Mille Miglia: Mit dem Oldtimer durch Italien
Ausgerechnet beim schönsten Rennen der Welt, der legendären Mille Miglia, von den lombardischen Hügeln bei Brescia bis zum pompösen Kolosseum in Rom und wieder zurück, fällt der Mensch auf sich selbst zurück. Eine Woche lang ist da nur er, eingeschlossen bei Hitze und Feuchtigkeit in einer beengten Blechkiste von 1927 bis 1957. Er schlägt auf trockene Feldwege auf, peitscht über brennenden Kopfstein, und betet in halsbrecherischen Kurven. In der Geschichte dieses einst gefährlichen Rennens ließen manche ihr Leben. Die Fahrer gehen an ihre Grenzen. Genau darum aber ist die Mille Miglia ein Geschenk von oben. Nirgendwo liegen Demut und Hybris näher beisammen. Wozu der Mensch imstande ist, wird hier Wirklichkeit.
Die Mille Miglia gleicht einer Prozession
Das Automobil soll dem Menschen Freiheit geben, ihn nicht in den Wahnsinn treiben, hat Enzo Ferrari einmal gesagt. Der deutsche Städter teilt dieses Ansinnen. Hässlich ist der Straßenverkehr in der Metropole, wenn die Ampelfarben blättern und dennoch nichts mehr geht. Lieferwagen blockieren, Radfahrer kreuzen, Fußgänger fluchen. Es ist Berufsverkehr, Baustellenstau, Klimaprotest, irgendwas ist immer. Es gibt Kratzer, es gibt Stürze, dann Beleidigungen, Anzeigen folgen. Unsereins erstickt in Umwelthysterie und Sozialneidexzess. Was macht es die Seele krank - der Mensch in Käfighaltung.
Man vermisst die Mille Miglia nicht, wenn man sie nicht kennt. Irgendwie ist es in Ordnung, in Platons Höhle. Die städtische Straßenverkehrsordnung, das Leben in Uniform, der großen Träume beraubt, Frust und Wut sicher verstaut, man kennt es nicht anders. Bis man Italien entdeckt. Dieser Prozession beiwohnt. Aufzustehen lernt in Anarchie und Anmut. Dann ist nichts mehr, wie es war. Wer einmal steht, bückt sich nicht mehr nieder. Die Mille Miglia: Punk is not dead.
Das erste Straßenrennen mit 1000 Meilen
1926 schrieb eine italienische Sportzeitung erstmals von der Idee vier junger Norditaliener, ein Autorennen über 1000 Meilen zu veranstalten. Ein unfassbares logistisches Vorhaben. Noch nie zuvor war so etwas in der Region gestemmt worden. Die Idee der vier Freunde drohte zu scheitern, - als sich eine Nation erhob und ihre Dienste anbot: 25.000 stolze Carabinieri mimten Streckenposten und Ordner. Ein bewaffnetes Unterstützungskommando für Drängler und Raser? Bis heute einzigartig. So ging am 27. März 1927 die erste Coppa delle Mille Miglia an den Start. Seitdem feiert der Italiener nicht nur das Automobil als Kulturobjekt oder den Rennsport als Kunstform; er feiert auch sich und seine Lässigkeit.
In den Dörfern heizen Idötzchen und Nonnas die Automobile durch die Gassen. Wer sowieso Benzin im Blut hat, schwenkt die Werksflaggen der heimischen Autobauer. Beim Picknicken am ländlichen Streckenrand wird getrötet und geflirtet; Ökobauern auf Traktoren applaudieren. Hunderttausende reiben sich die Augen. Zum Start überfliegt die Kunstflugstaffel der italienischen Luftwaffe, die Frecce Tricolori, Brescia. Einmal noch sehen alle gemeinsam zum Himmel auf. Es ist ein kollektiver Moment. Einer für alle, alle für einen. Danach ist jeder tollkühne Raser auf sich gestellt, versinkt in seinen eigenen Weg.
