Dieses Surftown schlägt Wellen

Chris Boehm-Tettelbach ist der Mann, der ein Stück deutsche Geschichte geschrieben hat. Nach fünf Jahren Entwicklungszeit eröffnete er am 10. August 2024 das o2 Surftown Muc, den ersten Surfpark der Nation. Der CEO ist ein Berufsjugendlicher mit einem ansteckenden Lächeln. Sneaker, Jeans, Hoody – der 60-Jährige ist von seinen scheinbar durchweg jüngeren Mitarbeitern so nur schwer zu unterscheiden. Aber klar erkennbar: Er ist einer der wenigen, der festes Schuhwerk trägt. Der Rest wuselt in Flip-Flops oder barfuß durch das viergeschossige Bürogebäude in Hallbergmoos, in der Nähe des Münchner Flughafens. Die Passion fürs Wellenreiten und das Strandleben ist hier, im dritten Geschoss, nahezu greifbar. Wie eine dicke Schicht Sonnencreme hat sie sich über alles und jeden ergossen. Boehm-Tettelbach steht am Fenster und blickt wohlwollend auf sein Werk: eine 2,20 Meter hohe Welle, die sich ihren Weg durch den gewaltigen, nierenförmigen Pool bahnt. In der offenen Wasserwand hängt ein Surfer. „Wir sind jetzt hier der größte Adrenalin-Dealer des Landes“, sagt Boehm-Tettelbach und lächelt.

Herr Boehm-Tettelbach, Sie verstehen sich als Ideenverkäufer. Was dürfen wir darunter verstehen?
Man muss vielleicht wissen: Ich bin kein Mensch mit einem stringenten beruflichen Werdegang. Ich habe mich sehr, sehr früh selbstständig gemacht. Meine erste kleine Firma habe ich mit 15 Jahren gegründet. Wir haben Infusionspumpen hergestellt, also Medizintechnik. Dann hatte ich einen Windsurfshop, eine Eventagentur – alles recht erfolgreich. Ich habe schon immer einen gewissen Hang dazu gehabt, auch wirtschaftliche Risiken einzugehen. Wahrscheinlich mehr als andere Menschen. Und hinter diesem Risiko steckt ja oft eine Idee. Und solche Ideen kann man in der Regel nicht allein realisieren, sondern braucht Partner, die einen unterstützen. Und diesen muss man erst einmal die Idee verkaufen. Also: Ideenverkäufer. Vielleicht würde ich mich auch als kreativen Kaufmann bezeichnen.
Erinnern Sie sich an eine Situation, wo Ihre Risikobereitschaft zu hoch war?
Die Chance auf das Scheitern ist ja beim Risiko systemimmanent. Aber ich bin grundsätzlich der Überzeugung, dass Mut sich oft auszahlt. Aber ja, ich erinnere mich an Situationen, die sicher knapp waren. Ich hatte mir 1999 mit drei Freunden die Merchandise-Rechte der Rolling Stones für die Europatournee gesichert und einen Haufen lustiger Dinge produzieren lassen. Ferngläser, Winke-Hände, eben solche Dinge. Dafür mussten wir vorab Lizenzgebühren in die USA zahlen. Eine Unsumme. Also habe ich alles Geld, was ich hatte, und auch das, was ich nicht hatte, zusammengekratzt. Ich habe mir Geld bis zum Gehtnichtmehr geliehen – von Tante, Onkel und der Bank.
Und dann?
Fällt Keith Richards von der Leiter, und die Stones sagen die Tour ab. Ich habe gedacht: Gut, das war’s. Ich werde den Rest meines Lebens als Taxi- oder Kurierfahrer das Geld reinholen müssen. Zum Glück wurde die Tour später nachgeholt. Das hätte aber durchaus schiefgehen können.

Was haben Sie daraus gelernt?
Dass man Risiko verteilen muss. Also habe ich einen Partner in meine Agentur Planworx aufgenommen, und wir haben sie über die Jahre zu einer der führenden Eventagenturen ausgebaut. Vor ein paar Monaten habe ich aber so etwas wie einen kleinen Exit gemacht und bin nur noch als Berater dort tätig. Wir hatten eine unglaublich spannende Zeit, und ich konnte dort meine Kreativität, wirtschaftliches Denken und Handeln voll ausleben, aber eines Tages erzählte mir ein Mitarbeiter von der Möglichkeit, künstlich Wellen in einem Pool zu erzeugen – Surfen ohne Meer. Immer. Das ganze Jahr. Diese Idee hat mich nicht mehr losgelassen. Es gibt in Deutschland rund 650.000 Hardcore-Surfer, die weltweit reisen, um Wellen zu erwischen. Und fast 2,5 Millionen Gelegenheitssurfer, die schon mal einen Kurs gemacht haben oder gerne einmal im Jahr aufs Brett wollen. Das ist eine ganze Menge für ein Land ohne ein Meer mit anständigen Wellen. Also habe ich ein Konzept geschrieben.
Für jemanden, der bereits einen Surfshop hatte, klingt diese Idee ja auch verlockend.
Absolut. Und: Ich wusste, ich habe Erfahrung, wie man eine Location betreibt, wie man Leute begeistert und wie man eben auch Ideen verkauft. Klar war mir aber auch: Nur mit einer künstlichen Welle allein wird das zumindest wirtschaftlich kein erfolgreiches Projekt. Es war also die Aufgabenstellung, einen Ort zu schaffen, an dem sich jeder wohlfühlt. Mit Gastronomie, einem Shop und Raum für Events. Da gehört Kinderbetreuung und Surfunterricht dazu.
Aber so einfach kann es ja dann nicht gewesen sein?
Nicht so einfach, wie ich es eben in drei Sätze verpackt habe. Aber: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, haben Naturschutz und die Behörden, Anwohner und die Gemeinde früh in unsere Überlegungen einbezogen. München hat durch die stehenden Wellen des Eisbachs und der Floßlände schon seit Langem eine Surfkultur. Mehr als andere deutsche Städte. Das hat vielleicht auch geholfen.

