Nathan Sereys de Rothschild: „In unseren Adern fließt Wein”

Die vierte Generation von Mouton Cadet läuft sich warm: Mathilde und Nathan Sereys de Rothschild signieren einen Rosé- und Weißwein. Die Geschwister über Wein, Erfolg und das Leben mit einem berühmten Namen.
Text Silke Bender

Ihr Urgroßvater Baron Philippe de Rothschild etablierte ab 1930 mit der Marke Mouton Cadet jüngere Bordeauxweine, die für die breite Masse erschwinglicher wurden und längst auch in der Spitzen­gastronomie angekommen sind. Heute wird das Familienunternehmen von Va­ter, Onkel und Tante von Mathilde und Nathan Sereys de Rothschild geleitet, die dieses Jahr einen Rosé und einen Sauvignon blanc mit ihrem Namen signiert haben. Mathilde, Jahrgang 1993, studierte Film in London und betreibt heute mit ihrem besten Freund eine Kommunikationsagentur für di­gitales Marketing in Paris. Nathan, Jahrgang 2000, ist Klavier­ und Schlag­zeugspieler, machte seinen Master als Orchesterdirigent und studiert aktuell Schauspiel am Lee Strasberg Institute in New York. Wir trafen sie zur Degusta­tion in Bordeaux.

Zwischen Kultur und Kultivieren: Mathilde Sereys de Rothschild fühlt sich auch in der Welt des Films zu Hause.

Wie alt waren Sie bei Ihrem ersten Schluck Wein?

Mathilde: Zehn Jahre etwa. Am Anfang hat er mir überhaupt nicht geschmeckt. Die richtige Wertschätzung kam erst viel später, so mit etwa 20 Jahren.

Nathan: Ich habe schon früher, mit fünf, sechs Jahren, den Finger ins Glas ge­steckt und ihn abgeleckt. Mir hat Wein gleich geschmeckt.

Heimlich oder vor Ihren Eltern? 

Nathan: Sagen wir mal unverfäng­lich: Ich wurde dabei pädagogisch be­treut. Ich wurde durch das Ritual des Weins und des Weinmachens wäh­rend meiner Kindheit eingelullt.

Ihre Biografien bisher weisen nicht darauf hin, dass Sie Ihre Zukunft im Wein sehen. Was qualifiziert Sie, einen Mouton-Cadet-Wein mit zu entwickeln und zu signieren?

Mathilde: Vor etwa vier Jahren wurden wir von der Familie gefragt, ob wir uns an der Verjüngung der Marke beteiligen, um eine jüngere Generation von Konsu­menten anzusprechen. Es stimmt, dass wir keine große Erfahrung im Weinbau haben. Aber Nathan und ich arbeiten sehr gerne zusammen, haben bereits mehrere künstlerische Projekte auf die Beine gestellt. Und wir können uns sehr leicht in die Lage junger Menschen ver­setzen und die Ideen oder die Art und Weise, wie sie ein Projekt wahrnehmen könnten, hinterfragen.

Der Name Rothschild ist untrennbar mit Wein verbunden. Das weiß auch Nathan Sereys de Rothschild.

Was für künstlerische Projekte zum Beispiel?

Mathilde: Wir haben an Kurzfilmen ge­arbeitet, bei denen Nathan die Musik für den Film komponiert hat, den ich geschrieben und bei dem ich Regie geführt habe – also eine Familienangelegenheit. 

Nathan: Ursprünglich war die Idee nicht gleich, einen Wein nach unse­rem Geschmack zu komponieren und zu signieren. Vielmehr ging es darum, eine Art Thinktank im Unternehmen zu gründen, der über die Lösung neuer Herausforderungen nachdenken sollte, wie zum Beispiel die Tatsache, dass junge Leute heute immer weni­ger Wein trinken. Die Frage war: Wie kann man der Marke Mouton Cadet ein neues Image verleihen, das die jun­ge Generation anspricht?

Und was waren Ihre Ideen? 

Nathan: Mouton Cadet über das Lebensgefühl hier zu transportieren. Jedes Mal, wenn ich in den Südwesten Frankreichs komme, fühle ich mich verdammt wohl und Mathilde auch. Wir mögen die Stadt Bordeaux und die Region hier sehr. Wir sind in Pa­ris aufgewachsen, aber unsere Ferien und Feiertage haben wir immer schon hier verbracht, entweder bei unseren Großeltern oder mit den Eltern am Cap Ferret. Wenn wir mit unserem Wein ein paar neue Impulse für die zukünftige Entwicklung der Region geben können, machen wir das gern.

Als Nachkommen einer Winzerfamilie müssten Sie doch schon im Wein gebadet worden sein?

Nathan: Natürlich haben wir schon als Kinder mit unseren Großeltern die Weinberge und die Keller besucht. Das ist etwas, mit dem wir aufgewach­sen sind und vor dem wir großen Res­pekt haben. Ich würde schon sagen, in unseren Adern fließt Wein.

Nathan, Sie als Musiker haben Ihrem Sauvignon blanc eine Playlist hinzugefügt, darunter diverse Italo-Disco-Klassiker der 80er-Jahre. Da waren Sie noch nicht geboren.

