Welche Kunst darf man noch kaufen?
Es passierte bei der Preview der European Fine Art Fair in New York: Ein amerikanischer Sammler sieht sich bewundernd einen Marmortorso an. Der Händler, ein feiner Herr aus Paris, bewegt vorsichtig den Sockel, auf dem die jahrtausendealte Skulptur steht. „Wir haben Fotos von ihr aus der Zeit vor den Jahren ab 1970“, sagt er schnell. Für Insider der Szene war dieser Satz lange eine gängige Chiffre für „legal zu verkaufen“. Es häufen sich seit Jahren die Schlagzeilen über beschlagnahmte archäologische Artefakte, die Kuratoren und Sammler in Schwierigkeiten bringen, sowie über Kunsthändler, die sich vor Gericht verantworten müssen. In der Kunstwelt geht die Angst um. Die Gier nach wertvollen Antiquitäten aus allen Epochen und Kulturen der Menschheitsgeschichte hat trotzdem nicht nachgelassen. Im Gegenteil: Selbst Sammler zeitgenössischer Kunst interessieren sich immer mehr auch für römische Mosaike oder chinesische Buddhas – von denen ihre Kunstberater nicht unbedingt viel verstehen.
UNESCO-Konvention legt Richtlinien fest
So mischen sich derzeit auf dem Kunstmarkt eine starke Nachfrage, eine vergleichsweise hohe Risikobereitschaft und eine gewisse Naivität zu einer explosiven Melange. Selbst etablierte Experten – Juristen, Museumsfachleute, Kunsthistoriker, Händler und Sammler – sind verunsichert. Wie konnte es so weit kommen? Bis ins frühe 20. Jahrhundert beanspruchten Kolonialmächte die Kunstschätze eroberter Länder und Kulturen wie selbstverständlich für sich. 1970 legte eine UNESCO-Konvention Richtlinien zur Aus- und Einfuhr von Kulturgütern fest. Die aber war nicht einklagbar, sodass sie viele Sammler und Museen nicht allzu ernst nahmen. 2008 beschloss die nordamerikanische Association of Art Museum Directors neue Regeln, die Museen dazu verpflichteten, den Hintergrund ihrer Ankäufe genau zu recherchieren. Dabei sollten sie auf Provenienzen bestehen, also auf Herkunftsangaben, die mindestens bis 1970, ins Jahr der UNESCO-Konvention, zurückverfolgt werden können. Hier schließt sich der Bogen zu dem feinen Herrn aus Paris.
Vorangegangen war ein Kunstraub historischen Ausmaßes: 2003, während der US-Invasion im Irak, waren nämlich 150.000 Objekte aus dem Bagdader Nationalmuseum gestohlen worden. Obwohl es weiterhin Schlupflöcher gibt, wird die Luft für den Handel mit Raubkunst immer dünner. Dafür sorgte neben den strengeren Gesetzen und Regeln vor allem die Digitalisierung. Viele Sammlungen haben mittlerweile Online-Datenbanken, wo sowohl Kunstliebhaber als auch Staatsanwälte die Inventarlisten einsehen können. „Man kann Raubkunst nicht lange behalten, wenn die gesamte Sammlung und Provenienz online steht.“, sagt Victoria Reed, leitende Kuratorin für Provenienz am Museum of Fine Arts (MFA) in Boston. In den letzten Jahren rückt das Thema des kolonialen Kunstraubs auch in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Eine der prominentesten Figuren ist Matthew Bogdanos. Der heutige New Yorker Staatsanwalt war zur Zeit der Museumsplünderung in Bagdad als Marineoberst im Irak stationiert. Inzwischen hat er Tausende gestohlener Objekte aufgespürt und dabei spektakuläre Coups gelandet.
