So fliegt es sich in der neuen Lufthansa First Class

Ob ich noch zählen kann, wie oft ich in meinem Leben den Atlantik überquert habe? Ich könnte es versuchen. Als Flugfan – und das liest sich vielleicht etwas nerdig – habe ich seit meiner Kindheit alle meine Flüge notiert: Datum, Flugzeugtyp, Airline, Kennzeichen des Flugzeugs, Route sowie die handgestoppte Zeit vom Abheben bis zum Aufsetzen. Leider sind ein paar Jahrgänge der Logbücher beim Erwachsenwerden verloren gegangen, aber das meiste ist erhalten geblieben. Meine erste Transatlantikreise als Schüler führte vor Jahrzehnten mit einer exotischen arabischen Airline von Amsterdam nach New York. Das war damals am günstigsten; der Flug dauerte acht Stunden und 17 Minuten. Meinen schnellsten Sprung über den Großen Teich kann ich ebenfalls abrufen: in den späten Neunzigern an Bord einer Concorde von British Airways – der einzige Tagflug meines Lebens von New York nach Europa. Mach 2 machte es möglich, die Zeitzonen schnell genug zu durchqueren.
Allegris Suite misst drei Quadratmeter

Flug BA002 verließ New York morgens um 8:30 Uhr Ortszeit und landete gut dreieinhalb Stunden später um 17:15 Uhr Lokalzeit in London. Mein Flug dauerte damals sogar nur drei Stunden und 17 Minuten. Und meine längste Atlantiküberquerung? Unvergessen, obwohl sie nicht im Logbuch steht: Damals ging es im Winter auf dem Wasserweg mit der „Queen Elizabeth 2“ – fünf Tage und sechs Nächte lang durch die wilden Wellen des sturmgepeitschten Nordatlantiks von Manhattan nach Southampton. Als wir uns am Abend des letzten Tages der britischen Küste näherten, flog plötzlich eine Concorde über das Schiff – sie war erst drei Stunden zuvor in JFK gestartet.
Während ich mir all diese unterschiedlichen Zeit- und Komfortdimensionen noch einmal vor Augen führe, sitze ich an einem sehr exklusiven Ort: 12.000 Meter hoch über den Atlantikwogen in einer über drei Quadratmeter großen Suite, vor mir eine frische rote Rose in der Halterung. Dies ist Platz 1A in der neuen Lufthansa Allegris First Class, ich bin auf dem Weg von München nach New York. Die rote Rose ist seit 1958 das Erkennungszeichen des „Senator Service“, wie damals die Erste Klasse der neuen Lufthansa getauft wurde. Und auch fast 70 Jahre später ist eines geblieben: die Rose – irgendwie ein schöner Gedanke.
Lufthansa First Class besteht aus drei Suiten

Die neue First Class fliegt erst seit wenigen Wochen und kann seit Ende Januar 2025 gebucht werden. Wie begehrt diese Abteile sind, merke ich bereits vor dem Start. Verstohlen schleichen sich Mega-Vielflieger mit HON-Status nach vorn und betrachten fast ehrfürchtig die drei geräumigen Suiten der First Class. Staunend erlebe ich diese Elite-Reisenden sonst selten – sie sind es gewohnt, dass ihnen der rote Teppich ausgerollt wird. Ihre Reaktion zeigt mir aber, wie besonders ich heute reisen darf. Und zwar nur ich. Ich bin als Erster eingeladen worden, und die anderen beiden Suiten bleiben bewusst leer – ein Soft Opening, wie man es aus der Hotellerie kennt.
Plötzlich tauchen neben mir Top-Unternehmer auf, die – wie ich später erfahre – die freien Suiten erspäht haben. Sie betteln fast die Kabinenchefin an, ihnen gegen Geld oder Meilen ein Upgrade zu gewähren. Doch das ist weder an diesem Tag noch überhaupt vorgesehen. Die Airline ist streng: Es gibt keine Upgrades für niemanden. Wer hier Platz nehmen möchte, muss ein Ticket kaufen – und das kostet ziemlich genau das Doppelte dessen, was für die neue Allegris Business Class wenige Meter hinter mir verlangt wird. Aber die First Class bietet eben auch ganz andere Dimensionen: In verschwenderisch viel eigenem Raum lassen sich die Zeitzonen auf höchst individuelle Weise durchqueren. Reisen kann Stress bedeuten – vorher, unterwegs, am Ziel oder die ganze Zeit. In diesen Abteilen ist die Entschleunigung quasi eingebaut – so absurd das bei 900 km/h Fluggeschwindigkeit klingen mag.
An Bord wird Champagner und Kaviar serviert

Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagte mir neulich: „First Class geht nur top, da geht kein Second Best.“ Recht hat er. Entweder gar kein Luxus oder alles bieten, was möglich ist. Die First ist auf Langstrecken eine seltene Spezies geworden, viele Airlines haben sie abgeschafft – genau aus diesem Grund: Weil man massiv investieren muss. Und investiert wurde hier: Die Suiten in dezenten Schwarz-, Blau- und Grautönen wirken großzügig und bieten endlich fast völlige Privatsphäre. Die aktuelle First Class von 2012 hatte das nicht – dort standen die Sitze offen in der Kabine. Hier kann ich hinter den 1,80 Meter hohen Wänden meiner Suite fast völlig verschwinden. Wenn ich die ebenso hohe Schiebetür aus softem Kunstleder schließe, bin ich von außen quasi nicht mehr sichtbar. Zu hören ist außer dem Summen der Triebwerke auch nichts.
Ich lasse mir noch ein Glas 2004er Pommery Cuvée Louise einschenken, halte die eindrucksvolle Perlage des Champagners gegen den Himmel und denke: So entspannt und in Kontemplation habe ich in all den Jahren den Atlantik noch nie überquert. Niemanden sehen, niemanden hören – in einem voll besetzten Verkehrsflugzeug! Das allein ist Luxus. Oder dass ich hier – wie im Auto – meinen Sitz heizen, aber auch kühlen kann. Eine Neuheit am Himmel. Ausgerechnet heute ist mir aber auch ohne diese Funktionen die Kabinentemperatur angenehm. Dann lasse ich mir auf dem riesigen Tisch servieren, was die Karte hergibt. Ich probiere einen guten Teil der 100-Gramm-Dose chinesischen Kaluga-Zuchtkaviars – eine würdige, nachhaltige und vor allem legale Alternative zu Fischeiern aus traditionellen Lieferländern. Dass es dazu keine Blinis, sondern nur Toastbrot gibt, verstört mich leicht. Die Kabinenchefin versichert jedoch, das werde sich ab Sommer ändern.
Das größte Doppelbett über den Wolken
Als wir die Südspitze Grönlands überfliegen und unter uns riesige Eisberge in der Sonne blitzen, ist es Zeit für den größten Luxus im Erwachsenenleben: einen Mittagsschlaf. In der Allegris-Suite fliegt wohl das größte Doppelbett mit Matratzenauflagen und Bettzeug durch den Himmel. Unglaubliche Dimensionen – größer als in so manchem Hotelzimmer am Boden. Ich lasse mich rücklings auf das Bett fallen. Dieses Abteil hat keine Fenster; allenfalls könnte ich das Livebild der Heckkamera auf den Bildschirm holen, aber ich mag es zum Ruhen lieber dunkel. Nachdem ich eingenickt bin, ist mir nach dem Aufwachen sekundenlang unklar, wo ich überhaupt bin – es sieht so gar nicht nach Flugzeug aus. Erst ein Blick auf den Flugverlauf auf dem Tablet neben mir bringt mich ins Hier und Jetzt zurück: 12.800 Meter über Kanada, noch drei Stunden und 16 Minuten bis nach New York. So bald schon da?
Sonst gilt das schnelle Ankommen als höchste Devise. Besonders in den Tagen der Concorde – dreieinhalb Stunden eng eingepfercht, aber mit Champagner und Hummer bei Laune gehalten. Das hier ist der Gegenentwurf. Geschenkte Zeit. Und ich lerne, dass der Raum, in dem man die Stunden über den Wolken verbringt, auch den Zeitbegriff relativieren kann, wenn er so behaglich ist wie hier. Apropos Zeit: Albert Einstein sagte mal, „Zeit und Raum sind nicht Bedingungen, unter denen wir leben, sondern Modi, in denen wir denken“. Also, bitte anders denken. Als wir nach achteinhalb Stunden Flug in JFK landen, fühle ich mich entspannter als sonst. Und bin trotzdem neidisch – auf die rote Rose vor mir, die immer noch geradezu unverschämt frisch aussieht. Da kann ich nicht mithalten – auch wenn dieser Flug nun als mein bisher luxuriösester nach New York im Logbuch verewigt ist.