Der Rekord liegt bei 10 Stunden, 7 Minuten
Galt die Mille Miglia einst als zu erbarmungslos, waghalsig und unberechenbar, mit verunglückten Rennfahrern und tragischen Unfällen, ist sie nach einer Pause bis 1977 als Gleichmäßigkeitsrennen für historische Fahrzeuge zurückgekehrt. Dem Ernst der Sache hat das keinen Abbruch getan. Anders als beim jährlichen Concorso d’Eleganza in Cernobbio werden die automobilen Klassiker eben nicht nur in Parade vorgeführt; ihnen wird über die herausfordernde Streckenführung alles, wirklich alles abverlangt. Metall überhitzt, Reifen platzen, Leitungen tropfen. Des Nachts wird notdürftig geschraubt und gedreht; manch ein Raser kriegt nach 15 Stunden am Steuer noch immer kein Auge zu. Die Anspannung ist hoch.
Trotz der Hommage an Eleganz und Pracht der Wagen ist es ein Rennen gegen die Uhr. Den ewigen Rekord hält der britische Rennfahrer Sir Stirling Moss, gemeinsam mit dem Journalisten Denis Jenkinson. Im Mercedes-Benz 300 SLR bewältigten sie 1955 die 1000 Meilen in zehn Stunden, sieben Minuten und 48 Sekunden. Die Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei unglaublichen 157,65 km/h. Neben der Überlegenheit des Fahrzeugs und dem Geschick des Fahrers gebührte auch Navigator Jenkinson große Anerkennung. Er notierte die gesamte Strecke auf Papier und erfand so das erste Roadbook des Rennens.
Chopard ist Hauptsponsor des Rennens
Noch immer geht es also um die Zeitmessung. Nur sinnig, dass der Schweizer Uhrmacher Chopard seit über 30 Jahren als Hauptsponsor und offizieller Zeitnehmer der Mille Miglia fungiert. Auch im Teilnehmerfeld buhlt das Team Chopard seit jeher mit. Zum 35. Mal nimmt Chopard-Co-Präsident Karl-Friedrich Scheufele im Jahr 2023 am Rennen teil. An seiner Seite im geflügelten Mercedes 300SL Gullwing in Himbeermetallic: der sechsmalige 24-Stunden-Sieger von Le Mans, Jacky Ickx. Scheufele und Ickx rasen als Ikonen ihrer Materie, als Gentlemen im Umgang, als langjährige Freunde. Im Racing Team des Uhrmachers ebenfalls mit dabei der stilsichere chinesische Filmschauspieler Zhu Yilong sowie Langstreckenrennfahrer Romain Dumas, cool wie gefeiert, im 1955 Porsche 356 Speedster.
Am Handgelenk dürften sie alle Chopards Mille Miglia Classic Chronographen tragen. Traditionell erhält jeder Pilot eine exklusive Rennedition. Am Vorabend der Mille Miglia, noch bevor die Flagge fällt und das erste Fahrzeug von der Startrampe in Brescia winkt, kommt das Team Chopard inmitten der lombardischen Weingüter im historischen L’Albereta, unweit des Ufers des Iseosees, zusammen. Im italienischen Garten unter brennenden Laternen und bei exquisiten Weinen präsentiert Scheufele selbst die neue Mille Miglia Classic Chronograph-Kollektion. Man träumt noch von ihr am nächsten Morgen bei Caffé americano und Orangenmarmelade.
Vier Chronographen als exklusive Rennedition
Sie besteht aus vier Modellen, die aus Chopards exklusivem Lucent Steel gefertigt sind, deutlich widerstandsfähiger als gewöhnlicher Stahl und aus recyceltem Material aus der Medizin-, Luft- und Raumfahrt-, Automobil- und Uhrenindustrie. Gepaart werden sie mit dem charakteristischen Kautschukarmband im Design des Dunlop-Rennreifens der 1960er Jahre oder einem kräftigen braunen Kalbslederarmband, das an traditionelle Autohandschuhe erinnert.
Besonders macht die diesjährigen Mille Miglia Classic Chronographen ihre Zifferblätter: Jede der vier Variationen basiert auf den Lackierungen und Innenausstattungen, die typischerweise für die Mille Miglia zugelassenen Automobile aus der Zeit vor 1957 zu finden sind: Rosso Amarena, Grigio-Blu, Verde Chiaro und Nero Corsa. Ein Loblied auf historische Brillanz und Ästhetik.
