Kann Sekt mit Champagner mithalten?
New York, Februar 1902. Kaiser Wilhelm II. war „not amused“, als er erfuhr, dass die vorgesehene Magnum-Flasche für die Taufe seiner neuen Yacht ausgetauscht worden war. Man hatte den Rheingold-Sekt der Söhnlein-Kellerei kurzerhand durch eine Flasche White-Star-Champagner von Moët & Chandon ersetzt, was einen diplomatischen Eklat zwischen Deutschland, Frankreich und den USA zur Folge hatte. Dieser Vorfall ging als „Champagnerkrieg“ in die Geschichte ein und verdeutlicht die damaligen Ambitionen des deutschen Sekts als ernst zu nehmender Herausforderer des Champagners. In den folgenden Jahrzehnten hat sich das Kräfteverhältnis jedoch zugunsten des Champagners verschoben. Der eine wurde zum teuren Edelstoff, der andere zur Discounterplörre. Aber das ändert sich jetzt – denn wir stecken mitten in der deutschen Sektrevolution.
Deutschland ist Weltmeister im Sekttrinken
Denn kein anderes alkoholisches Getränk erlebt derzeit in Deutschland eine ähnliche Dynamik wie der Sekt. In Sachen Schaumwein sind wir Weltmeister: Mit 38 Gläsern pro Kopf jährlich trinken wir mehr Prosecco, Lambrusco, Pét Nat, Cava, Cremant, Champagner und auch deutschen Sekt als jedes andere Land. Ob Schiffstaufe, Formel-1-Sieg oder die Geburtstagsfeier im Büro – Sekt verkörpert stets das Besondere im Alltäglichen, selbst wenn er nur ein bisschen Glitzer in einen schnöden Mittwochnachmittag bringt.
Die Sektlaune hat per se ein freudvolles Naturell. Sie ist mehr als der latente Durst, der einen wie ein langer Schatten verfolgt. Sie distanziert sich klar vom moralinsauren Bierernst sowie ihrer durchgeknallten Schwester, der Schnapsidee. Die Sektlaune ruht in sich selbst und braucht keine Rechtfertigung. Manchmal ist schon die Tatsache, dass eine Flasche kalt liegt, Anlass genug, sie auch zu trinken. Doch lange speiste sie sich aus dem unteren Regal der Discounter, und wie der Preis war auch ihr Leumund schnell am Boden. Und was macht man, wenn etwas am Boden liegt? Richtig: nachtreten!
Diese Regeln gelten für deutschen Sekt
Sekt stand lange für preiswerten und gesichtslosen Sprudel mit schalem Erwachen am nächsten Morgen. Kein Wunder also, dass die derzeitige Sektrevolution einige ungläubig den Kopf schütteln lässt. Im Gegensatz zu Champagner, Cava oder Franciacorta, die alle eine geschützte Herkunftsbezeichnung tragen und an streng definierte Regeln für Region, Rebsorten und Herstellung gebunden sind, ist der Begriff „Sekt“ deutlich offener. So dürfen Schaumweine, die in Deutschland hergestellt werden, zwar den Namen „Sekt“ tragen, doch die Grundweine können aus Albanien oder Zypern kommen – solange nur die zweite Gärung in Deutschland erfolgt.
Lediglich hochwertiger deutscher Sekt, für den ausschließlich heimische Trauben verwendet werden, knüpft seine Qualität eng an die Herkunft. Damit ein Schaumwein als deutscher Sekt gilt, müssen die Trauben aus heimischen Lagen stammen und strenge Auflagen erfüllen. Das bedeutet mindestens zehn Prozent Alkohol, neun Monate Reifezeit auf der Hefe sowie einen Druck von mindestens dreieinhalb Bar. Ab diesem Druckniveau wird die sogenannte Sektsteuer von 1,02 Euro pro Flasche fällig. Die Steuer wurde 1902, im Jahr des „Champagnerkrieges“, eingeführt, um die kaiserliche Flotte zu finanzieren.
