Mate Rimac: Der Highspeed-Sneaker-Revolutionär
Sie sind zu dritt, als sie den Zusammenschluss der Sportwagen-Traditionsmarke Bugatti mit dem Hypercar-Hersteller Rimac vermelden: Porsche, im Volkswagen-Konzern für Bugatti verantwortlich, wird von CEO Oliver Blume und CFO Lutz Meschke vertreten. Zwischen den beiden Managern hat Mate Rimac, der Gründer des nach ihm benannten Hypercar-Start-ups, Platz genommen. Blume und Meschke sind so korrekt gekleidet, sitzen so seriös und aufrecht da, wie man das von deutschen Führungskräften aus der Autobranche nur erwarten kann. Ganz anders der 33-jährige Rimac: Als er sich auf seinem Stuhl entspannt, sind unter dem Tisch erst seine Sneakers zu sehen – und dann seine unbekleideten Beine. Das Wunderkind der Hypercar-Welt, das hier im Begriff ist, die Kontrolle über eine der berühmtesten Traditionsmarken zu übernehmen, trägt zu diesem Anlass Shorts!
Das ist gewiss keine Respektlosigkeit! Rimacs legere Kleidung steht einfach symbolhaft für die Revolution, die die Automobilbranche gerade erlebt: Trotz seines jungen Alters wird Rimac bereits als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Supersportwagen-Entwickler anerkannt – als würdiger Nachfolger von Ettore Bugatti, den man nun in einem Atemzug mit Namen wie Horacio Pagani, Christian von Koenigsegg und Gordon Murray nennt. Und das, obwohl der Rimac Nevera, Rimacs erstes serienmäßiges Elektro-Hypercar, erst letztes Jahr im Juni der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Keine Zeit fürs eigene Hypercar – bis jetzt
Trotzdem ist Rimac längst etablierter Akteur in der Branche. Er hat ein milliardenschweres Unternehmen aufgebaut, liefert Hochleistungs-Elektroantriebstechnologie an mindestens 15 große Automobilhersteller, darunter Ferrari, Aston Martin und Mercedes. Porsche und Hyundai sind nicht nur Kunden, sondern auch Investoren mit beträchtlichen Kapitalbeteiligungen. Rimacs Geschäft ist so schnell gewachsen, dass ihm einfach keine Zeit für sein eigenes Hypercar blieb – bis jetzt.
Der Zusammenschluss von Bugatti und Rimac folgt nun einer klaren Logik: Die nächste, elektrifizierte Bugatti-Generation braucht ein überragendes Leistungsniveau – und Volkswagen ist nicht mehr gewillt, eine Eigenentwicklung zu finanzieren. Mehr als 2 Milliarden Euro hat Volkswagen seit 1998 in Bugatti investiert, mit jedem verkauften Bugatti Veyron rund 5 Millionen Euro verloren. Allein für die Entwicklung des Veyron-Nachfolger Chiron gab Volkswagen mehr als 300 Millionen Euro aus. Eine Elektrifizierung der Plattform, so sagen Insider, hätte nochmal die gleiche Summe gekostet.
Fusion statt Finanzierung
Rimac soll angeboten haben, einen Chiron-Nachfolger für rund 200 Millionen Euro zu entwickeln. Statt die Summe zu überweisen, schlug Volkswagen eine Fusion vor. Das neue Unternehmen Bugatti-Rimac wird zu 55 Prozent von der Rimac Group gehalten, zu 45 Prozent von Porsche/Volkswagen. Vorerst werden beide Marken weiter getrennt voneinander entwickelt und gebaut: Bugattis in Molsheim, Frankreich, und Rimacs ab 2023 in der neuen Campus-Zentrale bei Zagreb.
Rimac hat seine Anteile wohl nicht bezahlen müssen, stattdessen bringt er sein Hyperauto-Geschäft in das Joint Venture ein. Sein Zuliefer-Geschäft für Hochleistungskomponenten, Rimac Technology, wird weiter separat geführt – und wächst rasant: Bis zu 100.000 Komponenten und komplette Antriebsstränge für rein elektrische Modelle liefert er künftig pro Jahr an diverse Premium-Hersteller. Auch wenn Ihr nächstes Auto kein Nevera wird, hat es also mit gewisser Wahrscheinlichkeit Rimac-Technologie an Bord!
Und bei der Rimac Group, der Muttergesellschaft von Rimac Technology, bleibt Rimac größter Anteilseigner. Sein 37-prozentiger Anteil wird auf einen Wert von knapp 2 Milliarden Euro geschätzt. Porsche wiederum hält 24 Prozent an der Rimac Group (neben den 45 Prozent an Bugatti-Rimac) – und weiß, dass damit kein allzu großer Einfluss verbunden ist. „Wir wollen einen echten Unternehmer als CEO“, sagt Porsche-Chef Oliver Blume. „Es ist unsere Strategie, die operative Kontrolle an Mate zu übergeben.“
Jugendlicher Bugatti-Retter mit obsessiver Ader
Ohne das Joint Venture hätte Volkswagen die Marke Bugatti möglicherweise auf Eis gelegt. Der erst 33-jährige Rimac wird also zum Retter einer der traditionsreichsten Marken der Automobilgeschichte! Schon bisher gleicht seine Geschichte einem modernen Märchen: Als Sohn eines einfachen kroatischen Bauarbeiters aus Bosnien kam er mit zwei Jahren, in der frühen Phase des jugoslawischen Bürgerkriegs, nach Deutschland. Im Teenager-Alter zog er nach Kroatien, wo ein Schullehrer sein Talent für Elektrotechnik entdeckte. Schon mit 18 Jahren hatte Rimac dann erste eigene Patente angemeldet.
