Das ist Skandinaviens neue Gourmetmetropole
Plüschige Polstermöbel, Samttapeten, Vorhänge mit Blumenmuster und schimmernde Kronleuchter an der Decke: Das Restaurant im Göteborger Hotel Dorsia ist eine Reminiszenz ans Paris der Belle Époque. Die Vorspeise, die dieses Restaurant wohl wie kein zweites Gericht charakterisiert, hat Küchenchef Oskar Samuelsson kreiert: eine einzelne rohe Jakobsmuschel mit in Erdbeeressig eingelegter Gurke für die Farbe, frischem Wasabi für die Schärfe und Kirschblütensahne für den blumigen Akzent – der dann auch wunderbar zum Dekor passt.
Köche entscheiden sich für ruhigere Städte
Samuelsson kocht seit 2021 im Dorsia, kam aus dem Kopenhagener Kadeau, einem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant, das für seine 18-gängigen Degustationsmenüs bekannt ist. Vorher hatte er unter Magnus Nilsson im Fäviken gekocht. Von Nilsson, dem großen Pionier der nordischen Küche, hat er gelernt, wie wichtig und wirksam es sein kann, eine einzelne Zutat in den Fokus eines Gerichts zu stellen. Und wie man in regionalen Gewässern, Wäldern und Landwirtschaften nach eben dieser essenziellen Zutat fahndet. Dass ein Koch vom Talent eines Oskar Samuelsson nun ausgerechnet die Göteborger Gastroszene prägt, ist kein Zufall.
Gewiss, bisher zieht es Gourmets mit Faible für Skandinavien vor allem nach Stockholm, Oslo, Kopenhagen und Reykjavík. Doch im Windschatten der nobleren Kapitalen sprießen mittlerweile auch in anderen skandinavischen Städten aufregende kulinarische Blüten. Talentierte Küchenchefs entscheiden sich immer öfter für ruhigere Orte mit weniger Wettbewerbsdruck. Unvergessliche Mahlzeiten von kreativen Köchen, die klar in der Tradition der neuen nordischen Küche und des Kopenhagener Noma stehen, bekommt man nun auch in Aarhus, Bergen oder eben Göteborg aufgetischt. Nur eines ist hier anders: Die monatelangen Wartezeiten für einen freien Tisch entfallen.
Einfache Techniken definieren den Geschmack
Das neun Jahre alte SK Mat & Människor (ein Michelin-Stern) ist Göteborgs minimalistisches Yin zum ornamentalen Yang des Dorsia. Der Speisesaal, der eine offene Küche integriert, wurde nach klassisch skandinavischen Designprinzipien streng und doch irgendwie gemütlich gestaltet. Küchenchef Henric Herbertsson dirigiert hier ein Team von bis zu fünf jungen Köchen. Er setzt auf einfache Techniken, kreiert dabei aber faszinierende Geschmackserlebnisse: Da wäre zum Beispiel die geschwärzte Jakobsmuschel mit Schnittlauch, Ingwer und gegrillter Sahne. Für letztere Zutat kocht Herbertsson die Sahne, dann gibt er etwas Kohle dazu.
Am Rand der Göteborger Innenstadt erwartet Gourmets der kompakte Speisesaal des Natur. Das Flair des Restaurants ist gehoben und zugleich gelassen. Ein subtiles Nebeneinander dieser beiden Qualitäten prägt auch die Gerichte, die sich am besten als Mosaike aus Aromen und Texturen beschreiben lassen. Ob knuspriger Fenchel und Zitronengelee mit geräuchertem Hummer oder ein aufregendes Beef-Tatar mit Jalapeñomayonnaise, gerösteten Tomaten und hauchdünnem Buchweizenknusper: Jede Komposition wird durch ein oder zwei Elemente geprägt, die ungelenk wirken.
Skandinavische Küche setzt auf Regionalität
Dagegen ist das Erlebnis, das das Restaurant Koka bietet, von nahtloser Präzision geprägt. Design, Tischdekoration, Besteck und Speisen harmonieren hier perfekt miteinander. Das hat aber nichts mit Pingeligkeit zu tun: Im Gegenteil, Küchenchef Joakim Andersson setzt auf spielerische Leichtigkeit. „Wir verwenden Zutaten, die jeder kennt, mischen Aufregendes und Unerwartetes dazu. Zum Beispiel ergänzen wir Marmelade mit getrockneter Dulse, einer Algenart, die nach Lakritze schmeckt“, sagt der Sohn eines Fischers. Seine eigenwillige Algenmarmelade gibt er gern an Ziegenquarkeis und knusprige Rüben.
Vieles, was Feinschmecker heute in Schwedens zweitgrößte Stadt lockt, geht auf das Kopenhagener Noma und das New Nordic Food Manifesto von 2004 zurück. Die Grundlage für Göteborgs kulinarische Größe wurde aber bereits viel früher gelegt: Das für seine weißen Tischdecken und französischen Akzente bekannte Restaurant 28+ hat seinen ersten Michelin-Stern schon 1991 erhalten – und seitdem jedes Jahr verteidigt. Eröffnet wurde es einst als Käse- und Weinbistro. Heute hat das 28+ eine der beeindruckendsten Weinkarten Schwedens, sein reiches Käsesortiment kann man direkt im rustikalen Speisesaal bewundern. Zu den fünf bis acht Gängen der Degustationsmenüs gehören französische Spezialitäten wie Foie gras, Kaviar und hausgebackenes Baguette genauso wie modernere Kompositionen, etwa Langustinenschwanz mit Sanddorngel, Kürbis und schaumiger Langustinensauce. Und das ist dann wieder typisch für die nordische Küche: Bei allem kreativen, kosmopolitischen Geist – der Blick fürs Regionale bleibt hier stets erhalten.