Wein für morgen: Die Supertuscans der Zukunft
Tignanello, Solaia, Guado al Tasso – hinter diesen Namen verbergen sich nicht nur einige der gesuchtesten Weinikonen Italiens, sie alle sind auch untrennbar mit einer legendären toskanischen Winzerdynastie verbunden, die auf eine mehr als 600-jährige Familiengeschichte zurückblickt – den Marchesi Antinori. Urahn Giovanni di Piero Antinori war bereits im Jahr 1385 der angesehenen Florentiner Zunft der Weinhändler beigetreten. Seit 2017 führt Albiera Antinori als erste Frau und in der 26. Generation das global agierende Weinimperium mit einer Jahresproduktion von 23 Millionen Flaschen unter mehr als 120 verschiedenen Etiketten.
Ein Tabubruch revolutioniert Italiens Weinbau
Albieras Vater, Piero Antinori, noch heute Ehrenpräsident des Unternehmens, wurde schon zu Lebzeiten zur Legende. Er brach in den 1970er-Jahren bewusst mit den DOC-Vorschriften, die die Herstellung des Chianti Classico einem starren Regelkorsett unterwarfen. Nach Meinung Antinoris drohte damit die endgültige Degradierung dieses Weins zum charakterlosen Massenprodukt. Deshalb ließ er seinen gemeinsam mit dem Önologen Giacomo Tachis entwickelten Flagship-Tropfen Tignanello entgegen der Tradition nicht nur in französischen Barriques ausbauen und begann, die toskanische Paraderebe Sangiovese mit internationalen Varietäten zu verschneiden; er verbannte auch die damals üblichen weißen Rebsorten aus seiner Neuinterpretation des Chianti-Blends. Seine Entscheidung damals ein Skandal.
Genau dieser Tabubruch aber revolutionierte den Weinbau – nicht nur in der krisengeplagten Anbauregion selbst, sondern am Ende in ganz Italien. Denn Piero legte damit den Samen für eine völlig neue Weinkategorie: die Supertuscans. Heute neben Brunello und Chianti wirtschaftliches Rückgrat der toskanischen Weinindustrie. Heute erwirtschaftet Antinori mit Weingütern und Beteiligungen in Italien, drei weiteren europäischen Ländern und in Übersee einen Jahresumsatz von mehr als 200 Millionen Euro und bewirtschaftet rund 3.000 Hektar eigener Rebflächen. Damit ist Antinori das größte Privatweingut Italiens – und ebenfalls eines der profitabelsten.
Innovation kostet Geld
Treffpunkt mit Albiera Antinori ist am Geburtsort der Supertuscans, der Tenuta Tignanello im grünen Hügelland südlich von Florenz. In den 637 Jahren der Firmengeschichte ist sie die erste Frau auf dem Chefsessel. „Da wir drei Schwestern sind, hatte mein Vater keine Wahl“, sagt Albiera lachend, „natürlich war es am Anfang nicht leicht. Zumal ich beim Eintritt in die Firma sehr jung war und ohne Universitätsabschluss. Mädchen brauchen so etwas nicht, hieß es damals, und ich musste hart arbeiten, bevor mein Vater mir schließlich nach etlichen Jahren die Firmenleitung übertrug.“ Eine weise Entscheidung, wie sich heute zeigt.
Bereits 2012 hat der Familienrat der Antinoris beschlossen, das Unternehmen in eine Stiftung zu überführen. Seitdem werden 95 Prozent der Erträge reinvestiert. Ein Verkauf, die Übernahme oder eine Aufteilung der Firma sind auf 90 Jahre ausgeschlossen. „Wir glauben, dass wir so unserer Verantwortung für das uns anvertraute Land am besten gerecht werden“, erklärt Albiera, „schließlich geht es nicht allein darum, eine über Jahrhunderte gewachsene Tradition zu bewahren.“ Innovation spielte bei den Antinoris immer eine große Rolle. Und das koste eine Menge Geld – nur beides zusammen ermögliche echten Fortschritt, so Albiera.
Toskana leidet unter Klimawandel
Wie andere Weinbauregionen hat auch die Toskana mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Der Grund: anhaltende Trockenperioden und Bodenerosion. „Immer häufiger haben wir es mit Starkregen zu tun“, sagt Albiera. „Dann schießen große Wassermengen ungebremst durch die Weinberge und wertvoller Mutterboden geht verloren. Dann wieder regnet es wochenlang gar nicht.“ Eine der Hauptaufgaben sei deshalb das Wassermanagement, um auf solche Extremsituationen reagieren zu können.
„Gleichzeitig zwingt uns der Klimawandel, darüber nachzudenken, was einen perfekten Weinberg eigentlich ausmacht – von der Sonnenexposition bis zur Höhenlage“, sagt Albiera. Was früher als optimal gegolten habe, sei in Zukunft vielleicht nur noch zweite Wahl. Dafür lieferten mittlerweile auch manche nach Norden oder Nordosten ausgerichtete Lagen exzellentes Lesegut. „Vor allem müssen wir stets vorausschauend planen, denn ein Weinberg braucht Jahre, bevor er voll im Ertrag steht. Da kann man sich nicht allzu viele Fehler leisten“, sagt Albiera Antinori.
Marchesi Antinori investieren in Hospitality
„Meiner Meinung nach liegt die Zukunft der Weinindustrie in einem selbstbewussten und breit gefächerten Markenauftritt, verbunden mit einem Qualitätsversprechen, das seinen Preis hat. Gerade weil mittlerweile auf der ganzen Welt hervorragende Weine produziert werden, müssen wir daran arbeiten, die Besonderheiten der jeweiligen Anbauregion und ihrer Weine gegenüber den Konsumenten zu kommunizieren, um unterscheidbar zu bleiben. Diese Besonderheiten muss man im Wein schmecken können.
Zur Zukunftsstrategie gehört es auch, die Weingüter für die Kunden zu öffnen. Die Familie hat in den letzten Jahren massiv in die Hospitality-Sparte investiert, für die Albieras Schwester Allegra verantwortlich ist. Die bereits 1957 eröffnete Cantinetta Antinori ist eine Florentiner Institution. Das Restaurant befindet sich im Erdgeschoss des familieneigenen Renaissance-Palazzo im Herzen der Altstadt, in dessen Dachgeschoss die Familie seit mehr als 500 Jahren lebt. Mittlerweile wurde die Cantinetta auch in weitere europäische Metropolen wie Wien, Zürich oder Monte Carlo exportiert.
Besonders stolz ist Albiera auf das für weit mehr als 100 Millionen Euro errichtete Besucherzentrum Antinori nel Chianti Classico mit einer hochmodernen Produktionsanlage. Zwischen Olivenhainen und Eichenwäldern erinnern die warmen Farben des Baus an die Erdtöne des Bodens. „Betriebswirtschaftlich war das Projekt Wahnsinn, aber wenn Sie wie unsere Vorfahren anfangen, in Jahrzehnten oder Jahrhunderten zu denken, ist das gut investiertes Geld“, sagt Albiera Antinori und lächelt. So klingt Zukunft.