Als sein bester Freund Goran versehentlich den Motor seines ersten Autos, eines verbeulten 3er BMW, in die Luft jagte, war das der Startschuss für ein Multimilliarden-Euro-Geschäft: Der gerade 20-jährige Rimac ersetzte den defekten Benzin- mit einem Elektromotor – und begann, nach Herzenslust daran herum zu tüfteln. Rimacs fast obsessive Ader, die ihn bis heute dazu motiviert, Dinge immer weiter zu verbessern, treibt seine Mitarbeiter manchmal fast in den Wahnsinn. Sie hat ihn aber auch zum Chef eines der weltweit führenden Unternehmens für Elektroauto-Technologie gemacht.
Was hebt sein Unternehmen von anderen ab? Was führt jetzt so viele etablierte Autohersteller zu ihm nach Kroatien? „Schauen Sie sich nur den Nevera an!“, sagt Rimac. „Es gibt kein anderes Auto, bei dem so viele Dinge intern entwickelt wurden. Dann ist da die Ausführung: Andere Start-ups, die – teilweise mit viel mehr Geld als wir – an ihren eigen Autos arbeiten, gibt es viele. Aber wir sind nach Tesla die ersten, die mit der Produktion eines fertig entwickelten Autos begonnen haben – für einen Bruchteil der Kosten, die bei anderen anfallen. Weil wir die Dinge hier ganz anders machen! Dazu kommt dann noch die Leistung. In Sachen Leistung ist kein Wettbewerber auch nur in Schlagweite.“
In Shorts zum Nasdaq-Listing
Das ist nachweislich wahr. Bei einem Test auf dem kalifornischen Famoso Dragstrip verwies der 1914 PS starke Nevera mit einer Zeit von 8,582 Sekunden sowohl den Bugatti Chiron Sport (9,4 Sekunden) als auch das Tesla Model S Plaid (9,272 Sekunden) auf die Plätze. „Als wir den Nevera entwickelt haben, ging es vor allem um Leistung und Technik“, sagt Rimac. „Luxus war für mich nicht wirklich ein Thema. Bei Bugatti geht es dagegen ganz klar um Luxus. Deshalb glaube ich, dass die Marken nebeneinander bestehen können.“ Um künftig wettbewerbsfähig zu sein, wird sich Bugatti allerdings entwickeln müssen. In den letzten 20 Jahren kam kein anderes Auto an die Leistung eines Bugatti heran. Doch jetzt, im Zeitalter der Elektromobilität, wird Leistung immer mehr zur Massenware: Mit dem Model S ist nun eine 5-sitzige Limousine schneller als so ziemlich alles andere auf der Straße! Was wird ein Premium-Auto also in Zukunft an die Spitze der Pyramide bringen?
„Wenn man sich die Bugattis der Vergangenheit anschaut, gab es nicht nur Sportwagen“, sagt Rimac. „Bugatti wird in Zukunft sehr interessante Autos bauen, und sie werden sich von anderen Modellen auf dem Markt unterscheiden. Wie genau? Das finden wir gerade noch heraus.“ Geplant ist bei Bugatti scheinbar, 2025 ein 2000 PS starkes, zweisitziges Hybrid-Hypercar auf den Markt zu bringen. 2030 folgt wohl ein reines Elektroauto, möglicherweise ein viertüriges Grand Coupé. Bei bisherigen Entwicklungen war Rimac in jeden Aspekt des Designprozesses involviert, künftig will er aber noch weiter über den Horizont des Hypercar-Geschäfts hinaus wirksam werden: „Ich liebe Hypercars. Doch wenn es um potentielle positive Auswirkungen auf die Gesellschaft geht, gibt es viel größere Hebel.“ Einer davon wäre vielleicht der Roboter-Taxi-Service, an dem Rimac seit einigen Jahren arbeitet.
In den kommenden Jahren muss er sich nun großen Herausforderungen stellen: Er muss die Produktion schnell hochfahren, dabei perfekte Premium-Qualität liefern. Er will das Unternehmen unabhängiger von sich selbst machen, aber die Energie und Agilität eines Start-ups beibehalten. Auch ein Börsengang ist im Gespräch. Rimac hat damit keine Eile. Er will erst die neuen Verträge erfüllen, die Neveras ausliefern und den neuen Rimac-Campus bei Zagreb in Betrieb nehmen. 200 Millionen Euro kostet das futuristische Projekt für die 2500 Beschäftigten, mit denen er 2023 rechnet. Und wer weiß, vielleicht wird Rimac dann tatsächlich bald die Nasdaq-Eröffnungsglocke läuten – und dabei wieder Shorts tragen.