Käufer müssen gründlich recherchieren
Bogdanos beschlagnahmte Dutzende Objekte im New Yorker Metropolitan Museum of Art. Er erreichte ein lebenslanges Sammelverbot für den Milliardär Michael Steinhardt, der außerdem 180 Antiquitäten im Wert von knapp 70 Millionen Euro abgeben musste. Bogdanos Büro konfiszierte auch 89 Objekte von Shelby White, einer Sammlerin, die lange im Vorstand des Met gesessen hatte. Die Rechtslage zur Rückführung von Raubkunst wird immer komplexer. In den USA besteht sie aus einem Mosaik diverser Gesetze, bilateraler Abkommen und endlos langer Listen betroffener Materialien. Sind die eingangs erwähnten Fotos von vor 1970 eine Garantie dafür, keinen Ärger zu bekommen? „1970 ist kein magischer Schutzschild, beim Erwerb eines Stücks keine Probleme zu bekommen“, sagt Elizabeth Marlowe, Professorin für Kunstgeschichte und Museumsstudien an der Colgate University in Hamilton im Staat New York.
Eine Garantie böte nur eine amtliche Ausfuhrgenehmigung aus dem Herkunftsland des jeweiligen Objekts. „Ich habe aber noch nie eine Antiquität auf dem Markt gesehen, für die so eine Genehmigung vorlag“, sagt Victoria Reed, die Kuratorin für Provenienz aus Boston. Wer beim Sammeln gesetzestreu handeln will, dem raten Experten zu einer gründlichen Recherche. „Der Käufer sollte dem Verkäufer nicht alles glauben – sondern lieber genauer hinsehen“, sagt Reed. Leichter gesagt als getan: Antiquitäten würden oft mit einer erfundenen Geschichte verkauft, berichten Brancheninsider. Da vielen Sammlern eine lückenlose Dokumentation immer wichtiger wird, nimmt auch die Zahl der gefälschten Herkunftsnachweise zu. Händler verschleierten häufig das wahre Herkunftsland. „Bei bestimmten Objekten ist offensichtlich, dass es sich um Raubkunst handelt“, sagt Kunstprofessorin Marlowe. „Aber solange keiner weiß, wem diese Stücke gestohlen wurden, sind sie legal und noch im Umlauf.“
Die Frage nach der Herkunft muss geklärt sein
Selbst wenn alle Beteiligten nach bestem Wissen und Gewissen handeln, lässt sich die Herkunft eines Artefakts manchmal nicht einwandfrei ermitteln: Die Grenzen antiker Kulturen und Staaten verliefen ja oft anders als jene moderner Nationen. Ein römisches Artefakt könnte aus Spanien, aus der Türkei oder aus Tunesien stammen. Charis Tyndall, Direktorin der Londoner Galerie Charles Ede, weist darauf hin, dass es jahrzehntelang nicht üblich war, detaillierte Besitzverzeichnisse zu führen. Wenn es überhaupt Papiere gab, wurden sie von Sammlern weggeworfen. „Heute fragen die Leute zuerst nach der Herkunft", sagt Tyndall, die jetzt viel Zeit mit Provenienzforschung verbringt. „Die Händler haben eine besondere Sorgfaltspflicht“, sagt der renommierte US-Kunstanwalt Tom Kline. „Von den Käufern verlangt der Gesetzgeber dagegen gar nichts.“ Zumindest auf dem Papier.
Wer als Käufer selbst gründlich recherchiere, habe im Zweifelsfall vor Gericht aber deutlich bessere Karten. „Es ist besser, wenn ein Besitzer sagen kann: ,Ich habe einen Experten angeheuert, die Literatur geprüft, mit Museen gesprochen. Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand.‘“ Viele vermögende Privatsammler verstünden allerdings noch immer nicht, wie riskant ein Kauf von Kunst und Artefakten ungeklärter Provenienz ist. „Sie handeln nicht in böser Absicht“, sagt Kline. „Aber heutzutage muss man gründlicher sein.“ Kline rät Sammlern deshalb, ihre Kollektion von einem Experten untersuchen zu lassen. Bei manchen Objekten mit vager Vorgeschichte könnten Bedenken schnell ausgeräumt werden. Das schaffe eine optimale Grundlage für einen eventuellen Weiterverkauf. „Möglicherweise müssen Verkäufer künftig noch strengere Dokumentationspflichten erfüllen“, sagt Kline. Mit einer gründlichen Dokumentation entlasteten Sammler zudem spätere Erben, die sonst vor großen Problemen stehen könnten.
