Klaus St. Rainer und sein One Million Dollar Cocktail
Alles im Leben hat zwei Seiten. Ein Beispiel gefällig? Der Singapore Sling! Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Ngiam Tong Boon, der Barchef des Raffles Hotel in Singapur, einen ausgewogenen Cocktail auf Gin-Basis, der sofort zum Bestseller wurde. Nicht zu süß, nicht zu sauer, angenehmer Rausch, pinke Färbung. Perfekt als Sundowner zu tropischen Temperaturen. Im Handumdrehen wurde aus dem Drink ein Event, das in zahlreichen Reiseführern als Must-do angepriesen wurde. Extra-Tipp: Besuchen Sie das Raffles Hotel an der Beach Rd. und bestellen Sie einen Singapore Sling! Und sie alle folgten.
Anfang der Neunziger brachte mir ein Freund von seiner Asienreise eine Karte mit dem Originalrezept aus dem Raffles mit. Er war der Empfehlung seines Reiseführers gefolgt und hatte für mich den Cocktail in dem Fünf-Sterne-Haus probiert. Sein Urteil: ernüchternd. Er erzählte mir, dass die Drinks dort vorgemixt würden, um dann mittels Zapfhahn ins Glas gepumpt zu werden. Anders könne das Barpersonal den Ansturm von Touristen nicht mehr Herr werden. Ein hochwertiges Erlebnis sieht anders aus. Aber so war es Anfang der Neunziger: Der Singapore Sling war zum pinken Accessoire für Urlaubsfotos verkommen. (Heutzutage gibt es übrigens viele Bars, die sogenannte pre-batched Cocktails anbieten; solange hochwertige Zutaten verwendet werden, spricht in der Regel nichts dagegen.)
Trotz allem: Klassiker bleibt Klassiker. Deswegen habe ich der grau marmorierten Raffles-Karte aus edlem Papier einen Ehrenplatz an meiner Wand gegeben, gleich über meiner gut bestückten Hausbar. Mehrere Jahre hing sie dort eher unbeachtet, aber doch als nostalgische Erinnerung an die vornehme Herkunft des Singapore Sling. Bis ich kürzlich in eine neue Wohnung umzog. Ich hängte die Karte als eines der letzten Dinge vom Nagel ab, um sie im Karton zu verstauen – zum ersten Mal aber drehte ich dabei die Karte um und betrachtete ihre Rückseite. Da war noch ein Rezept. Eine andere Kreation von Ngiam Tong Boon: der Million Dollar Cocktail. Bossiger Name, der sein Versprechen hält. Im Gegensatz zum Singapore Sling kommt er ohne Zitrus aus, was Sodbrennen vorbeugt. Außerdem schmeckt er runder und weniger süß. Diese Kreation, ich habe sie noch etwas angepasst, begeistert mich immer wieder, und der Million Dollar Cocktail ist meine Geheimwaffe, wenn jemand etwas Besonderes ins Glas haben will. Merke: Im Leben haben eben alle Dinge zwei Seiten. Es lohnt sich, beide zu betrachten.
Rezept für den One Million Dollar Cocktail
Zutaten
50 ml No. 3 London Dry Gin
15 ml roter Wermut (z.B. Del Professore)
15 ml trockener weißer Wermut (z.B. Noilly Prat)
60 ml frisch gepresster Ananassaft
1/2 frisches Eiweiß
2 Dashes Angostura Bitters (oder Sexy Bitters)
Zubereitung
Alle Zutaten auf solidem Eis hart für 10 bis 15 Sekunden shaken und in eine vorgekühlte Cocktailschale finestrainen bzw. abseihen.
Pflichtlektüre
„Homebar: Easy Cocktails für Zuhause” von Klaus St. Rainer