Tristan Brandt – Deutschlands jüngster Zwei-Sterne-Koch

Mit nur 31 Jahren wurde Tristan Brandt Deutschlands jüngster Zwei-Sterne-Koch. Er hatte Angebote aus aller Welt und blieb doch in Mannheim – und kreierte auf dem Dach eines Kaufhauses außergewöhnliche Gerichte. Nun zieht er doch weiter
Text Christopher Piltz
Team Tristan Brandt

Seit drei Stunden steht Tristan Brandt in der Küche des Opus V, seinem Restaurant, seiner Heimat. Er hat zu einer exklusiven Küchenparty geladen – der letzten unter seiner Ägide. Die geplanten 60 Gäste haben die limitierte Einladung angenommen. Der Preis für diesen orchestrierten Abend: 165 Euro pro Person, ohne Weinbegleitung. Dafür reisen die Gourmets heute Abend von der französischen Haute Cuisine bis nach Asien – kulinarisch, versteht sich. Und physisch durch ein ganzes Modehaus. Ja, richtig gelesen, Modehaus. Doch dazu später mehr. Tristan Brandt hat Kalbsbäckchen mit Süßkartoffeltalern, Salzzitronengel und Ingweröl angerichtet. Adlerfisch mit Escabeche, roter Zwiebelcreme, Radicciokompott und geschmortem Sellerie. Vorher gab es Jakobsmuschel mit Couscous und Curry. Garnele mit Blumenkohl und Ponzu. Banane mit Aloe vera und Koriander. Nun also einmal durchatmen. Brandt steht auf der Dachterrasse des Modehauses und blickt über Mannheim. Kurzes Kraftschöpfen. Dann geht´s weiter. Bis 23 Uhr steht er noch in der Küche. Oft lief das so seit August 2013. Da übernahm Tristan Brandt das Mannheimer Restaurant Opus V, war Küchenchef. Ein Jahr verging, dann bekam er den ersten Stern verliehen. 2016 folgte der zweite. Tristan Brandt war damals 31 Jahre alt und wurde der jüngste Zwei­-Sterne­-Koch der Republik – bis heute hat ihm das niemand nachgemacht. Allein das ist eine Leistung. Doch Brandt war mehr als nur Küchenchef in seinem Restaurant. Der heute 35-­Jährige verantwortete über die Zeit neun gastronomische Betriebe: das Zwei­-Sterne­ Restaurant Opus V, das Sternerestaurant Le Corange, die Faces Lounge, den Dachgarten im Engelhorn. Eben­falls dort das Café Gipfelkette, die Vinothek Coq au Vin, die Kaffeebar, die Laurent-­Perrier Champagner Bar und die Chocolaterie. Brandt ist ein Multitalent mit 15­-Stun­den-­Arbeitstagen, das die kulinarische Landschaft Mannheims auf links gedreht hat. Es war anzunehmen, dass er seinen Wirkungskreis nicht verlässt, zu stark war sein Einfluss – ein kulinarisches Einhorn in der Provinz. Doch nun geht er doch. Das Opus V bleibt.

„Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.“

- Oscar Wilde, Zitat auf der Fahrstuhlwand

Dass Brandt damit kein normales Gourmetrestaurant geschaffen hat, fällt schon auf dem Weg dorthin auf. Es liegt im sechsten Stock des Modekaufhauses Engelhorn, eines Mannheimer Traditionsgeschäfts. Seit 1890 ver­kaufen sie hier Kleidung, inzwischen in acht Häusern auf mehr als 34 000 Quadratmetern. Kunden sollen hier nicht einfach einkaufen gehen, sie sollen Zeit verbrin­gen. Die Familie Engelhorn ließ schon die Mannheimer Philharmoniker auftreten, der Opernchor des National­theaters gastierte, Handballstars gaben im Sporthaus Autogramme – Kultur neben Konsum. Im Aufzug zum Opus V steht an die Wand geschrieben ein Zitat von Oscar Wilde, das genauso gut das Motto des ganzen Hauses sein könnte: „Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.“

Der letzte Griff: Die Krea­tion von Tristan Brandt trägt den Namen Kirschen — Wermut — Kalamata

Irgendwann wuchs in dem im Juli 2019 verstorbenen Geschäftsführer Richard Engelhorn der Wunsch, ein Spitzenrestaurant im Haus zu eröffnen. Doch nicht irgendeines sollte es sein. Er träumte von einem der besten Restaurants des Landes. Auf der Suche nach einem Koch für diese Idee traf Engelhorn Harald Wohl­fahrt zum Frühstück. Wohlfahrt genießt Kultstatus in der gastronomischen Szene Europas, eine Legende am Herd. Wem er zutraue, Sterne zu erkochen, fragte Engel­horn. Wohlfahrt nannte den Namen eines ehemaligen Mitarbeiters: Tristan Brandt.

