Johann König über den Wert von Kunst
Der berühmte Auktionator Simon de Pury berichtete kürzlich von einer Begebenheit, die sich am Anfang seiner Karriere bei Sotheby’s zutrug: Eine Familie legte ein Objekt bei ihm zur Schätzung vor, umständlich befreiten sie das seit vielen Generationen in ihrem Besitz befindliche Erbstück wie ein rohes Ei von seiner aufwendigen Verpackung. Nachdem de Pury ihnen mitteilen musste, dass ihr Objekt zwar keinen kommerziellen, aber dennoch sicher einen emotionalen Wert besaß, landete es achtlos zurück in der Kiste.
Was war geschehen? Das Wissen um die kommerzielle Wertlosigkeit des Objekts hatte den Blick auf selbiges von einem auf den anderen Moment verändert. So bedeutsam der Wert der Kunst also ist, so undurchsichtig ist nach wie vor die Preisgestaltung in meiner Branche. Nehmen wir einmal an, Sie entscheiden sich dazu, in ein Kunstwerk zu investieren, weil Sie es in einer Ausstellung entdeckt haben. Nun sehen Sie sich zwangsläufig mit einigen Fragen konfrontiert. Zunächst einmal: Wie viel kostet das besagte Kunstwerk eigentlich? Denn einem der vielen ungeschriebenen Gesetze im Kunstmarkt folgend, ist der Preis zumeist nicht direkt ausgezeichnet. Unbeantwortet bleibt zudem die ebenso entscheidende Frage: Ist das Kunstwerk seinen Preis auch wert?
Käufer verunsichert der intransparente Markt
Denn anders als bei den allermeisten Waren erfordert die Einschätzung des Wertes eines Kunstwerks ein hohes Maß an Expertise, gerade bei zeitgenössischer Kunst. Und ich befürchte, das ist ein entscheidender Grund, warum viele Kunstinteressierte letztlich keine Kunst kaufen. Sie sind angesichts eines intransparenten Marktes schlicht verunsichert. Ich habe hier schon einmal kritisiert, dass die Schwelle zum Betreten einer Galerie oft noch zu hoch ist. Die Schwelle zum Kauf eines Kunstwerks ist um ein Vielfaches höher. Alles, was diese Hürde verringern könnte, verdient daher unsere Aufmerksamkeit.
Aus diesem Grund verfolge ich mit großem Interesse, was durch die rasanten Fortschritte in den Bereichen der Künstlichen Intelligenz und des Machine Learnings auf dem Gebiet der automatisierten datenbasierten Kunstexpertise möglich ist. Eben weil der Markt so kompliziert ist, leisten sich Sammlerinnen und Sammler ab einer gewissen Größe in der Regel sogenannte Art Advisors, die sie beim Ankauf von Kunstwerken und dem Aufbau ihrer Sammlungen unterstützen.
Algorithmen ermöglichen Preisermittlung per App
Hier setzen innovative Unternehmen wie die Berliner App „Limna“ an: Seit Jahrzehnten tragen sie große Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen zusammen und sind dadurch nun in der Lage, per Smartphone eine Preiseinschätzung zu einem beliebigen Kunstwerk zu geben. Natürlich ersetzt eine solche App keine erfahrenen Kunstberater, aber sie gibt einen ersten Überblick. Und das funktioniert erstaunlich gut und vor allem sehr einfach. Man gibt lediglich den Namen des Künstlers und die Maße des Bildes ein und erhält einen Schätzpreis. Auf unserem Portal Misa.Art habe ich die Technologie implementiert: Wer sich dort für ein Kunstwerk interessiert, kann unseren Preis direkt mit dem errechneten abgleichen.
Sie werden nun vielleicht einwenden, dass die Preisermittlung auf Basis dieser beiden Variablen etwas zu kühl und sachlich angesichts der künstlerischen Aura eines Unikats anmutet; schließlich muss eine solche Analyse vollkommen außer Acht lassen, ob es sich im konkreten Fall um eine ästhetisch gelungene Arbeit des entsprechenden Künstlers handelt. Und damit wären Sie nicht allein: Teile der Kunstwelt beobachten das Eindringen der Daten in ihre Sphäre immer noch mit Argwohn, der datenbasierte Algorithmus und das individuelle Kunstwerk scheinen auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen.
Diese Sorge teile ich nicht. Ob Ihnen ein Kunstwerk ästhetisch zusagt, ob es sie berührt oder zum Nachdenken anregt, kann kein Algorithmus der Welt für Sie entscheiden. Er kann allerdings, zumindest hoffe ich das, dafür sorgen, dass sich mehr Menschen mit Kunst umgeben. Und das Tolle ist ja: Um sie dann zu auf sich wirken zu lassen, muss man sich gar nicht mit ihr auskennen.