
Testfahrt im G-Class Experience Center
Doch noch einmal zurück zum Sammler Schwarzenegger, dem Mann aus der Steiermark, der Heimat der G-Klasse. Er spielt in der Entwicklung des Elektro-G eine kleine, aber nicht unwichtige Rolle: Im Januar 2018 rang Schwarzenegger in Detroit dem damaligen Daimler-Vorstandsvorsitzenden, Dieter Zetsche, überraschend öffentlich das Versprechen ab, dass auch die G-Klasse bald elektrisch fahren werde. Damit bekam das Projekt, um das schon 2016 erste Gerüchte aufkamen, jähen Vorschub. „I’ll be back.“ Danke, Arni. Knapp drei Jahre nach der Unterhaltung zwischen Schwarzenegger und Zetsche präsentierte Mercedes-Benz den Concept EQG, eine seriennahe Studie der vollelektrischen G-Klasse. Bevor vorschnell Trennungsschmerz einsetzt: Inoffiziell ist zu hören, dass E-Antrieb und Verbrenner zunächst koexistieren sollen. Das Vorhaben steht kurz vor der Vollendung.
Dunkle Wolkentürme, eisige Böen, Nieselregen – das Wetter in Graz schafft die Bühne für die Vorstellung der neuen, elektrischen G-Klasse und zeigt sich – wie bestellt – von seiner schlechtesten Seite. Die G-Klasse bei Sonnenschein zu präsentieren würde nicht zur Marke passen. Der anspruchsvolle Offroad-Spielplatz des G-Class Experience Center, am Fuße des Grazer Hausbergs, ist die passende Umgebung. In dem Gelände unweit des 1445 Meter hohen Schöckl wurden schon in den 1970er-Jahren die frühen G-Protoypen entwickelt und getestet. Doch worum geht es bei dem Modell? Um das Trotzdem. Darum, in rauem Terrain den widrigsten Bedingungen entgegenzutreten und antworten zu können: Ja, das geht. Dazu wurde die G-Klasse entwickelt, das hat sie zur Ikone gemacht.
Das kann der elektrische Prototyp
Der neue Prototyp ist ein Entwicklungsfahrzeug. Was bedeutet: Technische Details wie Reichweite, Preis oder Leistung sind noch ein Firmengeheimnis. So gibt sich das Entwicklerteam um Chief Engineer Fabian Schossau wortkarg. Sie wollen lieber Taten sprechen lassen und laden zur Mitfahrt ein. Die Tür schließt mit dem unverwechselbaren Geräusch – als würde man ein massives Werkzeug in Gebrauch nehmen. Der Innenraum des Prototyps ist mit schwarzer Gaze verhüllt. Man hätte sowieso keine Zeit, die Armaturen zu betrachten. Die G-Klasse sprintet los. Vier E-Motoren beschleunigen den Wagen und liefern noch direkteren Antritt als jeder Achtzylinder. Und das spürt man. Seinen wahren Charakter entfaltet der Wagen dann im Gelände. Besser gesagt: am Iron Schöckl. Einer Rampe mit 100 Prozent Steigung, das entspricht einem 45-Grad- Winkel. Die G-Klasse arbeitet sich mühelos hinauf, während Fahrer und Beifahrer in ihren Sitzen liegen. Ebenso meistert er auch die Abfahrt, die G-Klasse regelt die Bergfahrt auf Wunsch elektronisch selbstständig. Und macht so jeden Fahrer zum Offroad-Profi.
Das System des Wagens steuert die vier Motoren an, verteilt die Kräfte und verhindert, dass die Räder durchdrehen. Auf jedem Untergrund. Bei fast jeder Steigung. Auch heftigste Schläge schluckt die neue Unterbodenplatte und schützt so die Akkus, die im Rahmen des Autos verbaut sind. So liegt der Schwerpunkt noch tiefer als bei den Verbrennermodellen. Auch auf Asphalt: ein riesiger Vorteil für das Handling des Autos. Die G-Klasse. Eine Offroad-Maschine trotz Elektrifizierung? Nein. Wegen der Elektrifizierung. Sie wird ihre Silhouette behalten, sie wird ihre Faszination behalten, nur in einem Punkt wird sich der neue König vom alten unterscheiden: Alles, was er heute kann, wird er morgen noch besser beherrschen.