Schon als Kind verbrachte Brandt gern Zeit in der Küche, stand mit seiner Mutter, einer gelernten Schnei­derin, am Herd. Auf den Tisch der Mainzer Familie kamen Rinderroulade und Kalbsrahmgulasch, deftige Hausmannskost. Die Spitzengastronomie war weit entfernt. Mit zwölf Jahren kochte Brandt zum Geburts­tag seiner Mutter ein Drei­-Gänge-­Menü, zehn Gäste bediente er. Die Bilder hängen bis heute an der Küchen­wand der Mutter. Nach der Schule begann er eine Kochausbildung. Fünf Jahre später, mit gerade einmal 21 Jahren, fing er an, bei Harald Wohlfahrt zu arbeiten.

Brandt war fast im Sprint in der Spitzenklasse angelangt. Doch hatte er genug Luft für einen Marathon? Damals wuchs in ihm der Wunsch, Ähnliches wie Harald Wohl­ fahrt zu erreichen. Brandt ging danach nach Barcelona und ins Saarland, arbeitete in den Vogesen und in Shanghai. Fast immer kochte er in Sternerestaurants, fast immer bei den Besten. Und immer konzentrierter verfolgte er sein Ziel: einmal selbst mit drei Sternen ausgezeichnet zu werden. Brandt sagt, nur wenige Menschen auf der Welt würden das können. In Deutsch­land haben das derzeit nur zehn Küchenchefs mit ihren Restaurants geschafft. Er sagt auch: „Ich bin über­zeugt, einer von ihnen sein zu können.“ Es ist einer der typischen Tristan­-Brandt­-Sätze. Sie strotzen nur so vor Selbstbewusstsein, pendeln zwischen Arroganz und unbedingtem Ehrgeiz. Es sind Sätze der Motivation.

Im Opus V sind die Kreatio­nen asiatisch geprägt und nach ihren Zutaten be­nannt. Hier beispielsweise: Hamachi — Kohlrabi — Shiso. Ein Acht­-Gänge­-Menü im Opus V kostet 210 Euro

Und dann kam das Angebot aus Mannheim. Gerade Mannheim. Die Stadt galt lange Zeit nicht gerade als kulinarische Hochburg in Deutschland. Nur der Avant­gardist Juan Amador sorgte einige Jahre bundesweit für Aufmerksamkeit, sein Restaurant war fünf Jahre lang mit drei Sternen ausgezeichnet. Doch 2015 gab er sein Geschäft in Mannheim auf und zog nach Wien. Einer der Gründe: Die Gäste fehlten. Ein ambitioniertes kulinarisches Konzept passe nur in eine Großstadt, sagte Amador später. Brandt sah das anders. Für ihn bildete Mannheim die ideale Kulisse für seine Ziele. Eine Stadt, die kulinarisch noch nicht übersättigt ist. Gäste, die sich begeistern lassen. Zudem hatte Tristan Brandt einen Vorteil: Hinter dem Projekt steht das Unternehmen Engelhorn – und somit ein Budget, von dem andere Restaurants nur träumen können. Richard Engelhorn investierte eine Millionensumme ins Opus V, heißt es. Brandt konnte aus dem Vollen schöpfen. So reiste er zusammen mit Engelhorn und einem Archi­tekten am ersten Arbeitstag 2013 ins Noma nach Ko­penhagen, es galt damals als eines der besten Restaurants der Welt. Das puristische Interior begeisterte Brandt mehr als die Gerichte auf dem Teller. Und so wählten sie runde, schlichte Tische aus Walnussholz für das Opus V. Besteck fanden sie bei einer Manufaktur in Portugal, Geschirr in Belgien. Alles war bereit.