Nathan: Stimmt, aber ich habe mir den Weg dorthin musikalisch erarbeitet. Mit meinen Kumpeln habe ich während Covid viel Musik gehört und Stü­cke gemixt, vor allem Lieder von Daft Punk und House. Und der Vorläufer von House ist natürlich Disco. So bin ich auf diese Musik gestoßen, die ich auf eine amüsante Weise schräg finde. Sie ist so sonnig, sorglos und macht einfach Lust zu tanzen. Genau das richtige Ambien­te für den Genuss des Weißweins.

Passend zu seinem Sauvignon blanc hat Nathan Sereys de Rothschild eine Playlist zusammengestellt.

Was würden Sie als Ihren bisher größten persönlichen Erfolg bezeichnen?

Mathilde: Die Regie meines ersten Thea­terstücks, eine feministische Komödie: „Die verrückte und ungehörige Geschich­te der Frauen“, die ich für das Pariser Theater Le Funambule produziert habe. Die Premiere war ein paar Wochen vor Covid, ein Riesenpech. Doch nach dem Lockdown wurde es ein richtiger Erfolg, das Stück ging sogar auf Tournee und wird noch die nächsten Jahre gespielt!

Nathan: Mein Diplom in Orchesterlei­tung abgeschlossen zu haben. Es war ein echter Kampf für mich. Gerade im ersten Jahr fühlte ich mich überfor­dert: vom Lehrplan, von den Professo­ren, meinem Anspruch an mich. Ich geriet ins Schlingern, wusste nicht, wohin ich eigentlich wollte. Aber ich habe nicht aufgegeben, und irgend­wann hat es klick gemacht. Das hat mir eine enorme Disziplin in meiner Arbeit und eine große Selbstreflexion beschert, aus der ich stärker und reifer hervorgegangen bin.

Wie groß ist die vierte Generation des Unternehmens Baron Philippe de Rothschild?

Mathilde: Wir haben noch eine Schwester, Leonore, und sieben Cou­sins und Cousinen. Einer von ihnen, Pierre, wird nächstes Jahr auch einen Rotwein signieren.

Wie viele Menschen kommen zu Ihren Familienfesten

Mathilde: Wir reservieren immer das Stade de France in Paris. Nein, ist na­türlich Quatsch.

Nathan: Ehrlich, wir wissen nicht, wie viele wir sind, da wir über so viele Län­der verteilt sind und nur mit wenigen Kontakte pflegen.

Mathilde: Ein kleines Beispiel: Vor zwei Tagen bin ich mit dem Zug von Paris nach Bordeaux gefahren. Da habe ich mit einem niedlichen Hund gespielt, der mir irgendwie auch bekannt vor­kam. Erst beim Aussteigen fiel endlich der Groschen, und ich habe sein Frau­chen als meine Cousine Saskia erkannt, die hier in Bordeaux das andere Familienweingut leitet!

Mit welchem Ethos wurden Sie erzogen, spielten der Familiengeist und die Tradition eine Rolle?

Nathan: Unsere Eltern haben uns im­mer gesagt: Macht, was ihr wollt, aber macht es gut.

Mathilde: Vielleicht haben wir des­halb auch kein großes Bedürfnis nach Rebellion oder Distanzierung. Nie­mand erwartet von uns, alles so zu machen wie die Generationen vor uns. Wir haben die Freiheit, unseren eige­nen Weg zu gehen. Schon meine Groß­mutter Philippine war Schauspielerin unter Künstlernamen an der Comédie Française, bis sie mit fast 60 Jahren erfolgreich die Leitung des Weinguts von ihrem Vater übernahm.

Haben Sie Ihren Nachnamen auch schon bewusst verschwiegen? 

Mathilde: Natürlich, an meinem Briefkasten stand er noch nie. 

Nathan: An meinem auch nicht. Es geht dabei nicht darum, uns zu ver­stecken, sondern eher um das Privat­leben. Unser Privatleben.

...oder gezielt eingesetzt, um etwas zu erreichen?

Mathilde: Nur wenn ich einen guten Tisch in einem angeblich ausgebuch­ten Restaurant bekommen will.

Nathan: Nein, so was machst du? (lacht)

Mathilde: Natürlich nicht. Auf so ei­ne Idee käme ich nie.

Spüren Sie Erfolgsdruck oder sagen Sie sich: Egal, ich komme auch ohne diesen, nennen wir ihn geliehenen, Erfolg über die Runden?

Mathilde: Und ob! Ich möchte nicht als diejenige in die Familiengeschich­te eingehen, die nichts auf die Reihe bekommen hat.

Nathan: Natürlich möchte ich auch Erfolg haben, aber ich empfinde es nicht als Druck von innen oder außen. Mein Credo ist das, was meine Eltern mir mitgegeben haben: Mach, was du willst, aber mache es gut.

Ihr Urgroßvater und Gründer des Weinguts war ein Rebell, der sich nicht in die Londoner Familienbank einfügen wollte und auf eigene Art erfolgreich wurde. Wie sehen Ihre Träume aus?

Nathan: Das Berliner Sinfonieorches­ter zu dirigieren wie Herbert von Ka­rajan. Den Nervenkitzel zu spüren, vor einem großen Orchester zu ste­hen, ist ein Traum ...

Mathilde: Die Goldene Palme von Cannes zu gewinnen. Mit meinen Ideen Menschen zu begeistern. Etwas zu schaffen, das nachhaltig positive Impulse setzt.