Concorso d'Eleganza Villa d'Este: Parade der Schönen
Wenn sich Automobilisten aus aller Welt am Comer See zusammenfinden, dann muss zum Concorso d’Eleganza Villa d’Este eingeladen worden sein. In der gleichnamigen historischen Villa aus dem 16. Jahrhundert im italienischen Cernobbio werden seit fast 100 Jahren Anmut und Eleganz klassischer Automobile prämiert sowie zeitgenössische Prototypen und Konzeptfahrzeuge präsentiert.
Zwischen Dekadenz und Technikgeschichte
Ein Schönheitswettbewerb für Superreiche, amüsiert sich das Feuilleton; erbarmungslose Dekadenz, richtet die Gesellschaftskritik. Doch hinter Maschinenwerken für Millionen und Sammlertypen in Satin und Seide tut sich ein alternativer Diskursraum auf, der Technikgeschichte Ehr erweist, radikale Freiheit lebt und gierig nach den Antworten für das dritte Millennium lechzt. Wer hier nur neidisch aufs Geld blickt, hat nichts über den Durst von Gesellschaft verstanden. Der Pessimismus hat hier Pause.
Ähnlich eines Streifzugs durch die Toskana entlang Alleen von Zypressen und Pinien ist auch die Fahrt von München nach Cernobbio ein Weg, der das Zeug zum Ziel hat. Im Elektro-Flaggschiff von BMW, dem i7 M70 X-Drive, zwei E-Maschinen, Allradantrieb und 660 PS, einem Koloss an Komfort, dennoch sportlich, wendig, in der Kombination heroisch wie ungestüm, fliegt man die Alpenpässe nur so hinauf, um sie beseelt wieder hinabzusegeln. Das Fahrvergnügen ist immens; vor allem so viel davon in so wenig Zeit.
Das Event lockt Petrolheads aus aller Welt
Ausgeruht gleitet man auf Cernobbios Seestraße ein, um schon gleich die ersten Oldtimer am Wegesrand zu erspähen. Auf Hochglanz polierte Neunelfer neben verbeulten Kleinwagen mit Rennwagenbeklebung und Schnauferl der vorletzten Jahrhundertwende markieren die Ouvertüre zum Wochenende der automobilen Kultur. Unzählige Straßenfans blitzlichtgewittern um die Wette. Der Concorso d’Eleganza ist eben mehr als nur dieses hochoffizielle Spektakel der Elite. Petrolheads von überall kommen in Scharen zusammen. Zwischen historischen Residenzen, verwinkelten Hanggärten und imposanten Wasserspielen am Comer See fasziniert es sich zwar stilsicherer als vor dem Trainingsgelände des BVB; was Lambo und Bugatti vor jedweder Kulisse aus störrischen Pubertierenden herausholen, schafft jedoch keine Pädagogik der Welt. Der Traum lebt.
Und er lebt schon lange, wie die Bandbreite der 160 gezeigten Klassiker auf der Terrasse des Grand Hotels am Wettbewerbstag beweist. Unentwegt regnet es auf die feinsten Karosserien und kostbaren wie empfindlichen Innenräume der präsentierten Wagen hinab; das tut der Stimmung in der Villa d’Este jedoch keinen Abbruch. Ein durchnässter Simon Kidston macht dem waghalsigen Geist seiner Motorsport-Vorfahren wahrlich alle Ehre, als er die klassischen Automobile der Reihe nach unbeugsam und inbrünstig durch die Parade lobt. Der Hautevolée, hin- und hergerissen zwischen sommerlichem Aperol, mit guter Miene zum bösen Wetterspiel, oder feinster Traube aus dem Hause Vranken-Pommery, exklusiver Partner des Wettbewerbs, entlockt es an diesem Nachmittag entzückte Töne. Unheimlich, wie sehr ihn die Ikonen der Fahrzeuggeschichte erregen, gibt auch Journalist und Autonarr Ulf Poschardt fast mit Bedenken zu Protokoll, aber eben nur fast. Betört sind am Abend alle, ob wegen der Wagen oder Abgase, Zigarren oder Parfümschwaden vermag man nicht mehr zu unterscheiden.
Legendäre Rennwägen feiern Le Mans
Beeindruckend sind in diesem Jahr insbesondere die Rennmaschinen mit ihren aerodynamischen Silhouetten. Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der 24 Stunden von Le Mans war eine so bisher ungesehene Auswahl an Langstreckenlegenden an den Comer See gelockt. Das Aufgebot reichte von einem Peugeot 302 Darl'Mat Sport von 1937 über einen Aston Martin DB2 bis hin zu einem Mercedes-Benz Flügeltürer aus der Werks-Rennabteilung, der 1952 in Le Mans gewann. Direkt daneben glänzte der Gesamtsieger des Rennens von 1960, ein Ferrari 250 Testa Rossa, zum Sieg gefahren von Paul Frère und Olivier Gendebien. Der silbermetallische Ferrari 250 GTO mit seiner ikonischen Trikolore-Lackierung belegte beim Rennen 1962 zwar nur den 4. Platz, aber das mythische Auto, das als der beste GTO von allen gilt, konnte einen späten Triumph über den Testa Rossa erringen: Mit einem Preisschild von 70 Millionen Dollar markiert der Wagen von David MacNeil das zweitteuerste Auto der Welt.