Restauratoren können Informationen liefern
Es gibt unterschiedliche Ansichten, wie solche Herkunftsrecherchen durchgeführt werden sollten. Gary Vikan, der ehemalige Direktor des Walters Art Museum in Baltimore, empfiehlt Kaufinteressenten, Fotos der Kunstobjekte an die Kulturattachés möglicher Herkunftsländer zu schicken. „Glauben Sie nicht einfach die Geschichte, die Ihnen der Verkäufer vorsetzt“, rät er. „Machen Sie Ihre Hausaufgaben.“ Tom Kline warnt dagegen, dass die Verbreitung von Fotos wie ein Zeitzünder wirken kann – und manchmal noch Jahre später zu Rückgabeforderungen führt. Sammler, die keinen Experten beauftragen, sondern selbst recherchieren wollen, sollten Veröffentlichungen, Verkaufsunterlagen und Ausstellungslisten überprüfen. Ein unabhängiger Restaurator kann zusätzlich wertvolle Informationen liefern. Etwa wenn er feststellt, dass ein Objekt mit Materialien und Techniken des 19. Jahrhunderts instand gesetzt wurde. Das könnte dagegensprechen, dass es erst vor Kurzem gefunden und aus seinem Herkunftsland exportiert wurde. „Kunst wird seit langer Zeit kopiert“, sagt Charis Tyndall. „Wer sich nicht gut auskennt, hält eine 300 Jahre alte Kopie vielleicht für ein 3.000 Jahre altes Original.“
Es gibt noch einen Aspekt, an den Sammler denken sollten, wenn sie Artefakte kaufen wollen: „Es ist nicht korrekt, Objekte zu besitzen, die anderen Gemeinschaften heilig sind“, sagt Kunsthistorikerin Marlowe. „Also Kachina-Puppen der Hopi, Skelette und Schädel, Steinskulpturen oder Schreine aus Nepal, Kambodscha oder Indien und auch religiöse Ikonen, die mal in einer italienischen Dorfkirche standen.“ Das Sammeln solcher Objekte sei unethisch. Solche Debatten scheinen den Markt für Kunstschätze grundlegend verändert und auch verunsichert zu haben. Viele Fragen sind bislang unbeantwortet: Das Jahr 1970 ist ein willkürlich gesetztes Datum, ebenso wie jene in anderen Abkommen. Sollte so wirklich der Besitz einiger der größten Schätze der Menschheit geregelt werden? Gibt es eine moralische Rechtfertigung dafür, dass Zehntausende von Objekten weiterhin bei ihren derzeitigen Besitzern bleiben dürfen? Sollte man antike Artefakte ihren Herkunftsländern zurückgeben? Oder gehören sie der ganzen, globalisierten Welt?
Der Mensch als Verwalter der Geschichte
„In einer kosmopolitischen Welt, in der Menschen und Ideen Grenzen überschreiten, sollte das auch die Kunst tun dürfen“, sagt Gary Vikan, heute Präsident des Committee for Cultural Policy, einer Denkfabrik, die sich für den kontrollierten Austausch von Kulturgütern einsetzt. „Und das sollte in einer geregelten, respektvollen Weise geschehen.“ Charis Tyndall teilt dieses Anliegen: „Wenn Sammlungen nicht mehr vollständig sind, dann werden sie langweilig und sterben“, befürchtet sie. „Das schadet der gesamten akademischen Erforschung unserer Geschichte.“ Der Sammler Jack Shear ergänzt: „Artefakte sind ein Symbol dafür, dass das Leben immer weitergeht, dass Gegenstände von einer Hand zur nächsten weitergereicht werden.“ Die Menschen seien nur Verwalter der Geschichte. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.