Woran erkennt man die Qualität von Sekt?
Heute wird das Geld nicht mehr für Schiffe ausgegeben, aber kassiert wird immer noch: 2022 nahm der deutsche Staat 352 Millionen Euro durch die Sektsteuer ein. Und auch wenn unser Konsum um 1,5 Prozent zurückging, tranken wir immer noch rund 267 Millionen Liter Sekt. Das heißt: So viel wurde verkauft, ob sie dann tatsächlich auch getrunken wurden oder doch bei Siegesfeiern oder Schiffstaufen verspritzt wurden, bleibt offen. Kleinere Schäumer wie Prosecco Frizzante fallen übrigens nicht unter die Steuer, weil sie mit weniger als drei Bar Druck auf die Flasche kommen.
Die Qualität eines Sektes erkennt man an seiner Perlage, den feinen Bläschen, die ihn vom Still- zum Schaumwein erheben. Sie kommen auf drei unterschiedliche Arten in die Flasche: durch die Tankgärung, das Transvasierverfahren oder die traditionelle Flaschengärung. Das Prinzip ist dabei immer dasselbe: Ein Grundwein durchläuft nach Zugabe von Zucker und Hefe eine zweite Gärung, bei der sich die Kohlensäure im Wein bindet. Bei der einfachsten Methode, der Tankgärung, erfolgt die zweite Gärung in riesigen Drucktanks. Dies ist eine effiziente Möglichkeit, kostengünstig riesige Mengen zu erzeugen.
So funktioniert die Flaschengärung
Derlei erschwingliche Festlichkeit für jedermann war lange angesagt: Das Pikkolöchen als Zündkerze der frohsinnigen Viertelstunde am Nachmittag wurde zum Sinnbild des deutschen Wirtschaftswunders. Söhnlein, Mumm, Henkell oder Kupferberg, sie alle produzieren so. Beim Transvasierverfahren reift der Sekt zwar in der Flasche, wird dann aber zur Homogenisierung in Drucktanks gefüllt. Anschließend wird alles zurück in Flaschen gefüllt und als Flaschengärung verkauft. Klingt gemogelt, ist aber gesetzeskonform.
Die Königsklasse der Schaumweinherstellung bleibt die traditionelle Flaschengärung. Die zweite Gärung findet dafür in der Flasche statt, wo die Hefe den Zucker verstoffwechselt und sich im Flaschenhals absetzt. Dabei entwickeln sich durch Aminosäuren komplexe Aromen, die an frisches Gebäck und Nüsse erinnern. Die Qualität des Sektes wird wesentlich durch die Dauer der Reifezeit auf der Hefe definiert. Deutschland hat sich lange auf die industrielle Massenproduktion mittels Tankgärverfahren konzentriert. Zudem gab es das Sektmonopol, das ausschließlich den großen Sekthäusern die Herstellung erlaubte.
Guter Sekt braucht hochwertige Trauben
1971 fiel dieses Monopol, und seitdem dürfen auch Winzer und Genossenschaften Sekt produzieren. Dennoch schien zunächst kein rechter Frohsinn aufzukommen, da oftmals Trauben verwendet wurden, die für Stillweine nicht gut genug waren – reine Resteverwertung also. Der Schlüssel zur Renaissance des deutschen Sekts liegt in der Erkenntnis, dass Sekt eben nicht einfach nur sprudelnder Wein ist. Ebenso entscheidend ist, dass ein guter Sekt nur aus hochwertigen Trauben entstehen kann. Während Winzer bei der Stillweinherstellung auf vollreifes Lesegut achten, ist für die Sektproduktion essenziell, die Säuren zu erhalten. „Kochen ist nicht backen“, wie Tim Mälzer es ausdrückt. Seit diese Prinzipien verstanden wurden, wurde die Qualität immer besser.