Wenn Tristan Brandt durch das Kaufhaus in der Innenstadt lief, war er immer mit zwei Smartphones und einem Festnetztelefon unterwegs. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung nannte ihn einmal den „Siebenmeilenstiefelmann“. Tristan Brandt legt grund­sätzlich eine Geschwindigkeit hin, die verblüfft. Im Alltag, aber auch bei seiner Karriere. Nur zwei Jahre nach seinem Start im Opus V übernahm er die Geschäfts­führung für alle anderen gastronomischen Highlights in den Modehäusern von Engelhorn. Nebenher hat er eine eigene Produktlinie entwickelt, die Tequila, Winzer­ Champagner, Riesling, Kaffee, Essig und Olivenöl beinhaltet – Sternequalität für zu Hause. Das alles blieb nicht unbemerkt. Brandt bekam Angebote aus Tokio und New York. Er lehnte alle ab. Bis jetzt. „Damit ein Koch kreativ bleibt, muss er sich immer wieder von neuen Aufgaben inspirieren lassen und neugierig blei­ben“, sagt Brandt. Wohin es nun geht, verrät er noch nicht. „Ich will ein neues Konzept entwickeln, mit dem ich künftig eine Vielzahl von Menschen mit meiner kulinarischen Esskultur begeistern möchte“, sagt er.

Klingt nebulös, aber Tristan Brandt ist bereit für Neues, ist gerüstet. Er ist nie stehen geblieben oder hat sich auf seinem Können ausgeruht. Immer noch liest er in seiner wenigen Freizeit Kochbücher, an seinem Bett liegen immer ein Notizblock und ein Stift. Falls ihm nachts Ideen kommen, die niedergeschrieben ge­hören. Welche Notizen er sich für die Zukunft auf dem Block gemacht hat, wird die Zeit zeigen. Brandt hat über die Jahre etwas erreicht, was nur wenige Küchenchefs schaffen: Er hat seine eigene Sprache auf dem Teller entwickelt. Seine Kompositionen sind unverwechselbar, die Gerichte modern, er kombiniert gern ungewöhnlich. Und immer mit asiatischen Noten. So serviert er Jakobs­muschel mit Kiwi und Kohlrabi. Rote Bete kommt mit Pumpernickel und Trüffel auf den Teller.

„Manchmal frage ich mich, ob mein Geschmackssinn so viel besser ist.“

- Tristan Brandt

An dem Abend seiner letzten Küchenparty genehmigt er seinen Mitarbeitern einen Drink. Normalerweise herrscht Alkoholverbot in der Küche. Brandt fordert höchste Konzentration. Ihn ärgert es, wenn Saucen Salz fehlt oder sie zu dünn sind. Er sagt dann Sätze wie: „Manchmal frage ich mich, ob mein Geschmackssinn so viel besser ist. Vielleicht merken sie es gar nicht?“ Auch an diesem letzten Abend wird flambiert und geschmort, frittiert, gezupft, gegossen, geschwenkt. Abgeschmeckt und nachgewürzt.

Brandt ist ein Mann ohne klares Alter. Wenn er in Geschäftsterminen sitzt, die Haare streng nach hinten gekämmt, wirkt er älter als 35 Jahre. Brandt siezt kon­sequent die meisten Menschen. „Das hat etwas mit Respekt zu tun.“ Nur die Mitarbeiter seines Teams duzt er fast alle. Am Herd, scheint es, als begegne man dann einem anderen Menschen. Einem anderen Brandt.

Es ist diese Fähigkeit zum Wandel, die ihn nun wohl zu Höherem beruft. Raus aus dem Kaufhaus. Weg aus Mannheim. Hin zu einer neuen Aufgabe – und damit zu einem neuen Brandt.

Der Blick ins Kaufhaus

Tristan Brandt verantwortete neun gastronomische Konzepte unter einem Kaufhausdach. Darunter auch zwei außergewöhnliche Restaurants

Restaurant Opus V in Mannheim

OPUS V

35 Gäste finden im Opus V Platz. Hier ließ Brandt von Asien beeinflusste Haute Cuisine servieren. Die Gerichte tragen die Namen der Zutaten. restaurant-opus-v.de

 

Restaurant Opus V

Le Corange

Das Fischrestaurant mit 60 Sitzplätzen wird von Sternekoch Igor Yakushchenko geführt und befindet sich im 6. Stock. Mit Blick in Richtung Odenwald. corange-restaurant.de

 

Le Corange

Unter einem Dach

Im Modehaus Engelhorn hat Tristan Brandt den Grundstein für gastronomische Abwechslung gelegt. Alle Konzepte: engelhorn.restaurant

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