Als der von Gulf gesponserte Ford GT40 als der einzige Rennwagen auf dem Planeten, der jemals zwei Gesamtsiege bei den 24 Stunden von Le Mans einfuhr und damit die Konkurrenz in Folge 1968 und 1969 hinter sich ließ, vorfährt, wird erst demütig geschwiegen, dann im Taumel applaudiert. Der Martini Racing Porsche 936/77, blechgewordene Absurdität, grotesk, genial, wie eine Kreatur aus der Zukunft, wurde derweil bereits 1977 von Jacky Ickx, Hurley Haywood und Jürgen Barth zum Sieg gefahren.
Restaurierte Rolls-Royce aus Indien
Wo heutige Gesellschaft auf blanke pseudopolitische Funktionen zusammenschmilzt, Anmut und Geist, Hingabe und Fantasie immer seltener Raum und Würdigung erfahren, holt der Concorso zur Gegenoffensive in Sachen Sinnlichkeit aus. Erstmals wird in diesem Jahr die Trofeo il Canto del Motore für den Motor mit dem schönsten Klang verliehen. Nur standesgemäß, dass der Preis für den fantastischen Martini & Rossi Porsche 917 K, dessen Turbo-Symphonie von Hans Mezger komponiert wurde, von Jonas Kaufmann, einem der größten Tenöre unserer Zeit übergeben wird. Ist es die Angst vor dem Ende einer Ära, der Trotz gegen die Feinde der Automobilkultur, die kollektive Ignoranz gegenüber gesellschaftlichem Zeitgeist oder vielleicht auch nur die radikale Freiheit zu lieben, was man liebt, - mit der Einführung der Klangkategorie positioniert sich der Concorso d’Eleganza als Bollwerk gegen den Sinnverlust. Der Billionaires Club im Grand Hotel kämpft für das Überleben von Gesellschaft. Ohne Verheißung auf das gute Leben verkümmert unsere Spezies.
Die politischste Leistung des Wettbewerbs ist wohl seine Hommage an den Produktzyklus. Unter dem Titel „Der schillernde Fahrspaß der mächtigen Maharadschas“ begeistern vier riesige Rolls-Royce, einen von Windovers als Karosserie gebauten Silver Ghost Open Tourer und ein rotes Silver Wraith Drophead Coupé, die beide extra von Indien aus an den Comer See verschifft wurden, sowie einen ebenso beeindruckenden Allweather Tourer und einen blau-silbernen Sports Phantom Prototype Experimental mit Bootsheck. Schönheit ist die Kategorie der Nachhaltigkeit. Was schön ist, wird aufwendig restauriert, liebevoll Instand gehalten, stolz präsentiert, beseelt weitergegeben. Die Sammler von Cernobbio, manche wahrlich Snobs ohnegleichen, müssten es nicht, aber sie tun es: Sie bilden und pflegen Zeugnisse der Historie und machen Werte und Erzählungen aus vergangenen Zeiten und vergessenen Generationen lesbar. Sie sind Archivare der Zeitgeschichte, auf eigene Kosten.
Duesenberg SJ gewinnt Trofeo BMW Group
In dieser Tradition räumte in diesem Jahr ein US-Supercar von 1935 mit deutschen Wurzeln den prestigeträchtigen Titel des Gesamtsiegers ab: Den Trofeo BMW Group, besser bekannt als „Best of Show“, gewann in diesem Jahr der amerikanische Immobilienunternehmer William Lyon mit einem Duesenberg SJ Guerney Nutting Speedster. Ein Einzelstück wie jeder Duesenberg schafft der offene Zweisitzer mit Kompressormotor und 320 PS über 220 km/h Spitze. Mit seiner leuchtend orangefarbenen Innenausstattung und dem Korblenkrad überzeugte der Boattail Speedster Sammler, Clubs, Fans, aber eben auch die altehrwürdige Jury des Concorso d’Eleganza. Für einen indischen Maharadscha im kalifornischen Exil von Gurney Nutting entworfen, wurde er 1959 wiederentdeckt und vom Senior erworben. Vor 110 Jahren wurde das Unternehmen von den ausgewanderten deutschen Brüdern August und Fred Duesenberg gegründet. Seit jeher galten die handgefertigten Automobile von Duesenberg als Nonplusultra unter den US-Marken. Amerikanische Filmstars wie Gary Cooper, Clark Gable, Greta Garbo oder James Cagney fuhren ebenso Duesy wie die Unterweltgrößen der US-Ostküste - und auch wie Jay Gatsby im Remake von „The Great Gatsby“. Alter Knabe!
Gewinneruhr von A. Lange und Söhne
Neben der schillernden Trophäe erhält der Sieger auch ein einzigartiges Modell des A. Lange und Söhne 1815 Chronographen in Weißgold, das exklusiv für den Gewinner des Concorso d’Eleganza kreiert wurde. Die Partnerschaft mit der prestigeträchtigsten der deutschen Uhrenmarken unterstreicht den Charakter des automobilen Wochenendes, das ganz im Zeichen der Tradition, der Technik, der Präzision, der Finesse und der Ästhetik steht. Never stand still - das gilt für die ausgestellten Zeugnisse wie für die Bauer im Hintergrund.
Erschlagen von den Eindrücken in der glückseligen Parallelgesellschaft am Comer See macht man sich am Sonntag auf die Heimreise. Der BMW Group als Schirmherr und Gastgeber des Concorso d’Eleganza Villa d’Este darf man getrost gratulieren. Die Pflege des Alten, ein Versprechen an die Lebensdauer, bei gleichzeitiger Entwicklung des Neuen, schonender, effizienter, unter Berücksichtigung zeitgenössischer Ästhetik, und ohne Verleugnung des eigenen Lustempfindens - da ist man gesellschaftlichem Diskurs traurigerweise - muss man sagen - weit voraus.