Wenn man alle einbezieht, hat man am Ende immer einen Kompromiss. Ist o2 Surftown Muc ein Kompromiss?
Ganz im Gegenteil. Wir haben hier Tatsachen geschaffen. Um eine lange Vorgeschichte kurz zu machen, mein Konzept ging innerhalb von zwei Monaten durch den Gemeinderat. Und dann hatte ich das Problem: Ich musste liefern. Das war im Februar 2019. Da wurde aus einer Einmannidee und einem Konzeptpapier eine Firma. Noch nie hatte jemand eine solche Anlage gebaut. Alles begann auf dem weißen Blatt Papier. Ein Businessplan musste her, eine anständige Kalkulation und starke Partner. Nun haben wir hier in der Hochsaison 150 Mitarbeiter, die Location ist für 4000 Personen zugelassen, und die Energie, die die Hydraulik für die Erzeugung der Welle benötigt, erzeugt ein Solarpark.
Welche Summe stand am Ende für alles auf dem Businessplan?
Wir haben für das Projekt 45 Millionen Euro kalkuliert und sind am Ende auch ziemlich genau dort gelandet. Und das bei einer völlig innovativen Konstruktion und einer weltweiten Pandemie dazwischen. Wir haben hier tatsächlich eine Anlage geschaffen, die über 34 Druckkammern am Tag 9000 Wellen produzieren kann. Bei allem Respekt: Das muss Mutter Natur mal liefern. Alleine der Pool hat eine Fläche von 10.000 Quadratmetern. Das ist auch für Profisportler interessant. So trainiert bei uns nun auch das deutsche olympische Surf-Team. Denn Surfbedingungen wie in einem Labor findet man im offenen Meer nicht – perfekt fürs Training.
Wie schnell kann sich so viel Innovationsbereitschaft wirtschaftlich amortisieren?
Wenn wir in allen Bereichen erfolgreich wirtschaften, dann ist das eine einstellige Jahreszahl. Ich habe ein großes Interesse, dass das hinhaut, ich bin ja nicht nur CEO, sondern hier auch signifikant investiert.

Wie hoch ist die Kausalität zwischen einer guten Idee und dem Kapital, sie erfolgreich auf den Weg zu bringen?
Eine gute Idee hilft dir nichts, wenn du kein Geld hast. Viel Geld hilft dir aber auch nichts ohne eine gute Idee. Heutzutage ist so viel Geld im Markt, dass es wahrscheinlich immer zu einer guten Idee findet. Die Frage ist dann eher: Ist schon die richtige Zeit für die Idee gekommen? Timing ist entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung einer Idee.
Wenn man mit Ideen begeistern will, braucht man einen Adressaten. Wie kommen Sie an Ihre Kontakte?
Dadurch, dass ich in guter Erinnerung bleibe und man sich auf mein Wort verlassen kann. Bei Geschäften geht es um Vertrauen. Manche mögen denken, das ist oldschool, aber ich bin auf keiner digitalen Businessplattform. Das ist für mich Zeitverschwendung. Wenn ich gewisse Personen erreichen möchte, weiß ich, wen ich anrufen kann, und ich weiß, was mich dieser Kontakt kostet. Es braucht ein Vertrauensverhältnis – so ist das im Leben – alles ein Geben und Nehmen.
Was soll eine künstliche Welle den Menschen geben?
Ein Gefühl. Ich bin kein besonders guter Wellenreiter, ich komme ja vom Windsurfen. Aber ich kenne diese besonderen Momente im Wasser. Wenn man der letzte Surfer im Line-up ist, die untergehende Sonne den Himmel rot zeichnet und sich plötzlich eine Welle erhebt, die man anpaddelt, dann aufsteht und surft. Diese Welle muss nicht groß oder schnell sein, um diesen einzigartigen Stoke zu erzeugen. Ein Gefühl, als würde einem das pure Glück aus den Ohren schäumen. Surfen hat einfach einen wahnsinnig positiven Einfluss auf die Psyche. Und dieses Gefühl möchten wir den Menschen hier geben. Und wenn ich diese reine Freude bei Menschen hier sehe, macht mich das glücklich.
Wen würden Sie gerne mal auf der Welle surfen sehen? Söder?
Oh ja, den Ministerpräsidenten würde ich gerne mal im Wetsuit sehen. Nein, ich möchte mit meinen Kindern einmal gleichzeitig eine Welle reiten. Ansonsten wünsche ich mir hier Menschen, die den Wunsch haben, mal surfen zu gehen, aber sich im Meer nicht trauen. Weil sie vielleicht Angst vor Strömungen, Quallen, Haien oder anderen Surfern haben.
Denken Sie, Menschen machen bald in Hallbergmoos Surfurlaub, anstelle in die Ferne zu fliegen?
Nun, möglicherweise bekommen sie hier in einer Surfstunde mehr Wellen als in einer Woche Urlaub. Da fliegt man ewig hin, besteigt Boote, reist auf ferne Inseln, und dann ist da eine Woche keine Welle. Oder 100 Leute im Wasser. Wir garantieren jedem Surfer im Pool je nach Level mindestens zwölf perfekte Wellen in einer Stunde, die ihm keiner nehmen kann.