Elektrifizierte Oldtimer: Zukunft oder Sakrileg?
Der Ton passt nicht zum Bild: Ich sitze am Steuer eines Porsche 911. Sein Baujahr: späte 1980er-Jahre. Mein Blick ist auf die fünf typischen kreisrunden Analoganzeigen gerichtet. So weit, so Porsche. Doch das satte Rasseln des luftgekühlten Motors, das auch den Reiz eines alten 911er ausmacht, fehlt völlig. Stattdessen höre ich nur ein leises Surren. Das Geräusch wird kaum lauter, auch nicht als ich kräftig aufs Pedal trete, obwohl die Geschwindigkeit exponentiell zunimmt: Der alte 911 macht plötzlich einen Zeitsprung, beschleunigt wie der schnellste Tesla. Ich bin mit historischen Porsches vertraut, und so wirkt das alles sehr seltsam auf mich, fast beängstigend: ein Look und Feel aus den 1980er-Jahren – mit dem Sound und der Performance des 21. Jahrhunderts.
Käufer warten elf Monate auf einen Everrati 911
Manche mögen von Fortschritt träumen, wenn der Benzinmotor eines Oldtimers durch einen Elektroantrieb ersetzt wird. Für andere ist das ein Sakrileg: Schließlich kommt doch auch niemand auf die Idee, der Mona Lisa eine zeitgemäßere Frisur aufzumalen. Ein mir bekannter Autosammler kontert dieses Argument so: Wer ein vornehmes Anwesen aus dem 18. oder 19. Jahrhundert erwirbt, kann sehr wohl erwarten, dass die Toiletten mittlerweile über eine Wasserspülung verfügen – und das Abwasser nicht noch mit Blecheimern aus dem Fenster gekippt werden muss.
Autos wie der Everrati 911, von dem ich eingangs schrieb, haben hitzige Debatten ausgelöst. Kritiker solcher elektrifizierten Klassiker verweisen darauf, dass der Verbrennungsmotor eben kein Extra sei, sondern das Herzstück eines Autos und das sein E-Ersatz den Reiz des Wagens mindere – und den Bestand historischer Modelle dezimiere. Doch die Elektroklassiker haben auch ihre Fans. Denn wie alles im Leben hat auch diese Medaille, Verzeihung, dieses Blech zwei Seiten. Selbst wer bereit ist, Preise von weit über 300.000 Euro für den 911 zu zahlen, wartet elf Monate, bis man sich bei Everrati der Bearbeitung des Auftrags annimmt.
Großbritannien als bevorzugter Produktionsstandort
Beim Nachbarn Lunaz, der nicht weit entfernt an der britischen Grand-Prix-Strecke von Silverstone fertigt, müssen sich Kunden fast zwei Jahre lang gedulden – trotz einer Kapazität von etwa hundert Fahrzeugen pro Jahr und trotz eines Preises von über einer Million Euro für das teuerste verfügbare Modell, den Aston Martin DB6. Zu den Investoren von Lunaz gehören David Beckham, Oculus-Gründer Brendan Iribe und die Familien Barclay und Reuben, die zu den reichsten in Großbritannien zählen. Weltweit gibt es mittlerweile rund ein Dutzend vielversprechender Start-ups, die Benziner nachträglich elektrifizieren, darunter Zero Labs in Kalifornien und Moment Motor in Texas.
Everrati macht schon die Hälfte seines Umsatzes in den Vereinigten Staaten, Tendenz steigend. Doch der Heimatmarkt der Marke, das Vereinigte Königreich, hat sich zum bevorzugten Produktionsstandort für den neuen Trend entwickelt, dank seiner vielen hoch qualifizierten Oldtimer-Spezialisten: So restauriert der renommierte Mercedes-Experte Hemmels in Wales jährlich 30 SLs aus den 50er- und 60er-Jahren – für die Autos, die auch auf Englisch als neugeboren bezeichnet werden, werden je 3.000 Arbeitsstunden angesetzt. Doch auch Hemmels geht mittlerweile einen Schritt weiter, bietet eine vollständig elektrifizierte Pagode an. Leistung, Gewicht und Balance des Wagens bleiben dabei nahezu unverändert.
Nachfrage nach Elektroklassikern wächst
Trotz aller Kritik ist die Nachfrage also eindeutig vorhanden – und sie wächst. Ist die Elektrifizierung von Oldtimern möglicherweise die einzige Möglichkeit, diese Fahrzeuge dauerhaft auf der Straße zu halten? „Ich bin im Grunde genommen ein genesener Benzinjunkie“, sagt der 51-jährige britische Mitbegründer von Everrati, Justin Lunny. „Schon als Kind drehte sich bei mir alles um Autos und Motoren. Aber als meine Tochter im gleichen Alter war, hat sie sich wegen des steigenden Meeresspiegels geängstigt. Das hat mich nachdenklich gemacht. Und da ich zu der Zeit gerade offen für eine neue Aufgabe war, bot es sich an, in etwas einzusteigen, das saubere Technologien und Autos verbindet.“