Volker Raumland, der „Godfather“ des deutschen Sekts, hat maßgeblich dazu beigetragen. Er gründete sein Sekthaus 1984, zu einer Zeit also, in der es noch kaum Wissen über die Herstellung von Spitzensekt gab. Bio-Landwirtschaft, eigene Weinberge, behutsame Arbeit im Keller und viel Zeit sind die Grundpfeiler seiner Philosophie. Auch der enge Bezug zur Herkunft des Grundweins ist entscheidend: je klarer die Herkunft, desto höher die Qualität. Und die Geduld zahlt sich aus: Weil er kompromisslos nach Qualität strebt, wurde Raumland 2020 als erstes reines Sektgut Mitglied im Verband Deutscher Prädikatsweingüter, dem VDP.
Sektanbau profitiert vom Klimawandel
Auch der Klimawandel hilft der Sektrenaissance. In klassischen Regionen wie der Champagne verändert er bereits den Charakter der Weine, in der Cava- und Corpinnat-Region Penedès bedroht die anhaltende Dürre ganze Ernten. In Deutschland, einer klassischen Cool-Climate-Region, profitiert insbesondere der Riesling davon. Mathieu Kauffmann, früher Chef de Cave bei Bollinger, erkannte dessen Potenzial als Basis für Weltklasseschaumweine.
„Riesling hat ebenso großes Potenzial wie die Burgundersorten, wenn nicht sogar größeres“, meint Kauffmann. Man müsse lediglich ein paar Kleinigkeiten beachten: „Ein großer Sekt lebt immer vom Wechselspiel von Säure, Schmelz, Konzentration und Phenolik, die für die Textur oder das Mundgefühl verantwortlich ist.“ In ihrem Sekthaus Christmann & Kauffmann will er zusammen mit Sophie und Steffen Christmann neben den klassischen Burgundersorten den Riesling neu definieren und wieder an die Spitze der Schaumweinelite führen.
Immer mehr Sektgüter in Deutschland
Der größte immaterielle Faktor bei der Herstellung von Spitzensekt ist Zeit. Die gesetzlich vorgeschriebenen neun Monate Reifezeit werden so gut wie von allen Produzenten in der Spitze überschritten. Die Richtlinien des VDP sehen beim normalen Sekt 15 Monate, beim Prestigesekt mindestens 36 Monate Hefelager vor. Für seine Grande Cuvée lässt Raumland den Sekt bis zu 120 Monate reifen – zehn Jahre. All diese Bausteine des Qualitätspuzzles haben ein vielfältiges Sektangebot hervorgebracht, das vor zehn Jahren kaum vorstellbar war.
Neben dem Pionier Raumland bereichern viele Sektgüter das immer größer werdende Angebot – von der Sektmanufaktur Schloss Vaux über Griesel & Compagnie bis hin zu Andres & Mugler oder dem Sekthaus Bardong. Sekt ist nicht mehr nur ein Nebenprodukt der Winzer, sondern eine ernst zu nehmende Disziplin für spezialisierte Häuser. Die Sektwelle breitet sich von Saale-Unstrut über die Ahr bis ins sonnenverwöhnte Baden aus.
Sekt als Aperitif oder zu feiner Küche
Denn Sekt ist heute viel mehr als schnödes Kerosin für gute Laune. Er ist wieder ein handwerkliches Produkt und Haltungssache. Anders als Stillwein ist er an keinerlei Situation gebunden. Er kann mein Komplize über den gesamten Abend hinweg sein, gelöst aus der Aperitif-Rolle, denn er ist längst viel zu gut, um nur in der Nische zu verharren. Sekt glänzt heute sowohl als Solist, als auch als Sparringspartner zu feiner Küche. Ein Glas Bier zum Frühstück hätte den Dünkel des Alkoholismus, Härteres wäre eine Schnapsidee. Ein Glas Sekt hingegen adelt den Tag und lenkt ihn in ein gewisses Gleisbett. Also ran an die Korken, und bitte bedenken Sie: Ein Glas Sekt lächelt nur 30 Sekunden.