Von Brescia nach Rom und wieder zurück
Auch die Strecke verläuft im Uhrzeigersinn. Von Brescia aus geht es zum Gardasee. Die Strecke führt durch die Orte Desenzano del Garda und Sirmione am Südufer des Sees. Von hier aus passieren die Piloten die Provinzhauptstadt Verona und die Weltkulturerbe-Stadt Ferrara sowie das für seine Rennstrecke berühmte Imola auf ihrem Weg zum Etappenziel Cervia-Milano Marittima an der Adria. Von der winzigen Hügelrepublik San Marino vorbei an der herrlichen Strandpromenade im Seebad Senigallia geht es in die Provinzhauptstadt Macerata, bekannt für eindrucksvolle Paläste und das jährliche Opernfestival. Anschließend kracht das Teilnehmerfeld durch die Städte Fermo und Ascoli Piceno, bevor die Etappe in Rom mit einer Parade entlang der namhaften Via Veneto endet.
Der nächste Tag führt nach Siena, wo die heulenden Klapperkisten an der zentralen Piazza del Campo, Austragungsort des legendären Pferderennens Palio di Siena, vorbeiziehen. Nach der Bewältigung des berühmten Abertone-Passes auf 1300 Metern Höhe, der häufig von Ferrari-Testfahrern genutzt wird, ruht die Rallye über Nacht in Parma. Anschließend wird auf dem Militärflughafen Piacenza gehalten, danach ziehen die Piloten über Stradella und Pavia ins piomontesische Alessandria.
Siegreichste Marke ist Alfa Romeo
Die vornehme Weinregion der Langhe und der Monferrato im Piemont bieten neben den klassischen Barolo-Weinen auch das weltberühmte Festival für den weißen Trüffel. Aus Turin reisen die Freunde Fiats und Jünger von Martini Racing an die Streckenabschnitte bei Asti, Vercelli und Novara nach Mailand an. Zuletzt schießt das Rennfeld ins von venezianischen Mauern umschlossene Bergamo, sowie in die beiden kleineren Orte Ospitaletto und Gussago. Nicht erst auf der Zielgerade der Viale Venezia in Brescia bricht frenetischer Jubel aus. Ein Rennen wie ein Rausch. Die Fahrer taumeln. Sie rauchen Havanna, trinken Moretti und Peroni, posieren mit ergebenen Carabinieri. Das Parfüm Italiens hält noch lange nach der Heimreise an. Die Resozialisierung in den heimischen Straßenverkehr ist kaum zu schaffen.
Siegreichste Marke der von 1927 bis 1957 ausgetragenen rasanten Mille Miglia ist die italienische Sportwagenmarke Alfa Romeo. Auch in diesem Jahr wiederholen die Italiener Andrea Vesco und Fabio Salvinelli ihren Erfolg aus dem Vorjahr und lassen im Alfa Romeo 6C 1750 Super Sport aus dem Jahr 1929 erneut rund 400 Konkurrenten hinter sich. „Immer wenn ich einen Alfa Romeo sehe, ziehe ich meinen Hut“, soll Henry Ford einmal gesagt haben. Kein Widerspruch. Mit den Alfisti ist immer gut zu feiern.
Auch ohne Zeitsieg ist in dieser norditalienischen Woche Unbeschreibliches gewonnen. Es ist ein Land in der Krise, kränkelnde Wirtschaft, maroder Staat; auch und gerade die Automobilindustrie Italiens ächzt unter technischen Vorgaben, die quergehen mit den Träumen der radikalen Konstrukteure, in denen Gesundheitsgefahren, Versicherungsrisiken und Feinstaubbelastung nicht die erste Geige spielen. Die Mille Miglia ist ein Ausbruch aus dieser Epoche der Askese, einer sozialen Zivilisierung, positiv gesprochen, oder auch die Flucht aus einem Dasein als Bückling, klar gesprochen. In der herrlichen Anarchie dieses famosen Straßenrennens hält ein Land zusammen. Davon können andere Nationen nur träumen.